Adäquater Umgang mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)
Jugendschutz hat die Aufgabe, die Rechte und Chancen von Kindern und Jugendlichen auf eine gesunde Entwicklung zu sichern und ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern. Ziel des Jugendschutzes ist es, Kinder und Jugendliche vor Gefährdungen zu schützen und sie zu stärken gegenüber Beeinträchtigungen aller Art (§14 SGB VIII).
Regelungen und Gesetze sollen gewährleisten, dass Kinder und Jugendliche keinen Zugriff auf Medien bekommen, die den Zielen des Jugendschutzes entgegenstehen. Das Internet stellt den bestehenden Jugendschutz vor neue Herausforderungen. Es gehorcht anderen Regeln als die bestehende Medienwelt, sprengt Grenzen und erlaubt mehr Freiheit als je zuvor.
Der hohe Grad an Freiheit bedeutet auch eine erleichterte Erreichbarkeit von jugendgefährdenden Inhalten. Die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags soll dieses Problem lösen. Doch der Vertragsentwurf enthält erhebliche Mängel.
Die Mängel des Vertragsentwurfes: Kommerzialisierung und Jugendgefährdung
Die AnbieterInnen von Inhalten im Internet sollen auf freiwilliger Basis ihre Angebote kennzeichnen, ob diese für Kinder und Jugendliche geeignet sind. Die AnbieterInnen von Internetdiensten (Provider) sollen Programme anbieten, die Websites mit einer Angabe unter dem gewünschten Mindestalter blockieren. Werden Inhalte falsch gekennzeichnet, sind hohe Ordnungsstrafen möglich.
Die rechtlich einwandfreie Einstufung der Inhalte ist für NichtjuristInnen jedoch schwierig bis unmöglich. Den Erwerb der notwendigen Fachkompetenz werden sich nur kommerzielle, öffentliche und institutionelle AnbieterInnen leisten können. Eine eigene Kennzeichnung für kleinere und mittlere AnbieterInnen scheitert an dem hohen Rechtsrisiko. Sie sind gut beraten, ihre Seiten vorsichtshalber in die höchste Altersstufe einzuordnen.
In der Folge würde unser Nachwuchs ein „Kindernet“ bekommen, wo er vor allem die Websites von Coca Cola, MTV und McDonalds genießen dürfte. Wikipedia, netzpolitik.org, die NewYork Times und auch die Website der Grünen NRW wären schließlich gesperrt. Unsere Kinder würden zu perfekten Konsumenten ausgebildet werden, kritische Inhalte wären nicht mehr abrufbar. Derartige Sperren würden bürgerliche Rechte, wie sie im Art. 5 Abs. 1 GG garantiert sind, massiv verletzen.
Der Staatsvertrag scheitert auch in anderer Hinsicht an der Realität. So könnte einE AnbieterIn in den USA seine Seiten immer mit einer niedrigen Altersstufe kennzeichnen. Nach US-Gesetz wäre dies legal. AnbieterInnen mit jugendgefährdenden Inhalten könnten ganz bewusst diese Möglichkeit nutzen, um deutsche Kinder und Jugendliche als Zielgruppe zu erreichen.
Bereits heute sind deutsche Websites mit Inhalten nur für Erwachsene verpflichtet, eine Altersverifikation wie zum Beispiel den Personalausweis zu fordern. Nach der Novellierung des JMStV reicht aber die Alterseinstufung der Inhalte als Jugendschutzmaßnahme aus. Da vielen Eltern die Fachkenntnis fehlen wird, um die Software zu installieren, werden Minderjährige bei Nichtanwendung von Jugendschutzprogrammen sogar leichter als je zuvor an Inhalte ab 18 kommen.
Des Weiteren werden im JMStV Fachbegriffe willkürlich verwendet (zum Teil mit juristisch wie technisch unklarer Bedeutung), aktuelle Forschung zur Medienpolitik wird missachtet und dynamische Live-Medien wie Google, Twitter oder Facebook werden völlig außer Acht gelassen. Die vorgestellten Regelungen beweisen vielfach, dass die ErstellerInnen des Gesetzentwurfes die neuen Medien nicht verstanden haben.
Die geschilderten Folgen des JMStV sind nicht im Sinne von Bündnis 90/Die Grünen. Die Grünen standen und stehen für eine konstruktive Politik, die Bürgerrechte und Jugendliche ernst nimmt – ohne Populismus und Aktionismus . Der vorliegende JMStV verfehlt nicht nur das gesetzte Ziel „Jugendschutz“, er schadet diesem sogar.
Die politische LageIn NRW hat der ehemalige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers nach der verlorenen Wahl als eine seiner letzten Amtshandlungen den Vertrag unterschrieben. Die Ratifizierung steht jedoch noch aus.
Zunächst sah es so aus, als würde das neue Parlament dem Vertrag ebenfalls kritiklos zustimmen. Nachdem aber zunehmend klar wurde, was der Vertrag für negative Folgen haben wird, und nach erheblichem Protest von NetzaktivistInnen und -politikerInnen wurde auf Initiative der Grünen hin eine erneute Anhörung im Landtag angesetzt.
Strategie für eine Verbesserung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages
Die Grünen in Nordrhein-Westfalen haben die Chance, für effektiven Jugendschutz im Internet ohne die beschriebenen Nebenwirkungen einzutreten. Deshalb fordert der Landesparteirat:
- „Der Landesparteirat fordert die Landtagsfraktion auf, die Anhörung zum JMStV im Hinblick auf die o.g. Kritikpunkte auszuwerten. Die Ergebnisse sind bei der Entscheidung über das Abstimmungsverhalten der Landtagsfraktion zu berücksichtigen. Der LPR hält den JMStV für nicht zustimmungsfähig und empfiehlt der Landtagsfraktion dem Staatsvertrag nicht zuzustimmen.
- Darüber hinaus sind verbindliche Mechanismen zu schafen, die für die Vorbereitung zukünfiger netzpolitischer Entscheidungen wie z.B. der zeitnahen Grundüberarbeitung des Kinder- und Jugendschutzes im Netz die frühzeitige Einbeziehung der Netzgemeinde in einem dialogischen Verfahren sicherstellen.
- Mehr Austausch zwischen PolitikerInnen für Kinder und Jugend sowie Netzpolitikern. Nur wenn beide Kompetenzen vereint werden, ist efektiver Jugendschutz auch in den neuen Medien möglich. Andernfalls drohen in Zukunf weitere Gesetze mit gefährlichen und nicht beabsichtigten Nebenwirkungen.
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