In Deutschland gibt es nach Fukushima einen breiten gesellschaftlichen Konsens für einen schnellen Atomausstieg. Wir Grüne sind Teil dieses Konsenses. Wir wollen das Atomzeitalter mit seiner gesamten nuklearen Brennstoffkette ein für alle Mal beenden und das letzte deutsche Atomkraftwerk innerhalb der nächsten Legislaturperiode endgültig abschalten. In den kommenden Wochen wird sich entscheiden, ob die Bundesregierung sich diesem gesellschaftlichen Konsens anschließt oder ob sie wie bei der letztes Jahr beschlossenen AKW-Laufzeitverlängerung die Interessen der Atomkonzerne über den Willen der Bevölkerung stellt.
Die jüngsten Vorschläge aus der Koalition lassen befürchten, dass sich schon wieder die Atomlobby durchsetzt.
Röttgens Atom-Schlingerkurs
Die Atompolitik des Bundesumweltministers ist ein einziger Schlingerkurs. An der Ernsthaftigkeit der angekündigten Atomausstiegspläne des Bundesumweltministers und NRW-CDU-Landesvorsitzenden, Norbert Röttgen, gibt es daher offenkundige Zweifel. So hatte Minister Röttgen Anfang des letzten Jahres zwar öffentlichkeitswirksam verkündet, eigentlich aus der Nutzung der Atomenergie aussteigen zu wollen, nur um dann wenige Monate später als zuständiger Minister den Atomkonsens aufzukündigen und die Verlängerung der Restlaufzeiten von Atomkraftwerken gesetzlich durchzupeitschen.
Der Schlingerkurs ging auch nach den Ereignissen von Fukushima weiter. Während er zuerst versuchte, das Thema aus der deutschen Diskussion wegzudrücken, sah er sich nach wenigen Tagen zwar gezwungen, auch Konsequenzen für die deutsche Atompolitik anzukündigen. Doch anstatt unmittelbar gesetzliche Vorschläge zu unterbreiten, flüchtete er sich vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in ein unverbindliches „Moratorium“, das selbst der damalige Wirtschaftsminister Brüderle als reine Wahlkampftaktik outete.
Erst die Wahlergebnisse der Landtagswahlen haben offensichtlich dazu geführt, dass auch der Bundesumweltminister nun eine gesetzliche Ausstiegsregelung anvisiert. Die Ausgestaltung ist aber noch vollkommen offen.
Angesichts dieses Schlingerkurses erscheint es fast folgerichtig, dass CSU, FDP und Teile der CDU den Atomausstieg durch eine Revisionsklausel gleich wieder in Frage stellen. Gestützt auf diese Klausel könnte in einigen Jahren eine erneute Kehrtwende eingeleitet werden, zum Beispiel unter dem Vorwand, dass der Ausbau der Stromnetze oder der erneuerbaren Energien langsamer voran gehe als geplant. Im Ergebnis läge es dann in der Hand der vier großen Energiekonzerne, den Atomausstieg durch schleppende Investitionen in Netze oder Windparks auszuhebeln. Solche Tricks werden wir den schwarz-gelben Atomfreunden nicht durchgehen lassen. Der Schlingerkurs muss endlich beendet werden: Der Atomausstieg muss ohne Revisionsklauseln oder andere Hintertüren erfolgen.
Der Schlingerkurs setzt sich beim Wiedereinstieg der schwarz-gelben Bundesregierung in die Förderung von Atomexporten durch staatliche Hermesbürgschaften fort. Wir fordern dazu auf, die Hermesbürgschaften für Nukleartechnologien wieder rückgängig zu machen.
Wir begrüßen daher, dass der Bundesvorstand für den Fall, dass Schwarz-Gelb über einen ernst gemeinten und an den beschriebenen Kriterien messbaren Konsens verhandeln will, diese Frage auf einer außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz mit der Partei beraten will.
Ein klarer Ausstiegsfahrplan bis 2017
Energiewissenschaftliche Studien belegen, dass ein vollständiger Atomausstieg innerhalb weniger Jahre machbar ist – ohne die Sicherheit der Stromversorgung zu gefährden, Deutschland von Stromimporten abhängig zu machen oder die Strompreise wesentlich zu erhöhen. [Das bestätigt auch die von der Bundesregierung eingesetzte Ethikkommission, indem sie einen Ausstieg „deutlich eher“ als 2021 wirtschaftlich, sozial und ökologisch vertretbar erklärt.] Auch verfassungsrechtlich ist ein Atomausstieg in der nächsten Legislaturperiode des Bundestagsrechtssicher möglich.
Nicht weniger wichtig als das Abschaltdatum des letzten Reaktors ist der Weg dorthin. Die sieben ältesten Atomkraftwerke und der Pannenreaktor Krümmel müssen wegen ihrer eklatanten Sicherheitsmängel sofort und endgültig stillgelegt werden. Für die übrigen Atomreaktoren fordern wir die Festlegung konkreter Abschaltdaten im Atomgesetz, damit die Betreiber die Stilllegung nicht mehr durch Missbrauch der bisherigen Strommengenregelung hinauszögern können. Außerdem müssen die von Schwarz-Gelb beschlossenen Laufzeitverlängerungen vollständig rückgängig gemacht werden.
Die Atomkraftwerke, die nicht sofort still gelegt werden, sind einer unabhängigen Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Dazu muss das strengere kerntechnische Regelwerk, das Jürgen Trittin als Bundesumweltminister in Auftrag gegeben hat und das seit 2009 vorliegt, endlich in Kraft gesetzt werden. Die Stresstests der Reaktorsicherheitskommission, die unter enormem Zeitdruck, ohne Besichtigung der Atomkraftwerke und ohne Berücksichtigung ihrer Störfallgeschichte erfolgt sind, können eine umfassende Sicherheitsüberprüfung nicht ersetzen. Aber schon dieser oberflächliche Test hat gezeigt, dass deutsche Atomkraftwerke – ganz besonders die alten Anlagen – im heutigen Zustand bestimmten Sicherheitsanforderungen wie etwa dem Schutz vor Flugzeugabstürzen oder Überflutungen nicht gewachsen sind.
Im westfälischen Gronau befindet sich die einzige deutsche Urananreicherungsanlage, die einen wesentlichen Teil des Brennstoffs für deutsche Atomkraftwerke liefert und Teil der internationalen atomaren Brennstoffkette ist. Die Anlage in Gronau ist genauso wenig wie die deutschen Atomkraftwerke gegen Flugzeugabstürze gesichert und stellt deshalb ein großes atomares Risiko dar. Eine neue gesetzliche Regelung zum Atomausstieg muss deshalb auch einen Ausstieg aus der Urananreicherung in Gronau und der Brennelementeproduktion in Lingen beinhalten.
Mit Blick auf die bislang ungeklärte Frage der atomaren Entsorgung bekräftigen wir, dass das Brennelementezwischenlager Ahaus (TBZ-A) keine zentrale Langzeitsammelstelle für radioaktive Abfälle aller Art sein darf. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass während des Ausstiegsprozesses der anfallende radioaktive Abfall an den Anlagen vor Ort konditioniert und zwischengelagert wird. Dies gilt ausdrücklich auch für den im Forschungszentrum Jülich anfallenden und lagernden Atommüll.
Mit einem Endlagersuchgesetz soll die Grundlage gelegt werden, endlich mit einer ergebnisoffenen Endlagersuche zu beginnen.
Energiewende und Klimaschutz beschleunigen
Wir Grüne wenden uns gegen jeden Versuch, Atomausstieg und Klimaschutz gegeneinander auszuspielen. Deshalb ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, die deutschen Klimaschutzziele in einem nationalen Klimaschutzgesetz zu bekräftigen und in der EU eine Anhebung des CO2-Minderungsziels für 2020 auf 30% einzusetzen. Und deshalb dürfen gefährliche alte AKW nicht durch neue klimaschädliche Kohlekraftwerke ersetzt werden. Wer jetzt, wie Teile von SPD und FDP, auf neue Kohlekraftwerke setzt, läuft in eine energiepolitische Sackgasse.
Stattdessen wollen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter forcieren, mehr in Energieeffizienz und hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplung investieren und die Modernisierung der Stromnetze beschleunigen. Deshalb ist wichtig, dass in den von der schwarz-gelben Bundesregierung angekündigten und weiteren Novellen wichtiger Energiegesetze (Erneuerbare-Energien-Gesetz, Energiewirtschaftsgesetz, Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, Netzausbaugesetz usw.) tatsächlich auch eine Energiewende weg von Atom und Kohle hin zu Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz vollzogen wird.
Bis jetzt bremste bei all diesen Punkten Schwarz-Gelb, wo es nur geht. Alte Atomkraftwerke und neue Kohlekraftwerke verhindern Investitionen in Erneuerbare Energien. Bei der Windkraft an Land haben schwarz-gelbe Regierungen lange jeglichem Ausbau bürokratische Riegel vorgeschoben. Jetzt, wo Rot-Grün in NRW und Grün-Rot in Baden-Württemberg das Ruder herumreißen und ehrgeizige Wachstumsziele für die Windenergie anstreben, droht Schwarz-Gelb im Bund die EEG-Förderung für die Windenergie an Land zu kürzen und nur einseitig die Windenergie auf dem Meer zu fördern. Wir Grüne wollen die Stromversorgung so schnell wie möglich auf 100% erneuerbare Energien umstellen. Dazu müssen für den Ausbau der Windenergie an Land, die derzeit das größte Potential bei den Erneuerbaren Energien hat, z. B. bei der Novelle des Bundesbaugesetz auch für die Kommunen Anreize geschaffen und Hemmnisse abgebaut werden.
Beim Thema Energieeffizienz hat die Bundesregierung wegen ständiger Blockaden zwischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium so gut wie nichts vorzuweisen. Auch in der EU zählt sie zu den Bremsern. Das wollen wir ändern. Dazu gehört vor allem der massive Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, die schnell die Stromerzeugung von Atom und Kohlekraftwerke klimafreundlich und effizient ersetzen und mit deren Hilfe die Erzeugungsschwankungen von Wind- und Photovoltaikstrom ausgeglichen werden kann. Wir wollen die von Schwarz-Gelb drastisch gekürzten Mittel für die energetische Gebäudesanierung deutlich erhöhen, speziell für sozial schwache Haushalte und Quartiere. Wir setzen uns dafür ein, die Energieversorger zu verbindlichen jährlichen Energieeinsparungen zu verpflichten. Und wir wollen über einen Energiesparfonds Maßnahmen wie Energieberatungen, die Förderung von Spargeräten und den Austausch ineffizienter Stromheizungen anreizen.
Klimaschutz und eine schnelle Energiewende sind ohne die Länder und die Kommunen nicht machbar. Für NRW heißt das: 44 Prozent der heute unter das Regime des Emissionshandels fallenden Emissionen entstehen in NRW. Deshalb wollen wir erreichen, dass von den in NRW anfallenden Einnahmen der ab 2013 stattfindenden Versteigerung der Emissionszertifikate in Höhe von vier bis fünf Milliarden Euro (bei einem Zertifikatspreis von 20 Euro/t) ein entsprechender Anteil nach NRW zurückfließt, um die hierdurch entstehenden Steuerausfälle für das Land und die Kommunen zu kompensieren und die ambitionierte Energie- und Klimapolitik der Landesregierung zu ermöglichen.
Für den Aufbau einer dezentralen Energiewirtschaft brauchen wir vor allem regionalen Netzausbau. Aber auch den Ausbau des Übertragungsnetzes. Warum dieser Netzausbau nicht schneller voran kommt, hat verschiedene Gründe. Laut Bundesnetzagentur gibt es bei 9 der 24 vordringlichen Stromtrassen Verzögerungen, nur bei drei Projekten sind Bürgerproteste der Grund. Ökonomische und finanzielle Hemmnisse, aber auch Interessenkonflikte derjenigen Netzbetreiber, die noch eng mit großen Energiekonzernen verbunden sind, sind weitere Ursachen von Verzögerungen. In den Fällen, in denen es Widerstand vor Ort gibt, bewirkt der Ansatz der Bundesregierung, die Bürgerbeteiligung einzuschränken und Erdverkabelung nur in Ausnahmefällen zuzulassen, das Gegenteil von Akzeptanz und Beschleunigung. Wir Grüne wollen dagegen Planung und Bau der erforderlichen Stromtrassen und Energiespeicher durch frühzeitige Bürgerbeteiligung, Erdkabel und mehr Transparenz beschleunigen.
Atomausstieg als Chance
Bündnis 90/Die Grünen sehen den Atomausstieg als Chance. Als Chance für Erneuerbare Energien und Effizienztechnologien mitsamt den neuen Jobs, Unternehmen und Exportmärkten. Als Chance auf eine Reduzierung der Marktmacht der vier großen Energiekonzerne, mehr Wettbewerb und faire Energiepreise. Als Chance für den Klimaschutz. Als Chance, unseren Kindern und deren Nachkommen nicht noch mehr Strahlenmüll zu hinterlassen, für den es kein sicheres Endlager gibt. Und als Chance, dass sich die Katastrophen von Fukushima und Tschernobyl nie in unserem Land wiederholen können.
Deshalb kämpfen wir für den schnellstmöglichen Atomausstieg ohne Tricks und Hintertüren!
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