Interkulturalität ist Normalität. Nach 60 Jahren jüngerer Migrationsgeschichte ist ethnische und kulturelle Vielfalt Realität. In unseren Städten, in den Schulen, am Arbeitsplatz. Wir Grünen haben lange für diese Normalität gekämpft. Wir waren und sind uns sicher: Vielfalt ist unsere Chance. Mittlerweile ist auch durch Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in vielen Studien belegt: Gesellschaftliche Vielfalt ist ein Gewinn für alle. Diversität und Multikulturalität sind für eine moderne Gesellschaft in einer globalisierten Welt unverzichtbar. Und doch zeigen sich unter der Oberfläche des viel beschworenen gesellschaftlichen Zusammenhalts Brüche, die es zu überwinden gilt. Sarrazin und Buschkowski mit ihren Schriften, die Pegidas mit ihren „Demonstrationen“ legen offen: das Vorurteil lässt sich vom Wissen nicht beeinträchtigen. Dies zeigen auch die scharfen Töne aus der CSU, wo keine Gelegenheit ausgelassen wird mit reiner Symbolpolitik diejenigen zu diskreditieren, die auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland kommen oder die, die schon lange hier leben. Das zeigt auch die zunehmende gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die sich in Angriffen auf Flüchtlingsunterbringungen, in antimuslimische Ressentiments oder auch in Vorbehalten gegen Arbeitslose, Wohnungslose und Menschen mit Behinderungen ausdrückt. Für uns Grüne heißt das: Unser Engagement für eine vielfältige Gesellschaft muss konsequent weiter geführt werden. Gerade im Engagement mit und für Geflüchtete sind viele Grüne unterwegs in den Unterbringungseinrichtungen, sie übernehmen Patenschaften und setzen sich vor Ort für eine menschenwürdige Unterbringung, eine Willkommenskultur ein. Dabei stehen wir an der Seite derer, die ihre Zeit, ihre Kraft und ihre Menschlichkeit einsetzen, um Geflüchteten zu helfen, ihnen einen Weg in unsere Gesellschaft aufzuzeigen. Ihnen gelten unser Respekt und unsere Dankbarkeit. Sie zeigen das freundliche Gesicht Deutschlands, sie leben den Vielfaltsgedanken.
Es ist keine Frage, dass der gelebten Willkommenskultur eine Struktur folgen muss, die Integration ermöglicht. Dazu gehört neben den fünf großen Themen Wohnen, Arbeiten, Sprache, Bildung, Gesundheit auch die Frage der Teilhabe an den Strukturen des öffentlichen Lebens auf allen Ebenen. Wir Grünen kämpfen und arbeiten auf allen Ebenen an einer gelingenden Ankommens-, Willkommens- und Teilhabekultur. Wir wissen aber auch: Integration ist ein herausfordernder Prozess. Sie fordert die Auseinandersetzung auf allen Ebenen gesellschaftlichen und politischen Handels.
Gelingen kann sie nur durch eine Kultur der Anerkennung, der Wertschätzung und der Gleichberechtigung. Hierzu ist ein Konzept für Cultural Mainstreaming notwendig, das eine Berücksichtigung der ethnischen, kulturellen und religiös-weltanschaulichen Vielfalt in allen gesellschaftlichen Bereichen einfordert. Denn das Ziel einer postmigrantischen Gesellschaft muss die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte auf allen Ebenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Handelns sein. Ob das gelingt, zeigt sich unter anderem in der Frage, ob die Herkunft über die Zukunft entscheidet, ob der Bildungsaufstieg bis hinein in die höheren Qualifikationen gelingt und ob es innerhalb der Systeme der diskriminierungsfreie Zugang zu Aufstiegsmöglichkeiten gegeben ist. Ein Blick auf die Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung zeigt, dass auch nach 60 Jahren jüngerer Migration dieser Anspruch in der Praxis noch nicht verwirklicht ist. Die Herkunft vieler Menschen mit Migrationsgeschichte entscheidet immer noch viel zu häufig über die Zukunft. Dies gilt im Bildungssystem genauso wie in der Arbeitswelt. Immer noch finden Jugendliche aus eingewanderten Familien schlechter eine Lehrstelle und die Akademiker*innen jedweder Fachrichtung haben es ungleich schwerer eine Anstellung zu finden, die ihrer Qualifikation entspricht. Und das bei einer hohen Aufstiegsdynamik innerhalb der migrantischen Gemeinschaften. So kann für die Praxis festgestellt werden: der Anspruch des Cultural Mainstreamings ist noch nicht vollständig angekommen, auch wenn viele Maßnahmen Wirkung zeigen. Dies gilt auch für politische Strukturen und die Frage politischer Partizipation. Auch wenn in NRW jeder vierte, in Deutschland jeder fünfte seine/ ihre Wurzeln im Ausland hat, ist das noch nicht im politischen System angekommen. So weist die Böll-Studie „Vielfalt sucht Rat“ für die Räte vor 2014 aus, dass nur wenige Migrant*innen bei der Listenaufstellung berücksichtigt wurden (Grüne und Linke je 8%, SPD 5%, CDU und FDP unter 3%). Eine weitere Studie dazu steht noch aus. Dass Menschen aus eingewanderten Familien – obschon in Deutschland geboren – immer noch als Besonderheit erlebt werden, belegt auch der Befund, dass viele der Befragten angaben, im Wesentlichen das Politikfeld „Integration“ zu bearbeiten. Das ist ohne Frage ein wichtiges Politikfeld. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Potenziale und Orientierungen der Betroffenen ausreichend wahrgenommen und in die politische Zusammenarbeit einbezogen werden.
Wir GRÜNEN haben uns immer als Partei verstanden, in der Vielfalt gelebt wird. So finden sich in den grünen Gremien Menschen aus Familien mit Migrationsgeschichte in herausragenden Positionen. Und dennoch haben auch wir Grüne Nachholbedarf. Deutlich wurde das auch bei der Veranstaltung des Landesverbandes zur interkulturellen Öffnung der Partei. Teilnehmende berichteten von eher paternalistischen Strukturen, die dem eigenen Engagement und der politischen Weiterentwicklung im Wege standen.
Wer Cultural Mainstreaming fordert, mit dem Ziel, dass der Anteil der Migrant*innen in allen Positionen dem Anteil an der Bevölkerung entspricht, darf und muss auch an seiner eigenen Entwicklung arbeiten. Die Frage der interkulturellen Öffnung der Partei ist keine Frage der Gemütlichkeit, der Hilfsbereitschaft oder des guten Willens – es ist eine Frage politischer Glaubwürdigkeit und des festen Willens, gesellschaftliche Vielfalt auch in den eigenen Reihen – und zwar auf allen Hierarchieebenen – abbilden zu wollen. Die weitere interkulturelle Öffnung der Partei ist auch ein Beleg für tätiges Handeln in Fragen der Gleichberechtigung und Teilhabegerechtigkeit.
Konsequenzen:
Vor dem Hintergrund breit geführter Debatten um die Integration Neuzugezogener plädieren BÜNDNIS 90/GRÜNE NRW für einen Ansatz, der auch in der politischen Arbeit alle Beteiligten gleichermaßen in die Verantwortung nimmt.
Wir wollen unsere Anstrengungen für eine zeitgemäße Ausrichtung der interkulturellen Öffnung unserer Partei verstärken.
Dafür bleibt das Thema auf der Agenda des Landesvorstandes. Gemeinsam mit der LAG Migration und Flucht wollen wir Strategien und konkrete Maßnahmen für mehr Interkulturalität entwickeln. In diesen Prozess soll die Analyse der LAG einfließen. Er soll der Breite der Debatte über strukturelle Maßnahmen zu einer verstärkten Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund gerecht werden.
Hierfür wird eine grüninterne Kommission „Interkulturelles GRÜN“ einberufen, die in Abstimmung mit der LAG Migration und Flucht und bei Bedarf unter Einbeziehung externer Sachverständiger arbeitet.
Die Gruppe tagt kontinuierlich und regelmäßig.
Sie legt dem Landesvorstand mit Ende der Beratungen ihre Vorschläge zum weiteren Vorgehen vor.
Neuste Artikel
Tim Achtermeyer kritisiert Entlassung von Bahar Aslan an der Polizeihochschule
Zu der Entlassung von Bahar Aslan an der Hochschule für Polizei und Verwaltung (HSPV) sagt Tim Achtermeyer, Landesvorsitzender der GRÜNEN NRW: „Bahar Aslan hat innerhalb weniger Stunden ihren Lehrauftrag entzogen bekommen. Sie hatte offenbar nicht mal die Möglichkeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen oder mit ihren Vorgesetzten zu sprechen. Ich erwarte mir von einem Arbeitgeber…
Achtermeyer/Brems/Schäffer/Zeybek: Grün macht den Unterschied
Seit der Landtagswahl in NRW ist am Montag, 15. Mai 2023, ein Jahr vergangen. Aus diesem Anlass erklären Tim Achtermeyer und Yazgülü Zeybek, Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NRW, sowie Wibke Brems und Verena Schäffer, Vorsitzende der GRÜNEN Landtagsfraktion: „Wir GRÜNE haben bei der Landtagswahl 2022 unser historisch bestes Ergebnis erzielt und haben die…
Zusammen das Beste geben: Mit Qualifikation, Teilhabe und Einwanderung mehr Fachkräfte gewinnen
Auf unserem Landesparteitag am Sonntag in Herne haben wir den Fachkräftemangel in den Fokus gerückt und gemeinsam Antworten und Lösungsansätze erarbeitet, um das Fachkräftepotential in NRW zu wecken. Unter anderem fordern wir mehr Möglichkeiten für bezahlte Praktika, eine Unterstützung für Unternehmen, flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten, den Ausbau von Azubiwohnheimen und modularisierte Ausbildungsformen zu stärken. Des weiteren…
Ähnliche Artikel
Corona
Vorsorge, Verlässlichkeit und gute Arbeit: Das Gesundheitssystem von morgen gestalten
Beschluss der LDK in Dortmund am 21./22.08.2021 Beschluss als PDF Deutschland und NRW haben nach wie vor eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Doch schon vor der Corona-Krise war deutlich, dass wir vieles ändern müssen, damit alle Menschen in unserem Land gut versorgt sind und gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen haben – in allen Wohnorten und…
Forschung
Weckruf aus der Wissenschaft: Wir sind Hanna!
Beschluss der LDK in Dortmund in 21./22.08.2021 Beschluss als PDF 1. Wissenschaft & Forschung brauchen gute Rahmenbedingungen Ob bei der Erforschung des Klimawandels, der Entwicklung von Impfstoffen oder der Aufklärung von Verschwörungsmythen – Wissenschaft und Forschung sind von elementarer gesellschaftlicher Bedeutung! Mit der höchsten Dichte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Europa, sollte der Forschungs- und…
Land
Zukunft ländlicher Raum 4.0
Beschluss der LDK in Dortmund am 21./22.08.2021 Beschluss als PDF Ökologisch nachhaltig, sozial gerecht und zukunftsfähig! Ein ländlicher Raum, in dem die Menschen gut und gerne leben – dafür arbeiten wir Grüne. Uns geht es darum, das Versprechen gleichwertiger Lebensverhältnisse überall in unserem Land Realtität werden zu lassen. Aber dafür braucht es aktive Politik anstelle…