Beschluss der LDK am 14.-15.06.2019 in Neuss
Es vergeht kein Tag in NRW, an dem nicht ein Kind an der Hand der Mutter in einem Frauenhaus Zuflucht suchen muss. Beide sind Opfer von Gewalt geworden. Diese Kinder werden die Erlebnisse ihr ganzes Leben nicht wieder los und leiden besonders unter den Folgen. Ihnen auf sie zugeschnittener Weise zu helfen hat darum größte Priorität. Kinder mit traumatischen Erlebnissen müssen adäquat aufgefangen werden, um psychischen Folgen von Angstzuständen bis Selbstmordgedanken zu begegnen.Daher sind gezielte Maßnahmen notwendig, die traumasensible Arbeit mit den im Frauenhaus lebenden Mädchen und Jungen zu fördern und weiter zu entwickeln. Im Zuge des notwendigen Ausbaus der Frauenhausplätze ist es dringend erforderlich, sozialpädagogische Fachstellen für die Arbeit mit den im Frauenhaus lebenden Mädchen und Jungen in die Landesförderung aufzunehmen.
Der Schutz von Frauen und ihren Kindern vor Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Frauenhäuser leisten im Bereich des akuten Gewaltschutzes einen wichtigen Beitrag. Dieser Verantwortung gerecht zu werden, muss auch endlich durch eine auskömmliche Finanzierung der Frauenhäuser nachhaltig sichergestellt werden. Seit Eröffnung der ersten Frauenhäuser vor über 40 Jahren besteht ein fortwährender Kampf um die Anerkennung der Arbeit mit den im Frauenhaus lebenden Mädchen und Jungen. Barbara Steffens ermöglichte als Ministerin durch gezielte Förderung die notwendige Traumapädagogische Fortbildung der Mitarbeiterinnen im Mädchen-und Jungenbereich. Im Zuge des Regierungswechsels wurde diese Förderung gestrichen. Ministerin Scharrenbach hat angekündigt in den Frauenhäusern 50 neue Plätze für Frauen und Kinder zu schaffen (legt man die Istanbul Konvention zu Grunde fehlen in NRW rund 1200 Familienplätze), eine Aufstockung der Landesförderung für Personalkosten ist mit den zusätzlichen Plätzen nicht verbunden. Seit Jahrzehnten ist die Personalsituation in den Frauenhäusern unzureichend. Die Landesförderung ist nie an den tatsächlichen Bedarf angepasst worden, während die Arbeit immer umfangreicher wurde. Zwar haben wir die Mittel im Bereich Gewaltschutz in unserer Regierungszeit verdoppelt, dazu gehörte allerdings auch die Rücknahme der Streichung der vierten Frauenhausstelle durch die schwarz-gelbe Landesregierung im Jahr 2006.
Eine vom Bundesfrauenministerium im September 2004 veröffentlichte erste repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland kommt zu dem Ergebnis, dass rund 25% der in Deutschland lebenden Frauen zwischen 16 und 85 Jahren körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides durch aktuelle oder ehemalige Beziehungspartner*innen erlebt haben. Demnach betrifft Häusliche Gewalt Frauen jeder Altersstufe, Nationalität, ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, Schichtzugehörigkeit und Bildungsstufe (vgl. BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, 2004). Die ersten Erfahrungen in der Arbeit mit den Frauen machten deutlich, dass auch Mädchen und Jungen Opfer von Gewalt sind, sei es selbst – oder miterlebte Gewalt. So gaben in der oben zitierten Studie 60% der befragten Frauen an, in einer Paarbeziehung mit Kindern zusammengelebt zu haben, 57% der Befragten, dass die Kinder die Situation gehört hätten und 50%, die Kinder hätten sie gesehen. Jedes zehnte Kind wurde dabei selbst körperlich angegriffen (vgl. BMFSFJ, 2004, S. 228). Das Miterleben von Gewalt ist ähnlich oder gleich traumatisch für Kinder, wie selbst erfahrene Gewalt. Daher ist es wichtig, Kinder als eigenständige Opfer wahrzunehmen und sie als solche mit spezifischen Angeboten zu schützen und zu unterstützen. Häusliche Gewalt stellt immer eine Form der Kindeswohlgefährdung dar. Die Arbeit mit Mädchen und Jungen im Frauenhaus muss immer der besonderen Situation der Einrichtung Frauenhaus als vorübergehendem Schutz- und Zufluchtsort Rechnung tragen. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die eigene Betroffenheit der Mädchen und Jungen.
Mädchen und Jungen aus Misshandlungsfamilien, die mit ihren Müttern ins Frauenhaus flüchten mussten, befinden sich gewöhnlich wie ihre Mütter in einer Krise. Sie haben durch bewusstes oder unbewusstes eigenes Erleben den gewalttätigen Vater mitertragen und waren selbst psychischer oder physischer Gewalt oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Sie sind oft in hohem Maße verunsichert und haben erfahren müssen, wie schutz-, hilflos und ohnmächtig sie sein können. Instabile häusliche Verhältnisse, wenig verlässliche Alltagssituationen und unberechenbare Reaktionen Erwachsener haben häufig dazu beigetragen, den Mädchen und Jungen die für ihre Entwicklung notwendige Orientierung zu erschweren. Die hieraus resultierende Ungewissheit über das, was als nächstes passieren wird, kann ein Nährboden für Ängste und möglicherweise Verhaltensauffälligkeiten sein. Die besondere Lebenssituation im Frauenhaus bedeutet für die Kinder neue, ungewohnte Verhältnisse. Auch wenn die Flucht vor dem gewalttätigen Vater oder Partner der Mutter als Entlastung empfunden wird, kann die Trennung von ihm und dem gewohnten sozialen Umfeld sehr schmerzlich und ambivalent erlebt werden. Die Arbeit mit den Kindern im Frauenhaus muss dieser besonderen Lebenssituation der Kinder Rechnung tragen und sie unterstützen. Kinder haben niemals Schuld an Gewalt und sie haben auch keine Schuld an einer Trennung der Eltern. Das Miterleben von Gewalt kann tiefgreifende traumatische Folgen haben und die Entwicklung von Kindern massiv beeinträchtigen. Psychischen Folgen und Traumata wie massive Angstzustände, Depressionen, Nervosität, Scham- und Schuldgefühlen, Alpträumen und Schlaf – und Essstörungen, Aggressionen gegen sich selbst und andere, Selbstmordgedanken oder –Versuche äußern, sind häufig weniger offensichtlich als physische Verletzungen.
Frauenhäuser bieten nicht nur gewaltbetroffenen Frauen in akuten Gewaltsituationen Schutz und Zuflucht, sie sind auch ein Schutzort für Kinder, die mit ihren Müttern vor häuslicher Gewalt fliehen. Um sie bestmöglich unterstützen und stabilisieren zu können, müssen Frauenhäuser aber auch die Ressourcen für die spezielle Arbeit mit traumatisierten Kindern haben. Äußere Sicherheit für Mutter und Kind, stützende Systeme ebenso sichere Bindungen wie auch unterstützende Personen im Umfeld, Wertschätzung und Vertrauen wirken als Schutzfaktoren. Die Anforderungen an die pädagogischen Leistungen der Mitarbeiterinnen im Frauenhaus sind sehr hoch. In der Arbeit treffen sie auf Kinder im Alter von 0-18 Jahren, verschiedene Nationalitäten mit unterschiedlichen Sprachen, sie finden unterschiedliche kognitive und emotionale Ausgangslagen vor und die Kinder zeigen verschiedene Bewältigungsstrategien. Absolute Priorität ist die Stabilisierung der Mädchen und Jungen. Jedes einzelne Mädchen und jeder einzelne Junge muss individuell in den Blick genommen werden um die Stärken, die Kompetenzen und das Potential zu erkennen und zu fördern. Traumasensibles Arbeiten bedeutet so zu handeln, dass ein traumatisiertes Kind keinen weiteren Schaden nimmt. Voraussetzung dafür ist das Wissen um Traumata und seine Bedeutung, denn die traumasensible Arbeit ist Voraussetzung und Bedingung für die Wirksamkeit gesundheitsfördernder und stärkender Arbeit mit den Mädchen und Jungen im Frauenhaus. Daher ist es genauso wichtig, den Frauenhäusern und ihren Mitarbeiterinnen die Ressourcen für Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen im Bereich des Umgangs mit traumatisierten Kindern zu geben, wie für den Bereich der Supervision.
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