In einem gemeinsamen Gastbeitrag für die taz fordern Mona Neubaur und Oliver Krischer: Bevor RWE wieder Heimat wegbaggert und Menschen enteignet werden, müssen die Gerichte entscheiden. Bis dahin braucht es ein Moratorium für die bedrohten Dörfer – es dürfen keine weiteren Fakten per Bagger geschaffen werden.
Hier die Langversion des gemeinsamen Gastbeitrags:
Peter Altmaier und Armin Laschet haben eine historische Chance verspielt: Sie haben das Ergebnis der Kohlekommission nicht wie versprochen 1:1 umgesetzt sondern es einseitig zu Lasten des Klimaschutzes gerupft. Das ist nicht nur ein Problem für den Klimaschutz an sich und den deutschen Beitrag zur Umsetzung des Pariser Abkommens. Es befriedet auch nicht den jahrzehntelangen Konflikt um die Kohle im Rheinischen Revier. Denn niemand versteht, warum Menschen trotz Kohleausstieg aus ihren Dörfern vertrieben und enteignet werden. Bundes- und Landesregierung war RWE wichtiger als Klimaschutz und gesellschaftlicher Frieden.
Kampf um jeden Quadratmeter
Gottesdienste, Mahnwachen, Proteste – um jeden Quadratmeter der bedrohten Dörfer kämpfen deren Einwohner aktuell. Am Sonntag (30.08.) findet eine Großdemo am Tagebau statt. Jetzt reichen Anwohner Klagen ein, wollen notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, um ihre Heimat vor den Baggern zu retten. Sie wollen zurecht geklärt haben, ist es trotz Kohleausstieg und Pariser Klimaabkommen mit der Verfassung vereinbar, Menschen ihres Eigentums und ihrer Heimat zu berauben. Dass RWE sich davon nicht beeindrucken lässt, war zu erwarten.
Der Protest wächst, das Tempo der RWE-Abrissarbeiten entsprechend auch. Der Konzern versucht wieder einmal Fakten zu schaffen. Ein verantwortungsvoller Ministerpräsident hätte vielleicht aus seinen Fehlern beim Hambacher Wald gelernt und würde versuchen den Konflikt zu befrieden. Bis zur Entscheidung der Gerichte brauchen wir ein Moratorium für die bedrohten Dörfer. Es dürfen keine weiteren Fakten geschaffen werden.
Hoffnung auf Laschet vergebens
Aber die Hoffnung auf Armin Laschet ist wohl vergebens. Hand in Hand agieren der CDU-Ministerpräsident und der Energiekonzern RWE ja schon länger, erinnert sei an den Hambacher Wald. Aber wie die sie sich in den vergangenen Monaten die Bälle zugespielt haben, um möglichst lange die Kohle aus dem Tagebau Garzweiler zu fördern und dabei möglichst vielen Menschen den letzten Rest Heimat weg zu baggern, erreicht neue, bislang ungekannte Tiefen. Es war Laschet, der auf Drängen des Energieriesen für den Tagebau Garzweiler ein absolutes Novum durchsetze. Erstmals wird in einem Bundesgesetz mit Garzweiler ein Tagebau explizit erwähnt und für energiepolitisch notwendig erklärt. Eine Begründung dafür sucht man vergebens. Per Gesetz soll den Menschen in fünf Dörfern die Heimat gestohlen werden. Denn trotz Pariser Klimaabkommen, trotz Klimaprotesten und trotz inzwischen 50% erneuerbaren Energien im deutschen Stromnetz sollen Menschen und ihre Dörfer weichen. Gleichzeitig verkleinert RWE den benachbarten Tagebau aus rein betriebswirtschaftlichen Erwägungen erheblich, obwohl dort weder Wald oder Dörfer zerstört werden müssten. Konzernprofit geht vor Heimat und Eigentum.
2014 haben die Grünen gegen den erbitterten Widerstand von CDU, SPD und FDP im Landtag die erste Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler politisch durchgesetzt. 1.500 Menschen behielten ihre Heimat und entgingen Enteignung und Vertreibung. 400 Millionen Tonnen Kohle blieben der Atmosphäre als CO2 erspart. Aber das reicht nicht. Zwar gibt es jetzt das Pariser Klimaabkommen, aber die Klimakrise verschlimmert sich Jahr für Jahr. Nach zwei Dürre-Sommern war 2020 auch der Frühling zu trocken, unser gemäßigtes Klima schlägt um. Auch weltweit sind die Zeichen unübersehbar. Von den brennenden Wäldern in Brasilien und Australien bis zum auftauenden Permafrost in Sibirien und dem schmelzenden Eis in der Arktis: Unsere Erde überhitzt, das Tempo nimmt zu, die Zeit zum Gegensteuern wird knapp.
Bestandsschutz für fossile Geschäftsmodelle
Wir müssen endlich das Pariser Klimaabkommen von 2015 ernst nehmen. Dass man angesichts dessen einen Bestandsschutz für Kohlebagger und fossile Geschäftsmodelle bei RWE absichern will, ist nicht mehr zu rechtfertigen.
Zahlreiche Studien und Untersuchen belegen, dass die Kohle unter den bedrohten Dörfern nicht abgebaggert werden darf, wenn Deutschland seine in Paris völkerrechtlich festgeschriebenen Klimaziele erfüllen soll. Wenn Bundes- und Landesregierung ihre selbst eingegangen Verpflichtungen und Absichtserklärungen ernst nähmen, müssten die sieben Dörfer stehen bleiben. Die Klagen der betroffenen Menschen sind deshalb mehr als berechtigt. Die Frage ist, ob nach möglicherwiese erfolgreichen Klagen überhaupt noch etwas übrig ist von den bedrohten Dörfern. Aus den beiden Dörfern Manheim und Morschenich am Tagebau Hambach wurden die Menschen vertrieben und die meisten Häuser zerstört. Und nun werden sie gar nicht für den Kohleabbau in Anspruch genommen. Das darf sich in Garzweiler nicht wiederholen. Deshalb dürfen keine weiteren Fakten vor letzten endgültigen Entscheidung der Gerichte geschaffen werden.
Wer gesehen hat, mit welchem Eifer und mit welcher Unterstützung der Staatsmacht in den vergangenen Tagen eine Landstraße abgerissen wurde, die frühestens in einigen Jahren dem Tagebau im Wege steht, der erkennt, dass es RWE und Landesregierung erneut nicht um eine Befriedung der Situation geht. Erneut geht es darum, vor möglichen Gerichtsentscheidungen Fakten zu schaffen.
Alles erinnert an den Hambi
Alles an diesem Vorgehen erinnert an den Hambacher Wald: Mit dem Kopf durch die Wand ging es gegen Widerstand und berechtigte Interessen der Menschen, obwohl noch Gerichtsverfahren offen sind. Beim Hambacher Wald führte das zum größtem und teuersten Polizeieinsatz der NRW-Geschichte, 50.000 Menschen demonstrierten gegen Laschet und den RWE-Konzern und am Ende stoppte ein Gericht beide. Dass RWE aus dem dortigen Desaster nichts lernen würde, war zu erwarten.
Dass aber Laschet und seine schwarz-gelbe Landesregierung zum zweiten Mal kein Interesse an einer Befriedung des Konfliktes bis zum abschließenden Urteilsspruch hat, macht sprachlos. Hier versagt ein Ministerpräsident, die sich doch um einen Ausgleich der Interessen und eine Befriedung jahrzehntealter Konflikte kümmern müsste. Wenn Laschet die RWE-Bagger schon nicht aus Klimaschutz-Gründen stoppen will, dann sollte er es im Interesse einer Konflikt-Deeskaltion tun. Alles andere ist unverantwortlich.
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