LDK-Beschluss

NRW-Lehrkräfteausbildung in das 21. Jahrhundert holen!

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz am 30. Juni 2024.

Tausende Lehrer*innen in NRW arbeiten jeden Tag für mehr Chancen und Bildungsgerechtigkeit. Sie sind der Schlüssel zur Bildung und engagieren sich mit Herzblut. Dabei möchten wir sie noch stärker unterstützen, und dazu gehört eine bestmögliche Chance der Ausbildung. Wir wollen die Lehrkräfteausbildung endlich den aktuellen Erfordernissen und Bedarfen anpassen. Wir wollen die Ausbildung unserer Lehrer:innen in das 21. Jahrhundert holen!

Einiges läuft schief in der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer in NRW – vieles schon seit langer Zeit, andere Dinge sind erst durch die neuerlichen Herausforderungen zutage getreten. Wir GRÜNE fordern schon seit Langem, das System Schule als Ganzes fit für das 21. Jahrhundert zu machen. Die Einführung des Praxissemesters ist, neben kleineren Änderungen an der OVP, den Lehrplänen im Referendariat und der Zusammenlegung des Eignungs- und des Orientierungspraktikums, die einzige Reform gewesen, die den Namen verdient hat.

Das Feedback zeigt, dass diese Reform neben positiven auch negative Effekte mit sich brachte. Es wird Zeit, die Rückmeldungen aus den Unis, Schulen und Seminaren, von Professor*innen, Student*innen und Lehrer*innen in die Realität zu überführen. Es wird Zeit für einen neuen Aufschlag im Bildungsbereich. In diesem Antrag möchten wir GRÜNE Forderungen sammeln, die die LAG Bildung in monatelanger Arbeit mit Stakeholdern im Bereich Lehramtsausbildung und in Zusammenarbeit mit der LAG Hochschulpolitik, besprochen hat. Wir fordern GRÜNE im Parlament und der Regierung auf, auf die Umsetzung dieser Punkte hinzuwirken.

 

Ausreichende Ausbildung in den Universitäten und Attraktivität des Studiums sichern

Die Prognosen der Bedarfe sind für Universitäten oft undurchsichtig, es findet teilweise eine starke regionale Unterversorgung von speziellen Bildungsgängen statt. Die Landespolitik, insbesondere das Ministerium für Schule und Bildung, muss in Zusammenarbeit mit den Hochschulen ausreichend und am regionalen Bedarf orientierte Plätze in Lehramtsstudiengängen für NRW bereitstellen. Diese Studiengänge müssen optimal auf den zukünftigen Beruf vorbereiten, praxisnah und attraktiv gestaltet sein, damit ausreichend Lehrkräfte ausgebildet und für den zukünftigen Beruf gewonnen werden können. Hier sind ein guter Dialog mit den Hochschulen, das Schaffen von guten (Studien)Strukturen und Anreizen wichtig. Hier muss es zu einem Interessenausgleich zugunsten der Lehrkräfteversorgung kommen. Es fehlen bereits jetzt etliche Lehramtsstudienplätze an den Hochschulen. Das wollen wir ändern. Gleichzeitig müssen mehr Menschen für die Aufnahme eines Lehramtsstudiums gewonnen werden, damit der Bedarf an Lehrkräften nachhaltig gedeckt werden kann. Aus diesem Grund sollte die Durchlässigkeit der Studiengänge erhöht werden. So können für das Lehramtsstudium geeignete Wechsler*innen und Abbrecher*innen, aber auch Absolvent*innen mit Bachelorabschlüssen aus fachnahen Studiengängen, auch von Fachhochschulen, für das Studium gewonnen werden. Ein weiteres Augenmerk sollte auf berufsbegleitenden und weiterbildenden Studiengängen/ Teilzeitstudiengänge/ Studieren mit besonderen Bedürfnissen (Kinder, Pflege etc.) liegen. Darüber hinaus sollten Lehramtsstudierende besser in die Schulen insbesondere am Studienort eingebunden werden, auch um in der Praxis mehr engagierte und tatkräftige Menschen im System zu ermöglichen.

Wir fordern:

  • regional nachvollziehbare und öffentliche Bedarfsprognosen für die einzelnen Lehrämter
  • regelmäßige landesweite Werbeaktionen aus Landesmitteln für das Lehramtsstudium auf den Bildungsmessen, über “Kein Abschluss ohne Anschluss” (KAoA) und in der Öffentlichkeit
  • eine bessere Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium und den Hochschulen
  • Anreize und Förderprogramme für die Überarbeitung bestehender Lehramtsstudiengänge und die Einführung von neuen innovativen Studiengängen
  • die regionsnahe Ausbildung von Lehramtsstudierenden, sodass das Lehrerausbildungsgesetz (LABG) und die Leistungsorientierte Mittelverteilung (LOM) nicht gegeneinander ausgespielt werden
  • eine unbürokratische, schnelle Überprüfung bestehender Lehramtsstudiengänge mit einer Strategie gegen überdurchschnittliche Studienabbrüche im Lehramtsstudium und um dieses Phänomen engmaschig zu monitoren
  • für die meisten Studierenden qualitativ hochwertige und vielfältige Lehramtsstudiengängen in der Region
  • verpflichtende pädagogische Bestandteile im Bachelor- und Masterstudiengang, sowie in der zweiten Ausbildungsphase angehender Lehrer*innen, die Sensibilitäten und Kompetenzen im Umgang mit kulturell und sprachlich heterogenen Klassen, sowie dem Thema Rassismus und Diskriminierungserfahrungen von BIPoc-Schüler*innen und Lehrer*innen vermitteln.

 

Junglehrkräfte fit für die Zukunft machen

Es ist beinahe eine Binsenweisheit: „Was wir in der Uni lernen, brauchen wir im Job niemals wieder“. Wir teilen die Pauschalität dieser Aussage nicht. Es muss immer eine universitäre Phase der Lehramtsausbildung geben, unsere Lehrer*innen müssen in der Lage sein, ihren Alltag theoriegeleitet reflektieren zu können.

Dazu braucht es den Input aus dem Seminarraum. Dennoch braucht es auch im Studium regelmäßig den Input aus dem Klassenraum.

Wir fordern daher:

  • Hospitation, Co-Teaching und Unterricht unter Anleitung bereits im Studium verstärkt durchzuführen, indem Lehre an der Universität mit Ausbildung am Zentrum für schulpraktische Lehrkräfteausbildung (ZfsL) und der Schule auch im Bachelor miteinander verschränkt werden
  • Bildungswissenschaftliche Theorien in der Realität beobachten zu können, indem Kooperationen zwischen Unis und Schulen gefördert werden, zum Beispiel im Förder- und Nachmittagsbereich
  • Reflexion der Handlung im Lernort Schule für Lehramtsstudierende in den Mittelpunkt zu rücken
  • Fachleiter*innen in Durchläufen mit weniger Referendaren projektweise an der Uni arbeiten zu lassen
  • weitere Strategien zur Verbesserung der Betreuungsrelation entwickeln

 

Lehramtsstudierende frühzeitig als Ressource sehen und mit Hilfe multiprofessioneller Teams ins System integrieren

Es herrscht Lehrkräftemangel. In vielen Fächern muss regelmäßig Unterricht ausfallen, weil Fachlehrer*innen fehlen – 2024 war es eine von 5 Schulstunden. Andererseits finden Lehrende in Überflussfächern längere Zeit keinen festen Job. Dieses Spannungsfeld ist jungen Lehramtsstudierenden auch vor der Fächerentscheidung bewusst. Es ist wichtig, dass Lehramtsstudierende auch außerhalb des Systems Schule Erfahrungen machen – es ist aber ebenso wichtig, dass Ihnen Angebote gemacht werden, sich mit dem System bekannt zu machen. Aktuell ist es so, dass alle Lehramtsstudierenden mit Studijobs außerhalb des Bildungssektors einen Verlust für unser Bildungssystem darstellen, den wir nicht verkraften können. Kurzfristig sind Studierende eine wichtige Ressource, da sie gezielte und qualifizierte Angebote gestalten können.

Daher fordern wir:

  • multiprofessionelle Teams (MPTs) an allen Schulformen und -standorten etablieren, beginnend mit dem schwächsten schulscharfen Sozialindex
  • Schulleitungen die Freiheit lassen, wen sie einstellen und ihnen schulscharf Budgets bereitstellen
  • Schulleitungen die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, ob sie IT-, Verwaltungs-, oder Förderexpertise an ihre Schule holen möchten
  • proaktiv ein Landesportal für MPT-Stellen bereitstellen

 

Querschnittsthemen als solche behandeln: schulformübergreifende Ausbildung stärken und fächerübergreifende Thematiken gemeinsam vermitteln

Die Trennung zwischen den Schulformen ist eine zufällige. Dennoch führt sie zu Schranken im Kopf, wenn Lehrkräfte der Primar- oder Sekundarstufe nebeneinander das Gleiche lernen. Inklusion, Digitalisierung und Differenzierung sind Themen, die alle Lehrkräfte kompetent behandeln können müssen. Wir halten es für bereichernd, wenn ein Sek-II Lehrer sich mit der Grundschullehrkraft austauschen kann und sie sich gemeinsam fortbilden können. Wir finden es wichtig, dass sich Fachlehrkräfte unterschiedlicher Fächer über ihre Herangehensweise mit dem
gleichen Unterrichtsgegenstand austauschen. Nur so können wir beginnen, die großen Probleme in den Übergängen zwischen den Schulen auszugleichen, nur so kann der so wichtige fächerübergreifende Unterricht durchgeführt und geplant werden.

Ein Kernproblem ist auch, dass die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung sehr unterschiedlich ausgestattet sind. Fachleiter*innen für Gymnasien haben andere Arbeitszeiten und eine andere Besoldung als solche für Realschulen oder die Grundschule. Dabei sind die Berufsfelder beinahe identisch. Manche ZfsL bieten alle Lehrämter an, andere sind deutlich kleiner und haben ein deutlich begrenzteres Angebot.

Wir fordern:

  • nicht zwingende Trennungen zwischen den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der einzelnen Lehrämter aufzuheben
  • die wohnortnahe Lehramtsausbildung zu stärken, indem allen
    Seminarstandorten ermöglicht wird, alle Lehrämter auszubilden
  • die Besoldung und finanzielle Ausstattung der unterschiedlichen Lehrämter und deren Fachleitungen anzugleichen
  • Zentren für schulpraktische Lehrkräfteausbildung ein von der Beschäftigtenzahl abhängiges, festes Budget zur Erkundung außerschulischer Lernorte zuweisen, das diese in Eigenverantwortung bewirtschaften dürfen
  • langfristig: die Zusammenlegung der Studienordnungen

 

Flexibilisierung der zweiten Ausbildungsphase durch modulare Strukturierung

Die zweite Ausbildungsphase ist aktuell der erste bezahlte Einstieg für Lehrkräfte in das Schulsystem. In der ersten, universitären Phase haben sie mit Ausnahme des Praxissemesters nur kurzen und vergleichsweise unstrukturierten Kontakt mit Schülerinnen und Schülern. Von vielen Lehramtsanwärter*innen wird die zweite Ausbildungsphase als übermäßig belastend erlebt. Wir können uns in der aktuellen Situation nicht leisten, dass eigentlich leistungsfähige, aber in dieser Situation über Gebühr belastete Menschen, den Beruf als Lehrkraft nicht ergreifen.

Die Bildungsforschung zeigt uns auch in anderen Bereichen, dass Fortschritte nicht im Gleichschritt erfolgen, sondern individuell sind. Diese Erkenntnisse müssen sich auch im Referendariat niederschlagen, um den Individuen in der Ausbildung auch individuell gerecht werden zu können. Gleichzeitig stellen wir auch klar, dass anderthalb Jahre Referendariat im Regelfall das Minimum an Ausbildungszeit in der zweiten Phase sein sollten.

Wir fordern daher:

  • die Flexibilisierung des Referendariats, sodass es zwischen 18 und 30 Monaten andauern kann
  • perspektivisch die Abkehr von festen Einstellungsdaten
  • die entsprechende strukturelle Aufstellung der ZfsL, um vom bisherigen Gleichschrittmodell ohne Fliehkräfte wegzukommen
  • die modulare Strukturierung der zweiten Phase der Lehramtsausbildung mit einer Orientierung an den Bedürfnissen der Lernenden
  • Hilfen und Verfahren für BIPoC-Referendar*innen und Lehrer*innen, die in ihrer Ausbildung und am Arbeitsplatz mit Rassismuserfahrungen konfrontiert sind.

 

Lehrkräfte nicht in den Burnout entlassen: die dritte Ausbildungsphase aktiv ausgestalten!

Nach dem Referendariat, nach der Ausbildung ist das Lernen der Lehrkräfte nicht vorbei. Das ist bereits jetzt eine Selbstverständlichkeit. Leider wird es nicht ausreichend gelebt und gefördert.

Wir fordern:

  • Schulen mit ausreichend Aus- und Fortbildungsbudgets ausstatten und die Zahl der zugestandenen Fortbildungstage erhöhen
  • Fortbildungen zentraler (z.B. über das MSB/ das QuaLis) organisieren, und die Bezirksregierungen aus dieser Verantwortung entlassen
  • Schulen verpflichtend mit Onboardingkonzepten und -beauftragten ausstatten
  • Onboardingsphasen für alle Neueinstellungen und Neuankömmlinge an Schulen verpflichtend machen
  • die Flexibilisierung von Prüfungsmodellen und -formen schulscharf ermöglichen
  • Fortbildungsangebote konsequent in das Lehrkräfteleben integrieren, auf die Stunden anrechnen und strukturell fördern
  • perspektivisch die Korrekturbelastung durch Entlastungsstunden auszugleichen
  • langfristig die Stundenzahl aller Lehrkräfte in NRW zu verringern, sobald die aktuelle Krisensituation sich gelegt hat
  • In einem ersten Schritt Vertrauenspersonen an jeder Schule zu benennen, an die sich Schüler*innen und Lehrkräfte mit Diskriminierungserfahrungen wenden können.

 

Pilotprojekte „Ein-Fach-Lehrkraft“ und duale Lehrkräfteausbildung ermöglichen

Letztendlich kommt aber auch immer wieder ein Argument auf, dem wir uns nie ganz verschließen konnten: Die zunehmende Verschränkung von Theorie und Praxis schreit gerade danach, einen dualen Studiengang anzubieten. Wir wollen prüfen, wie Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) sich in die Lehrkräfteausbildung einbringen können und stärken insbesondere die Ausbildung von Berufsschullehrkräften an HAWen. Außerdem kann die Attraktivität des Studiengangs Lehramt auch von den Anforderungen abhängen, unbedingt zwei Fächer studieren zu müssen. Gerade in Mangelfächern sollte es möglich sein, Studiengänge mit entsprechend weniger Credit Points anzubieten oder Masterstudiengänge auf Fachbachelor bzw. -masterabschlüsse aufsatteln zu lassen.

Dieser Bereich ist kaum erforscht und Vor- und Nachteile sind schwer abzusehen. Wir fordern daher, Pilotprojekte für diese Vorhaben in Zusammenarbeit mit ausgewählten ZfsL, Unis und Schulen zu ermöglichen, beginnend in der Primarstufe. Diese Projekte sollen fortlaufend wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden.

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