LDK-Beschluss

Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Staat, Familien und Wirtschaft Hand in Hand

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz am 29. Juni 2024.

Die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist gerade immer wieder Thema gesellschaftlicher Debatten. Und das ist gut so. Es wird Zeit, dass die Belange von Familien ins Zentrum gerückt werden und dabei gemeinsam konstruktiv nach Lösungen gesucht wird – mit einem umfassenden Blick auf die Chancen, aber auch Herausforderungen, die Vereinbarkeit mit sich bringt.

Der Wunsch, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten und dabei alle Lebensbereiche wie Kinder, Erwerbstätigkeit, die Pflege von Angehörigen, Hobbies, Ehrenamt u.v.m. vereinbar gestalten zu können, ist groß. Dabei ist die Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen und das soziale Engagement nicht nur von persönlicher Relevanz, sondern im Sinne der sozialen Produktivität, auch von gesamtgesellschaftlich großer Bedeutung. [1]

Eine einseitige Verteilung in der Partnerschaft von Care-Arbeit auf der einen und Erwerbstätigkeit auf der anderen Seite lehnen viele Familien in der heutigen Gesellschaft ab. Traditionelle Rollenverteilungen werden aufgeweicht und eine Gleichberechtigung in der Verwirklichung von Lebenszielen und der Aufgabenteilung angestrebt. Doch in der Realität stellt die Vereinbarkeit viele vor vielfältige Herausforderungen, die nicht immer aufgelöst werden können. Die Konsequenz daraus ist oftmals, dass ein Elternteil, in der Regel die Mütter, die Erwerbstätigkeit einschränkt und die Hauptlast für die Care-Arbeit trägt. Neben dem Wert einer gleichberechtigten Partnerschaft ist dies insbesondere auch vor dem Hintergrund des vorherrschenden Fachkräftemangels verehrend. Vereinbarkeit ist jedoch als eine Chance für alle beteiligten Akteur*innen zu werten. Kinder gehören in den Blick.

Aktuelle Lage

Es vergeht kaum ein Tag, in dem nicht über das Thema Fachkräftemangel gesprochen wird. Doch was ist unter dem Begriff Fachkräftemangel konkret zu verstehen? Laut der Internetseite des IAB-Forums wird der Fachkräftemangel wie folgt definiert: „Fachkräftemangel herrscht typischerweise, wenn eine bedeutende Anzahl von Arbeitsplätzen nicht besetzt werden kann, weil auf dem Arbeitsmarkt keine entsprechend qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden sind.“[2]

In einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit wurden 2022 für 200 der rund 1200 bewerteten Berufe ein Engpass festgestellt. Damit steigt die Zahl der Engpassberufe von 148 im Vorjahr deutlich an.[3]

Als eine Lösung für die Bekämpfung des Fachkräftemangels wird vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wiederholt die Erwerbstätigkeit von Frauen gesehen. „Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist das größte ungehobene wirtschaftliche Potenzial für Deutschland“, schreibt der DIW-Chef Marcel Fratzscher in einem Beitrag im Juli 2023.[4] Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, sei die Steigerung der Arbeitszeit von Frauen entscheidend, deutlich vor den Potentialen der Zuwanderung.[5]

Dennoch steigt die Zahl der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, weiter. Knapp jede zweite abhängig beschäftigte Frau leistet 2021 Teilzeitarbeit (45 Prozent) laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts. Definiert wird Teilzeit in der Studie mit einer Arbeitszeit von unter 32 Wochenstunden. Im Vergleich dazu haben nur 12 Prozent der Männer eine Teilzeitbeschäftigung. Frauen arbeiten also viermal so häufig in Teilzeit wie Männer.[6]

Warum ist das so?

Studien haben ergeben, dass Haushalte, in denen Paare ohne Kinder leben, die Care-Arbeit in etwa gleich auf Mann und Frau verteilen. In Haushalten mit einem Kind unter 12 Jahren sieht die Aufgabenteilung anders aus: hier übernimmt in 74,5% der Familien die Frau die meiste Care-Arbeit. Bei Haushalten mit einem Kind über 12 Jahren sind es „nur“ noch 64,5% der Frauen, die die Hauptsorgearbeit leisten. Bei der Verteilung der Care-Arbeit übernimmt in über 60% der Familien die Frau die meiste Verantwortung in der Betreuung der Kinder.[7] Diese Zahlen decken sich mit den Zahlen des Gender Care Gap, die ermittelt haben, dass Frauen 2022 knapp 30h in der Woche mit unbezahlter Arbeit verbringen, Männer dagegen nur knapp 21h.[8] Gleichzeitig wissen wir, dass Elterngeld im ersten Jahr nach der Geburt in fast 74% der Familien von der Mutter bezogen wird, nur in rund 26% vom Vater. In NRW nehmen dabei die Väter im Vergleich zum Schnitt in ganz Deutschland ganze 4 Monate Elternzeit und damit 0,4 Monate mehr als die Väter deutschlandweit (3,6 Monate).[9]

Ein weiterer Aspekt, der bei steigenden Kosten für eine Heimunterbringung von Senior*innen[10] zentraler wird, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Laut Zahlen des BMFSFJ von 2021 leben in Deutschland rund 3,7 Millionen Pflegebedürftige, von denen 80 Prozent von Angehörigen oder ambulanten Pflegediensten versorgt werden. 4 bis 5 Millionen Privatpersonen kümmern sich um einen pflegebedürftigen Angehörigen, davon sind 2/3 berufstätig.[11] Sie stehen vor großen Schwierigkeiten bei der Frage der Vereinbarkeit. Die gesamtgesellschaftliche Sensibilität und Sichtbarkeit ist dabei noch nicht so ausgeprägt wie bei der Frage zur Vereinbarkeit mit Kindern.

Gleichzeitig sinkt die Geburtenrate in Deutschland. Ökonomische Forschungsergebnisse zeigen, wie wichtig Investitionen in Strukturen für Familien und Kinderbetreuung sind, um diesem negativen Trend entgegen zu wirken.[12] Wir brauchen staatliche Anreize zur partnerschaftlichen Aufteilung von Beruf, Familie und Pflege. In einer gesamtgesellschaftlichen Strategie, bei der die Wirtschaft beteiligt ist, schaffen wir Erwerbsanreize, übrigens auch durch die Kindergrundsicherung.

Chancen der Vereinbarkeit

Vereinbarkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die von der Politik Rahmenbedingungen vorgegeben werden, die jedoch nicht für sich allein stehen – können. Ein Zusammenspiel von Haltung und Maßnahmen verschiedener Akteur*innen ist hier entscheidend, um Vereinbarkeit für Familien tatsächlich lebbar zu machen. Zentral ist dabei insbesondere die Frage von einer familienfreundlichen Unternehmenskultur auf der Arbeitsgeberseite und einer Sensibilisierung der Gesamtgesellschaft.

Chancen bietet die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf nicht nur für Familien, sondern auch für Arbeitgeber. Das Aufweichen von Geschlechterrollen hat neue Lebens- und Familienformen entstehen lassen, die mit einer eindeutigen Forderung nach Unternehmensstrukturen und Arbeitszeitmodellen einhergeht, um Familie und Beruf vereinbaren zu können.[13] Insbesondere in Zeiten vom Fachkräftemangel ist eine hohe Arbeitgeberattraktivität entscheidend, um Fachkräfte zu gewinnen und an sich zu binden. Eine familienfreundliche Unternehmenskultur kann hierzu essenziell beitragen und bringt Vorteile wie eine geringe Fluktuation, ein verbessertes Betriebsklima, eine höhere Leistungsbereitschaft, weniger Krankheitstage, einfachere Wiedereingliederung nach der Elternzeit u.v.m. mit sich.[14]

Grüne Forderungen

Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen, um Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Dazu gehört:

  1. Die Abschaffung des veralteten Ehegattensplittings, damit werden gleichberechtigte Lebensentwürfe benachteiligt und Frauen in die Rolle der Zuverdienerin gedrängt.
  2. Das Elterngeld muss gleichberechtigter zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden.
  3. Eine Einführung der Familienstartzeit: Wir wissen, dass Väter, wenn sie früh Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, auch später mehr Sorgearbeit leisten. Mit der Familienstartzeit wird die paritätische Elternschaft von Anfang an gefördert.
  4. Ein zentraler Baustein von Vereinbarkeit ist die Verlässlichkeit von familienergänzenden Betreuungsangeboten für Kinder. Dies ist nicht nur für die Frage von Vereinbarkeit zentral, sondern auch mit Blick auf Chancengerechtigkeit von Anfang an.
  5. Wir brauchen eine moderne Arbeitszeitpolitik, die sich auch an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientiert und Zeiträume entstehen lässt, in denen Zeit für Familie, Hobbys, Ehrenamt o.Ä. ist.
  6. Bei der Frage von Vereinbarkeit von Eltern sein und Beruf dürfen dabei aber nicht die aus dem Blick verloren werden, um die es geht: die Kinder. Das Kindeswohl muss im Zentrum unserer Vereinbarkeitspolitik stehen.
  7. Eine Kindergrundsicherung, die Erwerbsanreize schafft und Kinder nicht als „kleine Arbeitslose“ betrachtet.

Wir brauchen eine familien- und vereinbarkeitsfreundliche Haltung in der Gesellschaft, aber auch in den Unternehmen. Dazu gehören

  1. Vorbilder. Gerade in Vereinbarkeitsfragen ist die Vorbildrolle zentral. Die Rolle von Führung, von Leitung ist dabei entscheidend. Dazu gehört auch, dass es in Unternehmen nicht nur Vorbilder gibt, sondern diese auch in Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sensibilisiert sind.
  2. Vorteile der Vereinbarkeit für die Unternehmenskultur erkennen. Denn am Ende profitieren nicht nur pflegende Angehörige und Eltern von einer familienfreundlichen Unternehmenskultur, sondern alle Mitarbeiter*innen.
  3. durch die Verbesserung von Familienfreundlichkeit wird auch die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern gefördert.
  4. Einen Mutterschutz für Selbstständige, mit dem Ziel, Nachteile während der Schwangerschaft und in der Zeit nach der Entbindung abzubauen und Frauen in ihrer Selbstständigkeit zu fördern und zu unterstützen. Zurzeit stellt sich die Situation für Selbstständige Frauen mit Kinderwunsch schwierig dar: Beruf oder Familie ist oft die Prämisse. Selbstständige Frauen dürfen durch den Familienwunsch nicht benachteiligt oder gar in ihrer Existenz bedroht sein. Gleichzeitig ist es auch für die Wirtschaft von großem Interesse, wenn mehr Frauen gründen. Wir begrüßen daher die NRW-Bundesratsinitiative, die Mutterschutz auch für Selbstständige fordert.

    Ein gleichwertiger Mutterschutz muss finanziell sichergestellt sein, z.B. durch eine solidarische, Umlage-basierte Finanzierung, eine Finanzierung aus Bundesmitteln oder durch entsprechende Förderung von betrieblicher Vertretung.

  5. Pflegende Angehörige mit in den Blick nehmen und das bestehende Tabu aufbrechen. Angehörige zu pflegen, muss besprechbar werden und eine höhere Sichtbarkeit bekommen.

[1]Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland – Pfade der Veränderung, Ergebnisse der Arbeit der Expertenkommission Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland, 2015, S.37

[2]https://www.iab-forum.de/glossar/fachkraeftemangel/

[3]https://www.businessinsider.de/karriere/bundesagentur-fuer-arbeit-fachkraeftemangel-in-200-berufen/

[4]https://www.diw.de/de/diw_01.c.877664.de/nachrichten/weg_mit_diesem_ueberbleibsel_aus_dem_patriachat.html

[5]https://www.finanzen100.de/finanznachrichten/boerse/frauen-als-loesung-fuer-fachkraeftemangel-was-staat-und-unternehmen-tun-muessen_H1871197565_199538439/

[6]https://www.wsi.de/de/zeit-14621-teilzeitquoten-der-abhaengig-beschaeftigten-19912017-14748.htm

[7]https://www.beziehungen-familienleben.de/ergebnisse/wie-teilen-sich-maenner-und-frauen-die-arbeit-im-haushalt/#:~:text=Herk%C3%B6mmliche%20Hausarbeiten%20wie%20Waschen%2C%20Kochen,als%20die%20Frauen%20(4%25)

[8]https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/02/PD24_073_63991.html

[9]https://www.statistikportal.de/de/elterngeld

[10]https://www.deutschlandfunk.de/kosten-fuer-heimplatz-in-deutschland-steigen-weiter-100.html

[11]https://www.bmfsfj.de/resource/blob/161690/afd185be09cf84ad9a6e38fbd3ee637a/–pflegende-beschaeftigte-brauchen-unterstuetzung-data.pdf

[12]https://www.imf.org/en/Publications/fandd/issues/Series/Analytical-Series/new-economics-of-fertility-doepke-hannusch-kindermann-tertilt

[13]Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland – Pfade der Veränderung, Ergebnisse der Arbeit der Expertenkommission Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland, 2015, S.16

[14]https://www.kofa.de/personalarbeit/arbeitsorganisation/vereinbarkeit-von-familie-und-beruf/

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