Die Terroranschläge auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ sowie auf die Kund*innen und Beschäftigten eines jüdischen Supermarkts in Paris vom 7. Januar 2015 waren auch ein Angriff auf die zentralen Werte, wie Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit, aller freien und demokratischen Gesellschaften. Zudem richteten sich die Terrorangriffe von Paris wie die jüngsten Anschläge von Kopenhagen auch gezielt gegen das jüdische Leben.
Die vielen Millionen Menschen, die daraufhin auf die Straße gegangen sind, um ihre Solidarität mit den Opfern zu demonstrieren, haben deutlich gemacht: Die demokratischen Gesellschaften wenden sich gemeinsam gegen die menschenverachtenden Terrorakte und stehen auf für die uns einenden zentralen Werte. Wir GRÜNE in NRW nehmen diese Grundbotschaft auf. Wir wollen, dass Freiheit und Bürgerrechte gestärkt werden und nehmen das als Ausgangs- und Zielpunkt aller zu treffenden Maßnahmen. Darum fordern wir ein nachhaltiges Konzept mit einer starken Präventions-Komponente im Kampf gegen den Terrorismus und zur Gewährleistung von öffentlicher Sicherheit. Wir warnen vor allzu einfachen Erklärungsmustern und vorschnellen Reaktionen. Denn die Stärke unserer Demokratie liegt gerade in der entschlossenen, rechtsstaatlichen und besonnenen Reaktion auf derart grausame Akte. Zahlreiche der jetzt aufkommenden Vorschläge und „Lösungen“ richten sich aber gegen unsere Freiheit und unsere Bürgerrechte. Jeder Abstrich, den wir von diesen Werten mit unnötigen oder gar verfassungswidrigen Gesetzesverschärfungen machen, ist falsch und wäre ein nachträglicher Teilerfolg für die Terroristen.
Sicherheit im Dienst der Freiheit
Wir GRÜNE in NRW sehen mit Sorge, dass sich die Sicherheitslage speziell auch in NRW nach den Anschlägen von Paris verändert hat. Wir nehmen die Gefahr durch mögliche Nachahmungstäter*innen sehr ernst; denn es hat sich gezeigt, dass Anschläge nicht notwendigerweise aufwendig geplant werden müssen. Hundertprozentige Sicherheit wird es allerdings nie geben können, aber die vorhandenen rechtsstaatlichen Möglichkeiten zum Schutz gegen solche Gewalttaten müssen konsequent ausgeschöpft werden. Wir begrüßen daher das neue Sicherheitskonzept für NRW, nach dem die Sicherheitsbehörden durch personelle Verstärkung die vorhandenen Instrumente auch anwenden und umsetzen können. Dazu zählen die Einstellung von zusätzlichen 360 Polizeibeamt*innen sowie 25 Mitarbeiter*innen beim Verfassungsschutz. Als Sofortmaßnahme werden durch Umschichtungen bei der Polizei die Bereiche Staatsschutz, Observation und Fahndung sowie Objekt- und Personenschutz gestärkt.
Die Bundesregierung hingegen betreibt bei der inneren Sicherheit lieber Symbolpolitik als ihren eigentlichen Kernaufgaben nachzukommen. Statt dafür Sorge zu tragen, dass z.B. für Grenzkontrollen und Gefahrenabwehr ausreichend Personal zur Verfügung steht, möchte sie einen Ersatz-Personalausweis für mutmaßliche Terroristen einführen. Dieser „Terroristen-Perso“ bringt keinen Sicherheitsgewinn, denn schon heute kann eine Ausreisesperre verhängt werden, die bei Datenabgleich an den Schengen-Grenzen sichtbar wird. Zudem ist der „Terroristenperso“ sicherheitspolitisch kontraproduktiv: Mutmaßliche Terroristen werden durch die Aufforderung zum Austausch der Dokumente geradezu provoziert, ihre möglichen düsteren Pläne sofort in die Tat um zusetzen. Wir GRÜNE in NRW wenden uns gegen solch gefährliche Symbolpolitik und setzen auf gut ausgestattete Polizeiarbeit im Rahmen der rechtsstaatlichen Möglichkeiten. Denn die Probleme liegen nicht in einer fehlenden oder zu schwachen Gesetzgebung, sondern in der konsequenten Umsetzung bereits bestehender Gesetze, also im Vollzug.
Solide Sicherheitspolitik beruht dabei auf fundierten Bedrohungsanalysen, um die Probleme und Schwachstellen rechtzeitig identifizieren zu können. Wir fordern die Bundesregierung auf, regelmäßig eine mit den Ländern und international abgestimmte Bedrohungsanalyse zu erstellen, so dass die Akteure im Bereich innere Sicherheit einen gleichen Informationsstand haben und die Gefahr anhand klarer Begrifflichkeiten einordnen können.
Keine Experimente zu Lasten von Freiheit und Bürgerrechten in der Sicherheitspolitik
Aktuellen Forderungen aus den Unionsfraktionen, die auch aus Reihen unseres Koalitionspartners SPD Unterstützung finden, nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten sowie der Einführung eines EU-PNR (Vorratsspeicherung von Fluggastdaten) erteilen wir eine klare Absage. Diese Maßnahmen würden nicht nur den Urteilen des europäischen Gerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts sowie den EU-Grundrechten widersprechen. Sie bringen auch keinen sicherheitspolitischen Zugewinn. Wir wenden uns klar gegen jede Form der anlasslosen Massenüberwachung der Internet- und Telekommunikation durch Polizeien und Nachrichtendienste. Jede Person hat ein Recht darauf, ihre Kommunikation sicher zu schützen. Darum erteilen wir Forderungen nachEinschränkungen von Verschlüsselungstechniken eine klare Absage. Staaten, Unternehmen und Geheimdienste dürfen Verschlüsselung nicht durch Hintertüren in Soft- und Hardware abschwächen. Wir müssen vielmehr zusätzliche Aufklärung leisten, wie Bürger*innen ihre Kommunikation besser und umfänglich sichern können.
Prävention ist zentral im Kampf gegen Radikalisierung
Das größte Versäumnis bei der Bekämpfung des jihadistischen Terrorismus ist vor allem die durch den Bund vernachlässigte Präventionsarbeit im Bereich des Islamismus. Dabei muss immer bedacht werden, Prävention verhindert Straf- und Gewalttaten. Repressive Sicherheitsstrategien beginnen da, wo Prävention gescheitert ist. Wir GRÜNE in NRW fordern daher ein in Bund-Länder-Koordination abgestimmtes Präventions- und Deradikalisierungskonzept und dass alle politischen Themenbereiche bei der Präventionsarbeit gegen den sogenannten Neosalafismus einbezogen werden.
Lange Zeit hat man im Bundeshaushalt weit weniger als eine Million Euro für diesen Themenkomplex eingestellt. Langsam setzt sich hier auf Initiative der Bundesländer Umdenken durch. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Landesregierung NRW in diesem Bereich impulsgebend war und auf der Innenministerkonferenz vom 18. Dezember 2014 Prävention in den Fokus gerückt hat. In NRW wird die Präventionsarbeit langfristig und nachhaltig gestärkt.
Es sind vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, die sich radikalisieren. Die Strateg*innen sprechen junge Menschen über diverse Aktionen, soziale Medien und eine gezielte Jugendsprache an. Auf diesem Weg wollen sie Jugendliche erreichen, die sich ausgegrenzt fühlen und nach Halt und Identität suchen. Prävention gegen Radikalisierung muss auf politische Bildung und die Vermittlung demokratischer Werte sowie die Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe setzen.
Schulen und Jugendeinrichtungen müssen zentrale Partner*innen der Präventionsarbeit sein. Es ist notwendig, dass Demokratieerziehung und politische Bildung für ein offenes, respektvolles Miteinander und gegen menschenverachtende Ideologien ein thematischer Schwerpunkt in allen Bildungsinstitutionen ist und Teil eines fächerübergreifenden Curriculums. Friedenspädagogik und das globale Lernen müssen so ausgerichtet sein, dass sie viel mehr junge Menschen erreichen können. Denn die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, wie z.B. der Bürgerkrieg in Syrien, tragen zur Radikalisierung von jungen Menschen bei.
Für junge Menschen, die sich in einem Radikalisierungsprozess befinden oder drohen in einen hineinzugeraten, müssen deradikalisierende Strategien und Frühwarnsysteme entwickelt und angewendet werden, wie es bereits in der Praxis in NRW der Fall ist. So wurde gemeinsam mit einigen Kommunen das Präventionsprogramm „Wegweiser“ gestartet. „Wegweiser“ gibt es derzeit in den Städten Bochum, Bonn und Düsseldorf und es soll noch in diesem Jahr auf weitere Städte ausgeweitet werden. „Wegweiser“ steht sowohl den sich radikalisierenden Personen als auch deren Umfeld zur Beratung zur Verfügung, außerdem wird ein breites gesellschaftliches Netzwerk vor Ort gebildet, in das auch die muslimischen Gemeinden als Bündnispartner einbezogen werden. Für bereits radikalisierte, teils aus Syrien und dem Irak zurückgekehrte gewaltbereite Islamist*innen ist seit dem zweiten Halbjahr 2014 zudem ein Aussteiger*innenprogramm beim Verfassungsschutz eingerichtet.
Wichtig ist zudem, die wissenschaftliche Forschung zum Salafismus auszubauen. Derzeit gibt es bundesweit kaum Untersuchungen über Ursachen, Motivation und mögliche Ausstiegsgründe. Auch mit der Funktion und Bindungswirkung von Frauen in der salafistischen Szene müssen wir uns dringend auseinandersetzen. Hier bedarf es genderspezifischer Präventionsangebote. Darüber hinaus muss es Maßnahmen zur Deradikalisierung und einen Ausbau der muslimischen Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten geben.
In einem breiten Bündnis gegen den gewaltbereiten Islamismus
In NRW werden etwa 1.900 Personen (bundesweit 7.000) dem gewaltbereiten, verfassungsfeindlichen Salafismus zugerechnet. Damit hat NRW neben einigen anderen Bundesländern eine besondere Verantwortung in der Auseinandersetzung mit diesem Phänomen. Trotz einiger Hochburgen salafistischer Aktivitäten, müssen wir ganz NRW im Blick haben. Dabei gilt: Radikalisierungsprozessen kann nur wirksam begegnet werden, wenn sie rechtzeitig durch erfolgreiche Präventionsarbeit erkannt werden.
Es ist wichtig herauszustellen, dass die große Mehrheit der über 1,3 Millionen Muslimas und Muslime in NRW jede Form von Gewalt ablehnt. Gewaltbefürwortende Salafist*innen stellen eine sehr kleine Minderheit dar, die ersten wissenschaftlichen Einschätzungen zufolge größtenteils eher aus religionsfernen familiären Kontexten kommen. Sie lehnen nicht nur die demokratischen Grundwerte und die Mehrheitsgesellschaft, sondern auch den hier gelebten Alltags-Islam ab. Wir begrüßen die klaren Positionierungen der muslimischen Verbände, Theolog*innen und anderen Persönlichkeiten aus der muslimischen Community gegen den gewaltbefürwortenden Salafismus. Das das macht sie zu wichtigen Kooperationspartner*innen in der Präventionsarbeit.
Die verstärkte Stimmungsmache gegen muslimische Menschen ist für uns GRÜNE in NRW unerträglich. Wie Angehörige anderer Religionen sind auch Muslima und Muslime nicht dafür verantwortlich, wenn Religion missbraucht wird, um Verbrechen zu rechtfertigen. In aller Schärfe verurteilen wir die rassistischen Kundgebungen durch HoGeSa, Pegida und ihre lokalen Ableger. Wir werden nicht zulassen, dass die große Mehrheit der friedlichen Muslimas und Muslime und der übrigen Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis unabhängig ihrer Religiösität in Haftung genommen werden für die schrecklichen Verbrechen von Jihadisten. Wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger sind sie vom Terrorismus bedroht. Wir müssen dem Salafismus, aber auch der rassistischen Hetze gegen Muslime begegnen. Ebenfalls müssen wir uns mit dem Erstarken des Antisemitismus auseinandersetzen. Gemeinsam müssen wir uns mit diesen Phänomenen beschäftigen, um ihnen gesamtgesellschaftlich zu begegnen und sie eindämmen zu können.
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