AUTORINNENPAPIER
Es ist ein riesiger Erfolg für den Klimaschutz und die Menschen in den Dörfern: Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP strebt den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 und den Erhalt aller Dörfer des 3. Umsiedlungsabschnitts am Tagebau Garzweiler II an. Die Landesregierung darf die notwendigen Entscheidungen jetzt nicht länger hinauszögern, sondern muss daraus umgehend Konsequenzen ziehen. Sie muss die Dörfer mit Hochdruck zu Orten der Zukunft aufwerten und aktiv in die Strukturwandelprozesse einbinden. Das ist sie den Menschen in den Dörfern schuldig.
Lange hat sich die Landesregierung einer klaren Entscheidung zum Erhalt der Dörfer am Tagebau Garzweiler verwehrt. Ihr vornehmliches Ziel war stets, RWE möglichst große Flexibilität in der Tagebauführung einzuräumen. Noch in der neuen Leitentscheidung aus dem März 2021 plante sie, den Dörfern fünf weitere Jahre der Unsicherheit zuzumuten, bis sie über Erhalt oder Abriss der Dörfer entscheiden wollte. Mit dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist nun spätestens klar, dass die Landesregierung den Dörfern klare Zukunftsperspektiven bieten muss. Sie muss umgehend klarstellen, dass die Dörfer definitiv erhalten bleiben. Jeder weitere Monat Unklarheit schadet der Substanz der Dörfer. Nur mit einer klaren Entscheidung der Landesregierung und schnellstmöglicher Anpassung aller Pläne und Genehmigungen kann verhindert werden, dass weitere Fakten zum Nachteil der Dörfer geschaffen werden. Denn aktuell findet in leerstehenden Gebäuden Vandalismus statt, teilweise sind Gebäude schon heute nicht mehr bewohnbar. Mit einer eindeutigen Zukunftsperspektive kann stattdessen Normalität in die Dörfer zurückkehren. Die Infrastruktur kann instandgesetzt und modernisiert werden. Die Menschen können in ihr Eigentum investieren und notwendige Kredite für Sanierungskosten aufnehmen.
Das Rheinische Revier hat in den vergangenen Jahren viel Unterstützung bekommen, den Strukturwandel in Gang zu setzen. Die Umsiedlungsdörfer konnten bisher nur zuschauen, wie der Rest des Reviers Strategien und Projektideen entwickelt und sich um Fördermittel bewerben konnte. Die Landesregierung steht in der Pflicht, alles dafür zu tun, dass die geretteten Dörfer in diesem Prozess aufholen können. Sie muss die notwendigen Strukturen und Räume schaffen, damit Ideen und Projekte entwickelt werden können, wie die Zukunft der Dörfer gestaltet werden soll. Dabei muss sie insbesondere die Voraussetzungen für eine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft schaffen und für die Berücksichtigung ihrer Interessen sorgen. Sie muss sicherstellen, dass die Dörfer kurzfristig Zugang zu Strukturfördermitteln erhalten.
Im Sinne der Menschen in den Dörfern fordern wir von der Landesregierung:
- Rückbaumaßnahmen stoppen – Neuanfang möglich machen
In den geretteten Dörfern dürfen keine weiteren Rückbaumaßnahmen an noch bewohnbaren Gebäuden oder der Infrastruktur vorgenommen werden, genauso wenig wie Rodungen von Bäumen. Darüber hinaus muss durch Polizei und Werkschutz der Vandalismus an leerstehenden Gebäuden verhindert werden. Die Bewohner*innen und Bewohner verdienen Unterstützung, um den teilweise erheblichen Sanierungsstau an ihren Gebäuden abzuarbeiten.
Kulturelle und religiöse Orte müssen wiederbelebt werden, indem z.B. die entweihten Kirchen als Orte der Begegnung und des Austausches sowie als Veranstaltungsorte zur Verfügung stehen.
- Rücksiedlung ermöglichen
RWE muss die Gebäude in den Orten des dritten Umsiedlungsabschnitts sowie in Morschenich und Manheim am Tagebau Hambach schrittweise veräußern und allen bereits umgesiedelten Menschen aus den Dörfern ein Vorkaufsrecht zubilligen. Den Menschen, die weiterhin umsiedeln möchten, muss dies ermöglicht werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass ihnen aus der neuen Situation dabei keine Nachteile entstehen.
- Infrastruktur für ein gutes Leben
Es braucht eine Wiederherstellung der gesamten öffentlichen Infrastruktur und eine bedarfsgerechte Neuplanung der Verkehrsinfrastruktur. Überprüft werden müssen u.a. die Planungen für die L354n und die L277n, aber auch die Auswirkungen eines Verzichts auf die bisher geplante Wiederherstellung der A61. Daneben muss eine bessere Anbindung an den ÖPNV erreicht und Fahrradinfrastruktur ausgebaut werden.
- Beteiligung sichern – Strukturwandel im Dialog ermöglichen
Es liegt in der Verantwortung der Landesregierung, eine aktive Beteiligung und Berücksichtigung der geretteten Dörfer an den Strukturwandelprozessen und -mitteln besonders zu unterstützen, einschließlich der Revitalisierung des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens.
In Ergänzung zur Position der Umsiedlungsbeauftragte muss die Landesregierung eine Ombudsstelle einrichten, die die geretteten Dörfer in dieser besonderen Situation begleitet, um potenzielle Konflikte so früh wie möglich zu lösen. Auf diese Weise soll beispielsweise die Frage der Ortsnamen im Dialog mit den Bewohner*innen der neuen und alten Orte gelöst werden.
- Leitentscheidung jetzt überarbeiten
Um die Unsicherheit schnellstmöglich zu beenden, muss die Leitentscheidung umgehend an die neue Situation angepasst werden, indem u.a. klargestellt wird, dass für die Braunkohleverstromung nur bis spätestens 2030 eine energiewirtschaftliche Notwendigkeit besteht und weitere Umsiedlungen ausgeschlossen sind. Die Abraumgewinnung muss auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden und Maßnahmen zur Reduktion des Bedarfs, wie ein Verzicht auf den Ersatzneubau der A 61, konsequent ausgeschöpft werden. Dazu muss zeitnah ein unabhängiges Gutachten, wie es derzeit bereits für den Tagebau Hambach erarbeitet wird, auch für den Tagebau Garzweiler II in Auftrag gegeben werden.
Autor*innen:
Mona Neubaur, Landesvorsitzende Grüne NRW und Spitzenkandidatin zur Landtagswahl
Oliver Krischer, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Verena Schäffer, Fraktionsvorsitzende Grüne Landtagsfraktion NRW
Wibke Brems, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Energie und Klima Grüne Landtagsfraktion NRW
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