Positionspapier

Kinder, Jugendliche und Familien in den Mittelpunkt – Pandemie-Belastungen auffangen

 

Die Corona-Pandemie hat den Alltag von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien seit zwei Jahren fest im Griff. Sie leiden besonders unter den Einschränkungen ihrer Lebenswelt und den damit verbundenen Einschränkungen für ihre Entwicklungsmöglichkeiten. Dabei haben sie und ihre Familien zum Schutz aller in den vergangenen Jahren auf vieles verzichtet und damit Enormes geleistet. Statt wohlfeiler Worte müssen Kinder, Jugendliche und Familien nun endlich Priorität genießen. Es muss alles dafür getan werden, den Infektionsschutz in ihren Lebenswelten zu erhöhen, damit Kinder und Jugendliche möglichst wenig Einschränkungen erfahren müssen.

Nach den vielen Monaten der Entbehrungen müssen Kinder und Jugendliche sich jetzt auf die Solidarität der Erwachsenen verlassen können. Die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie müssen in erster Linie am Alltag der Erwachsenen ansetzen, deren Arbeits- und Freizeitleben. Die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen muss auch in Krisenzeiten möglich bleiben. Kinder, Jugendliche und ihre Familien brauchen in dieser schwierigen Zeit mehr Unterstützung.

Das Test-Chaos in den Grundschulen und Kitas hat in den letzten Wochen zu erheblicher Verunsicherung in Schulen und Familien geführt und einmal mehr den Stress bei der Bewältigung des Schul- und Familienalltags erhöht. Das Festhalten der Landesregierung an einer angeblichen „größtmöglichen Normalität“ muss vielen Familien angesichts ihres Alltags im Ausnahmezustand wie Hohn vorkommen. Auch nach zwei Jahren in der Pandemie ist es der Landesregierung nicht gelungen, Bildung, Teilhabe und Infektionsschutz zu einem ganzheitlichen Konzept zusammenzubringen. Zudem hat das unzureichende Krisenmanagement der Landesregierung zu tiefgreifender Verunsicherung beigetragen.

Was die Pandemie für das Leben, für die physische und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bedeutet, belegt inzwischen eine Vielzahl an Studien: Bewegungsmangel, lange Bildschirmzeiten, Einschränkungen des sozialen Miteinanders, der außerschulischen Kultur-, Sport-, Erholungs- und Bildungsoptionen sowie Ängste beeinträchtigen die Lebensqualität unserer Kinder und Jugendlichen erheblich. Darüber hinaus haben sie das Gefühl, dass ihre Belange und Bedürfnisse in der Pandemie nicht gesehen und gehört werden und ihre Ansätze und Ideen keinen Eingang in die politischen Debatten finden. Familien wollen sich nicht zwischen der Infektion und der Bildung und den sozialen Kontakten ihrer Kinder entscheiden müssen.

Psychische Belastungen wirken auch insbesondere auf Familien mit schon bestehenden Risikokonstellationen: die sogenannten Schattenfamilien, deren Strukturen und Lebensumstände auch vor der Pandemie schon als vulnerabel gegolten haben, dazu zählen u.a. auch Familien mit einem psychisch erkrankten Familienmitglied, Familien in prekären Lebensverhältnissen oder denen durch Pandemiebedingungen wirtschaftliches Risiko und Abstieg drohen.1

 

Psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen

Die psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie sind enorm. Unsicherheit, Einsamkeit, aber auch der Mangel an sozialen Kontakten und Ausgleich führt zu einem Anstieg psychischer Belastungen. Es braucht ein auf Langfristigkeit angelegtes Bündel von Maßnahmen, um Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung der Pandemiefolgen zu unterstützen und aufzufangen.

  • Mehr psychotherapeutische Behandlungsplätze für Kinder und Jugendliche ermöglichen, indem mehr Kassenplätze für Psychotherapeut*innen und Fachärzt*innen für Psychiatrie und Psychotherapie für Kinder und Jugendliche entstehen. Mit einer besseren Versorgungsstruktur verkürzen wir zudem die Wartezeiten. Zudem sind Netzwerke zu auszubauen, um anknüpfend an bestehenden Strukturen gemeinsam z.B. mit den Kommunen derartige Angebote zielgenau und kurzfristig ausbauen zu können.
  • Gezielt pädagogische Angebote zur Bearbeitung pandemiebedingter psychosozialer Belastungen fördern und ausbauen.
  • Ausbau der Schulsozialarbeit und der Schulpsychologie.
  • Gemeinsam mit Kommunen, Sportverbänden und Universitäten und weiteren Partner*innen Sport- und Bewegungsangebote für Kinder und Jugendliche stärken und ausbauen, um den nachweislich positiven Effekt von Sportaktivitäten auf die physische Gesundheit zu fördern.

 

Familien gezielt stärken

Familien sind in der Pandemie besonders stark belastet. Immer wieder müssen sie sich bei der Bewältigung ihres Alltags auf neue Situationen einstellen. Familien brauchen verlässliche und verständliche Informationen, um ihren Alltag einigermaßen planen zu können. Entscheidend ist dabei vor allem eine klare Kommunikation.

Die hohen Belastungen können aber auch zu Spannungen in Familien führen. Kinderschutz und Familienhilfeangebote müssen in der Pandemie gezielt gestärkt werden.

  • Verständliche Zusammenfassung von Maßnahmen und Regelungen: Eltern brauchen eine übersichtliche Darstellung anstatt eines Wirrwarrs an Schulmails, Elternbriefen des Familienministers zur Situation in den Kitas und unterschiedlichen Verordnungen, aus denen sich Eltern die aktuellen Regelungen selbst zusammensuchen müssen.
  • Flächendeckende und mehrsprachige Aufklärungs-, Beratungs- und Impfangebote für die Impfung gegen das Coronavirus für Kinder und Jugendliche, insbesondere auch für Kinder zwischen 5 und 11 Jahren, und Familienimpfangebote bereitstellen.
  • Langfristige zusätzliche Programme für Kinder-, Jugend- und Familienfreizeiten auflegen.
  • Niedrigschwellige und gezielte Förderung von Angeboten in Quartieren und Nachbarschaftsinitiativen, wie temporäre Spielstraßen.
  • Gestärkte Jugendhilfenetzwerke und Familienberatung.
  • Gewährleistung von Beratung, Begleitung und Akutschutz für von Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche. Unter Wahrung des Infektionsschutz müssen persönliche Kontakte jederzeit möglich sein. Gleichzeitig müssen digitale Angebote konzeptionell ausgebaut werden.


Bildung und Betreuung in Pandemie sicherstellen

Kinder und Jugendliche haben auch in der Pandemie ein Recht auf Bildung, Betreuung und Freizeit. Neben der Familie sind Schule, Kita und Freizeiteinrichtungen die wichtigsten und prägendsten Lebensorte für junge Menschen, sie sind die Orte für ein aktives und aktivierendes Miteinander.

Damit Kinder und Jugendliche sich unbeschwert an diesen Lebens- und Lernorten aufhalten und begegnen können, muss es oberste Priorität haben, Bildungs-, Betreuungs- und Jugendhilfeeinrichtungen so sicher wie möglich zu machen. Nur so kann weiter Präsenz gewährleistet werden. Kinder brauchen Kinder, Jugendliche brauchen Freiräume und junge Menschen Bildungsräume. Aber Schulministerin Gebauer und Kinder- und Jugendminister Stamp haben es versäumt, dafür die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Das aktuelle Test-Chaos an den Kitas und Grundschulen ist da leider nur die Spitze des Eisbergs. Weiterhin fehlen verlässliche Vorgaben und Handlungsspielräume, damit Schulen lageangepasst und eigenverantwortlich auf das Infektionsgeschehen reagieren können.

Die Schulministerin hat es in zwei Jahren nicht geschafft, für zusätzliches Personal und damit Entlastung für die stark belasteten Lehrkräfte zu sorgen. Immer mehr Aufgaben wurden in der Pandemie ohne zusätzliche Unterstützung an die Schulen durchgereicht. Weiterhin fehlt es an Standards für die digitale Ausstattung von Schulen und eine flächendeckende, leistungsfähige digitale Infrastruktur, vom Glasfaseranschluss über stabile WLAN-Netzwerke bis zu „IT-Hausmeister*innen“, die sich um die Technik kümmern. Jede Lehrkraft braucht ein Dienstgerät, das tatsächlich auch die dienstlich benötigte Software gewährleistet, alle Schüler*innen sollte Zugriff auf für das Lernen notwendige digitale Endgeräte haben.

  • Es muss Druck aus dem System Schule genommen, Stundenpläne geöffnet und andere Formate individueller Leistungserbringung ermöglicht werden.
  • Schulen müssen in Abstimmung mit dem Schulträger eigenverantwortlich auf die Infektionslage reagieren können – durch kleine, stabile Lerngruppen, die Möglichkeit zu Wechsel- und Distanzunterricht, wenn zu viele Lehrkräfte ausfallen und Lerngruppen durch Infektionen und Quarantänen entsprechend betroffen sind.Mentoringprogramme müssen systematisch aufgebaut und ausgeweitet werden, um als Instrument einer individuellen Begleitung und Unterstützung für Kinder und Jugendliche genutzt zu werden.
  • Die Mittel aus den Corona-Aufholprogrammen müssen in die Verbesserung der Rahmenbedingungen in den Schulen investiert werden, dort wo alle Schüler*innen direkt erreicht werden können. Die Ressourcen helfen bei der Gewinnung von zusätzlichem pädagogischem Personal auch aus der Jugendarbeit und Jugendhilfe sowie weiteren Kräften aus Kunst, Musik und Handwerk. Die Extra-Programme müssen so überarbeitet werden, dass sie sozialindexbasiert, und zeitnah wirksam in Anspruch genommen werden können.
  • Zusätzliches nicht-pädagogisches Personal zur Entlastung in Schulen. Dazu sollen die Schulen die Mittel aus nicht besetzten Lehrerstellen zur freien Bewirtschaftung erhalten, statt dass das Geld zurück an den Finanzminister fließt.
  • Beim notwendigen Ausbau der Laborkapazitäten Kinder- und Jugendliche sowie Lehrer*innen und Schüler*innen zu priorisieren und schnellstmöglich die PCR- Testungen an Grundschulen wieder aufnehmen.
  • FFP2-Masken sind den Schüler*innen zur Verfügung zu stellen.
  • Den Einrichtungen der frühkindlichen Bildung müssen Hygieneschutzmittel zur Verfügung gestellt werden, damit sie nicht auf den Kosten der Hygieneschutzmaßnahmen sitzen bleiben.
  • Aufgrund auch unserer langanhaltenden Kritik hat die Landesregierung das Alltagshelferprogramm wieder aufgenommen, allerdings verändert, sodass die Kitas nur neues Personal einsetzen können. Das Alltagshelferprogramm muss auch wieder die Aufstockung der Arbeitsstunden von bereits beschäftigten Teilzeitkräften ermöglichen.


Jugendliche sind nicht nur Schüler*innen

Kinder und Jugendliche sind in der Pandemie oftmals vor allem als Kita-Kinder oder Schüler*innen betrachtet worden. Freiräume und Angebote der Jugendhilfe gehören aber genauso zu einem guten Aufwachsen. Darüber hinaus fühlen junge Menschen sich in der Pandemie und bei den notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu wenig gesehen, gehört und beteiligt.

  • Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren erhalten Zugang zu allen Bereichen nach der 3G-Regel, auch dann, wenn für Erwachsene 2G oder 2G plus Einschränkungen gelten. Denn Kinder und Jugendliche bzw. ihre Eltern sollten sich für Impfungen entscheiden können, wenn sie dies möchten, es darf aber kein Impfdruck auf Kinder und Jugendliche entstehen.
  • Sport, Kultur, Jugendarbeit, Jugendhilfe, auch aufsuchende Jugendhilfe, müssen in Präsenz in den Einrichtungen und Jugendzentren stattfinden können. Für die Einrichtungen müssen zusätzliche Mittel aus dem Rettungsschirm für erweiterte Öffnungszeiten bei kleineren Gruppenangeboten, zusätzliche Maßnahmen beim Infektionsschutz sowie zur Förderung von gemeinsamen Aktivitäten draußen zur Verfügung gestellt werden.
  • Soziales Miteinander muss wieder gestärkt werden, beispielweise durch die Förderung von Freizeit und Begegnungen, Reisen und Erlebnisse mit Schwerpunkt auf finanziell benachteiligten Jugendlichen.


Beteiligung von Kindern und Jugendlichen stärken

Kinder und Jugendliche mussten in der Pandemie und bei den notwendigen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung die Erfahrung machen, dass ihre Belange wenig gehört und ihre Erfahrungen in Entscheidungsprozesse nicht einbezogen wurden. In den letzten zwei Jahren haben sie sich in besonderem Maße solidarisch gegenüber der Gesellschaft verhalten. Sie haben aber andererseits besonders unter den Folgen der Pandemie und ihrer Bekämpfung zu leiden. Nach zwei Jahren teils erheblicher Einschränkungen, geht es kurzfristig darum, eine gute und gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen mit notwendigem Infektionsschutz zusammenzudenken. Die Pandemiefolgen werden gerade junge Menschen aber noch lange begleiten. Ihre Erfahrungen und ihre Bedarfe dürfen nicht länger außen vor gelassen werden. Die Rolle von Kindern und Jugendlichen bei der Entwicklung von Maßnahmen muss gestärkt werden.

  • Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei den Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen und zur Bewältigung der Pandemie stärken.
  • Die Landesregierung soll eine Befragung von Kindern und Jugendlichen zu ihrer Situation und ihren Erfahrungen in der Pandemie beauftragen, die auch die Bedarfe zur Bewältigung der Pandemiefolgen abfragt.
  • Beteiligungsinstrumente auf Landes- und kommunaler Ebene müssen gestärkt und in einem partizipativen Prozess eine Jugendstrategie erarbeitet werden.

1. https://www.lw.uni-leipzig.de/wilhelm-wundt-institut-fuer-psychologie/arbeitsgruppen/klinische-kinder-und-jugendpsychologie/stellungnahme-zum-thema-kinder-in-der-pandemie?Zur_Stellungnahme=&cHash=db530501a1c9f8c44fbd04ac5a1785ff abgerufen 06.02.2022

Das Positionspapier als pdf: Positionspapier KiJuFamBildung-Corona

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