Positionspapier

NRW isst besser! Fünf Forderungen für eine nachhaltige Ernährung in NRW! – Ein Positionspapier von Mona Neubaur und Norwich Rüße

 

Was wir essen, hat nicht nur große Auswirkungen auf unsere Gesundheit, sondern auch auf die Umwelt, die Landwirtschaft und das Klima. Zudem zeigt aktuell unter anderem der Krieg in der Ukraine auf, wie wichtig resiliente Versorgungs- und Wertschöpfungsketten für uns als Bürger*innen und für unsere Landwirtschaft sind. Darum setzen wir uns für ein nachhaltiges Ernährungssystem ein, das sich z.B. durch regionale Strukturen und Kreisläufe auszeichnet. So schützen wir unser Klima, unsere Umwelt und verringern zugleich unsere Abhängigkeit von brüchigen globalen Lieferketten.

Wie wir unsere Ernährungsweise gestalten, kann diesbezüglich Problem oder Lösung sein. Daher haben wir die Studie „NRW isst besser!“ in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Es braucht eine systematische Neuausrichtung des Politikfeldes „Ernährung“. Wir wollen eine Ernährungsstrategie erstellen und die Außer-Haus-Verpflegung neu ausrichten. Diese wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe muss endlich strategisch angegangen werden. So können wir die regionale Landwirtschaft fördern, eine vielfältige Kulturlandschaft erhalten und gleichzeitig eine gesunde Verpflegung für uns und unsere Kinder sicherstellen.

Die Ernährungsstrategie „NRW isst besser!“ umfasst u.a. folgende Punkte, die hier in Kürze dargestellt werden:

1. Eine gesunde und nachhaltige Verpflegung in öffentlichen Kantinen sicherstellen:

  • Anpassung der Kantinenrichtlinie NRW
  • Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) als Mindeststandards
    definieren und fortlaufend evaluieren.
  • Mindestens 30 Prozent Anteil biologischer Lebensmittel in mindestens 300 Kantinen
    in NRW.
  • Ein tägliches Angebot rein pflanzlicher und vegetarischer Menülinien in allen Kantinen.
  • Aufbau einer Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung und Vergabe in NRW
  • Ausbau der Beratung und Fortbildung für Personal in der Beschaffung und in den Küchen.
  • Qualitativ hochwertige kostenfreie Kita- und kostengünstige Schulverpflegung.

2. Ernährungsbildung ausbauen:

  • Kooperative Ansätze mit außerschulischen Bildungsanbieter*innen, wie z. B. Lernbauernhöfen, stärken.
  • Ausbau der Kücheninfrastruktur über Förderprogramme.
  • Fachliche und didaktische Inhalte der Ernährungsbildung in der Aus- und Fortbildung von Erzieher*innen und Lehrpersonal stärken.

3. Regionale Wertschöpfung stärken:

  • Finanzielle und bürokratische Hürden für regionale KMU im Bereich der Lebensmittelverarbeitung senken, u.a. durch eine Anpassung der Fleischbeschaugebühr.
  • Ausbau der Öko-Modellregionen NRW
  • Aufbau von Wertschöpfungszentren
  • Aufstockung des Beratungsangebots des Landes (Regionalvermarktung NRW)

4. Kommunale Ernährungspolitik und Zivilgesellschaft stärken

  • Ernährungskoordinator*innen („Ernährungsscouts“) auf kommunaler Ebene finanzieren.
  • Die Unterzeichnung und Umsetzung des Mailänder Abkommen über städtische Ernährungspolitik in allen Kreisen und Kommunen in NRW vorantreiben.
  • Wertschätzung gegenüber zivilgesellschaftlicher Initiativen im Ernährungsbereich erhöhen durch verstärkte Einbindung in die kommunale Politik sowie Ausbau von Beratungs- und Förderangeboten.

5. Lebensmittelverschwendung reduzieren

  • Unterstützung der Bundesebene zur Erleichterung von Lebensmittelspenden im Einzelhandel und in der Gastronomie
  • Förderung der Vernetzung des Lebensmitteleinzelhandels zur Tafel und Food Sharing Projekten.
  • Unterstützung der Bundesebene zur Überprüfung rechtlicher Regelungen des Mindesthaltbarkeits- und Verfallsdatums.
  • Förderung des Verkaufs von Obst und Gemüse jenseits der Produktionsnorm.
  • Reaktivierung des Runden Tisch Lebensmittelverschwendung in NRW
  • Flächendeckende Informationskampagne zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung in privaten Haushalten.

 

Eine gesunde Ernährung für Menschen und Umwelt sicherstellen.

Unser Alltag dreht sich seit jeher um das Thema Ernährung. Wir treffen tagtäglich über 200 bewusste und unbewusste Entscheidungen darüber ob, was, wo und wieviel wir essen.1 Diese Entscheidungen sind geprägt von unseren Erfahrungen und unserem Umfeld. Unsere Ernährungsgewohnheiten verändern sich seit Jahren. Der klassische Mittagstisch der Familie hat längst ausgedient. Der Gemeinschaftsverpflegung über Kantinen und Mensen kommt dafür eine immer größere Bedeutung zu. Umso wichtiger ist es, dass Angebote der öffentlichen Außerhausverpflegung eine gesunde und nachhaltige Ernährung ermöglichen.

Gleichzeitig zeigt sich, dass vielen Menschen in NRW eine gesunde und nachhaltige Ernährung sowie Lebensmittelversorgung wichtig ist.2 Das Bewusstsein darüber, wie zentral eine nachhaltige Ausgestaltung unseres Ernährungssystems ist, wächst.

Ernährung und Gesundheit: Zwischen Genuss und Fehlernährung.

Offenkundig ist die Verknüpfung zwischen einer ausgewogenen Ernährung und der persönlichen Gesundheit. Beim Essen spielt immer auch der Genuss eine wichtige Rolle, Essen soll Spaß machen. Eine dauerhafte Fehlernährung kann jedoch schwerwiegende Krankheitsrisiken nach sich ziehen. In Deutschland wird durchschnittlich zu viel Fett, Salz und Zucker konsumiert. Zudem mangelt es in Teilen an der Zufuhr von Nährstoffen so u. a. Jod.3 Die Kombination aus Über- und Unterversorgung kann zu ernährungsbedingten Krankheiten wie z. B. Diabetes oder Herzerkrankungen und damit zu einer Einschränkung der Lebensqualität, weiteren Gesundheitsrisiken und einer geringeren Lebenserwartung führen. Gesamtgesellschaftlich kosten Formen der Fehlernährung unser Gesundheitssystem geschätzt 17 Milliarden Euro jährlich.4

Ernährung und Soziales: Ernährungsarmut in einem reichen Land.

Armut kann krank machen. Das ist eine bittere Tatsache auch in Deutschland, einem der reichsten Länder der Erde. So stellt der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik und Ernährung fest: „Je geringer die sozioökonomische Position (insbesondere das Einkommen), desto quantitativ und qualitativ ungünstiger ist das Ernährungsmuster, umso höher sind die Adipositasrate sowie die Erkrankungs- und Sterbewahrscheinlichkeit.“ 5 Studien verweisen darauf, dass Haushalte mit geringem Einkommen seltener frisches Obst und Gemüse, dafür häufiger „sattmachende“ (also besonders stärkehaltige) und stark zuckerhaltige Lebensmittel konsumieren. Darunter leiden vor allem Kinder und Jugendliche.6 Somit ist eine gesunde Ernährung immer auch eine Frage des Geldbeutels. Möglichst billige Lebensmittel sind jedoch nicht die Lösung. Wenn es darum geht, ein gutes Leben für alle Menschen zu ermöglichen, müssen wir dafür sorgen, dass Lebensmittelkosten auch kostendeckend in den Regelbedarfssätzen und dem für die Berechnung zugrundeliegenden sogenannten Warenkorb abgebildet werden. Neben dieser langfristigeren Zielsetzung treten wir für zeitnahe Verbesserungen bei einer gesunden und sozialen Ausgestaltung der Gemeinschaftsverpflegung, in erster Linie an Kitas und Schulen, ein.

Ernährung und Landwirtschaft: Faire Preise für nachhaltige Produkte.

Die Art und Weise, wie wir uns ernähren, hat einen immensen Einfluss auf die Ausgestaltung unserer Landwirtschaft. Jahrzehntelang richtete sich der gesellschaftliche Fokus darauf, möglichst viele Lebensmittel möglichst billig zu produzieren. Mittlerweile ist jedoch klar, dass diese Maxim erhebliche negative Folgen nach sich zieht. Im Strukturwandel der Landwirtschaft zeigt sich, dass in der Regel nur die Betriebe im Wettbewerb bestehen, die möglichst billig produzieren. Die Weltmarktorientierung der Agrarpolitik der vergangenen Jahrzehnte forciert diese Entwicklung weiterhin. Viele Landwirtinnen und Landwirte können jedoch nicht mehr kostendeckend produzieren und geben auf.

Neben den Landwirtinnen und Landwirten leidet auch unsere Natur unter diesen Produktionsbedingungen. Durch die reine Fixierung auf Ertragssteigerungen wurden die dadurch entstehenden Umweltschäden und die Folgen für die in der Landwirtschaft gehaltenen Tiere außer Acht gelassen. So führen u. a. der übermäßige Einsatz von mineralischen Düngemitteln und Pestiziden oder zu enge Fruchtfolgen zu Kosten, die nicht auf dem Preisschild im Supermarkt auftauchen. 7 In direktem Zusammenhang steht auch die in den letzten Jahrzehnten stark angestiegene Nachfrage nach tierischen Produkten, die zu einer so intensiven Nutztierhaltung geführt hat, dass der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik attestieren musste: Die aktuelle Ausgestaltung unserer Tierhaltung ist nicht zukunftstauglich.8 Bezahlt werden diese Kosten also dennoch. Entweder von uns allen, wenn z.B. hohe Nitratbelastungen zu hohen Trinkwasseraufbereitungskosten führen. Oder von unseren Nutztieren und der Natur, wenn Lebensräume verschwinden und Arten weiter unter Druck geraten. So kommen uns billige Lebensmittel teuer zu stehen.

Ein weiter wie bisher kann es auch in diesem Bereich nicht geben. Nachhaltige Produktionsbedingungen sind unerlässlich, um unsere Ernährung und unsere Landwirtschaft langfristig zu sichern und unsere Umwelt zu schützen. Vor diesem Hintergrund setzen wir uns für faire Erzeugerpreise und ökologische Produktionsbedingungen ein.

Ernährung und Klimakrise: Bewusster, bunter, besser.

Neben Natur- und Artenschutz spielt unsere Ernährung auch eine gewichtige Rolle beim Klimaschutz. Nach Schätzungen des IPCC entstehen entlang der gesamten Wertschöpfungskette unseres Ernährungssystems zwischen 20 und 30 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Debatten darüber, welche Ernährungsweisen besonders klimafreundlich sind, werden bereits seit Jahren leidenschaftlich und emotional geführt. Auf Grundlage aktueller Daten lassen sich jedoch zentrale Faktoren ausmachen, die besonders hohe Treibhausgasemissionen verursachen.9 Zum einen sind dies besonders intensive Formen der Landwirtschaft, die i. d. R. mit hohem Einsatz von Landtechnik, Düngemitteln und Pestiziden betrieben werden und global auch immense Landnutzungsänderungen, so z.B. die Rodung von Wäldern, nach sich ziehen. In direktem Zusammenhang steht die Produktion bestimmter Lebensmittel, die sehr hohe Emissionen verursachen. Allen voran sind dies tierische Produkte, aber auch Genussmittel wie Schokolade und Kaffee. Schlussendlich tragen auch Lebensmittelverluste und -verschwendung unmittelbar zu Treibhausgasemissionen bei.

Somit bedarf es einer nachhaltigen Weiterentwicklung unserer Ernährungsgewohnheiten. Eine vielfältige, pflanzliche, regionale und saisonale Küche kann unseren Alltag bereichern, bunter und nachhaltiger machen. Wenn wir zudem darauf achten, weniger, dafür aber qualitativ bessere tierische Produkte und Genussmittel einzukaufen, ist schon viel gewonnen.

Es gibt viel zu tun – packen wir’s an.

Die hier aufgeführten Herausforderungen zeigen, dass großer Handlungsbedarf besteht. Vor diesem Hintergrund hat die Grüne Landtagsfraktion NRW eine Studie in Auftrag gegeben, um Lösungsansätze zur Transformation unseres Ernährungssystems zu identifizieren. In dieser kommen Prof. Dr. Guido Ritter/FH Münster und sein Team zu dem Schluss, dass ein nachhaltigeres, gesünderes, faireres Ernährungssystem für uns alle möglich ist und zudem Spaß machen kann. Die gute Nachricht dabei: Nirgends können wir so einfach und so direkt etwas zum Positiven verändern, als bei unserer Ernährung.

Dennoch kann die Verantwortung für diesen Wandel nicht nur bei der Konsumentin oder dem Konsumenten abgeladen werden. Eine gute und nachhaltige Ernährung für alle ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Vor diesem Hintergrund reicht es nicht aus, allein auf Aufklärung und individuelle Verhaltensänderung zu setzen. Eine Änderung der Rahmenbedingungen ist notwendig! Eine nachhaltige Ernährungspolitik ist ein großer Hebel, um soziale und ökologische Probleme anzugehen. In Nordrhein-Westfalen fehlt es jedoch an einem solchen ganzheitlichen Ansatz. Dabei existieren mit Vorreiter-Projekten und vorhandenen zivilgesellschaftlichen Strukturen viele Ansatzpunkte, die es zusammenzuführen gilt. Da viele rechtliche Fragestellungen zu den Themen Ernährung und Landwirtschaft im Verantwortungsbereich des Bundes liegen, streben wir an die skizzierten Herausforderungen im engen Austausch mit unseren Grünen Kolleginnen und Kollegen auf Bundesebene in Angriff zu nehmen.

Als übergreifendes Instrument werden wir eine ganzheitliche Ernährungsstrategie für Nordrhein- Westfalen aufsetzen. Diese muss mit einem Förderprogramm „NRW isst besser!“ verknüpft werden, um den Finanzierungsbedarf entsprechender Maßnahmen abzudecken und diese zügig und zielführend umzusetzen.

Folgende zentrale Punkte müssen dabei im Fokus stehen:

1. Gesundes Essen in Kantinen, Kitas und Schulen anbieten

In NRW essen etwa 3,5 Millionen Menschen täglich in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung, wie z. B. Kitas, Schul- und Unimensen oder Betriebskantinen.10 Somit erweisen sich diese als ein effektiver Hebel zur Ausgestaltung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung.

Auf Landesebene werden wir diesbezüglich die Kantinenrichtlinie NRW in Richtung Nachhaltigkeit schärfen. Im Rahmen von Ausschreibungen darf nicht nur den Preis als Bewertungskriterium im Mittelpunkt stehen, sondern auch der Anteil biologischer Lebensmittel, die Regionalität und im besten Fall auch Saisonalität in den Fokus rücken. Darüber hinaus sollten die Qualitätsvorgaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als Mindeststandards in öffentlichen Einrichtungen etabliert werden. Diese Standards gilt es kontinuierlich weiterzuentwickeln und auf Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse stetig zu aktualisieren. Zudem gilt es angebotene Menülinien zu verschlanken, auch um Lebensmittelabfälle zu reduzieren. So sollten sich Kantinen auf wenige jedoch hochwertige Angebote fokussieren. Zudem müssen täglich auch rein pflanzliche und vegetarische Gerichte auf dem Speiseplan stehen. Um dies zu erreichen, werden wir im Rahmen eines Kantinenprogramms eine Förderung für mindestens 300 Kantinen in NRW aufsetzen, um mindestens 30 Prozent ihrer Produkte aus dem Ökolandbau zu beziehen und so viel wie möglich regional, direkt von den Betrieben oder regionalen Vertriebsnetzen.

Aktuelle Berechnungen zeigen, dass durch die Umstellung auf regionale oder biologische Lebensmittel zwar Mehrkosten entstehen, diese jedoch teilweise wiederum durch die Umsetzung der DGE-Standards und eine Reduzierung tierischer Produkte kompensiert werden können.

Vor allem dem Personal vor Ort – den Einkäufer*innen und in den Küchen – müssen wir konkrete Leitlinien an die Hand geben, wie sie unterschiedliche Anforderungen zu den Bereichen Soziales, Gesundheit, Umwelt und Klima praktisch umsetzen können. Hierzu bedarf es auch regelmäßiger Schulungen aller Akteure der Gemeinschaftsverpflegung. Ebenfalls muss dieses Wissen bereits in der Ausbildung von Küchenpersonal vermittelt werden. Darüber hinaus muss das Beratungsangebot zur Förderung gesunder und nachhaltiger Verpflegung in privatrechtlichen Betriebskantinen ausgebaut werden. Um all dies zu realisieren, streben wir die Einrichtung von Kompetenzzentren nach dem Vorbild des House of Food in Kopenhagen bzw. Berlin an.

Leider gilt auch bei den Jüngsten in unserer Gesellschaft immer noch viel zu häufig, dass eine gesunde Ernährung vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Damit die oben genannten Fortschritte bei allen Kindern ankommen, werden wir eine qualitativ hochwertige Mittagsverpflegung in Kitas und der Kindertagespflege beitragsfrei anbieten.

Auch im Schulbereich wollen wir eine qualitativ hochwertige Verpflegung für alle Schülerinnen und Schüler sicherstellen. Um dies umzusetzen, werden wir ein Förderprogramm „Gutes Essen macht Schule“ aufsetzen, um eine hochwertige aber für alle Familien bezahlbare Schulverpflegung anzubieten.

2. Ernährungsbildung ausbauen

Da sich unsere Ernährungsgewohnheiten bereits im frühen Kindesalter ausprägen gilt es hier mit umfassenden Konzepten anzusetzen. Kindern sollte bereits in Kitas und Schulen Essen als Genussfaktor nähergebracht werden, um die Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln, aber auch der Landwirtschaft zu fördern. Hierzu müssen Angebote der Ernährungs- und Verbraucherbildung sowohl für Kinder als auch Eltern auf- und ausgebaut werden. Das bedeutet eine Stärkung der Inhalte im Sachen Rahmenvorgaben Verbraucherbildung und curricularen Implementation der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Dazu bietet sich auch die Kooperation mit bestehenden Bildungsanbieter*innen im Rahmen der Öffnung von Schule an.

Für Kinder und Jugendliche ist das Erleben und die praktische Umsetzung wichtig und unterstützt nachhaltige Lernprozesse, so z. B. auf Lernbauernhöfen, in Schulgärten oder beim gemeinsamen Kochen, Backen und Genießen der Produkte. Die Ausbildung und der Unterricht im Fach Ernährung, Konsum, Gesundheit muss gestärkt werden. Der herkömmliche Hauswirtschaftsunterricht ist entsprechend weiterzuentwickeln. Hierzu müssen Kitas und Schulen jedoch mit entsprechender Infrastruktur und Räumlichkeiten – allen voran Küchen – ausgestattet werden. Dort wo der Einbau von Schul- und Kitaküchen aufgrund des Platzangebots nicht möglich ist, sind weiterführende Ideen, wie z. B. Kooperation mit Jugendeinrichtungen zu prüfen. Um eine entsprechende Versorgung in Gemeinschaftseinrichtungen zu stärken, möglichst frische Zubereitungen zu ermöglichen, sollte auch der Aufbau von Zentralküchen für Kita- und Schulverbünde, z.B. im Stadtteil geprüft werden. Dies alles kann jedoch nur dann Wirksamkeit entfalten, wenn Erzieher*innen und das schulische Personal selbst entsprechend geschult und qualifiziert werden. Unterstützung in der KiTa und OGS kann auch durch Hauswirtschaftskräfte geleistet werden. Bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztag ist die Essensversorgung und die notwenige Infrastruktur mitzudenken sowie qualitativ und finanziell abzusichern.

3. Regionale Wertschöpfung fördern

Der qualitative Ausbau der Gemeinschaftsverpflegung in NRW trägt dazu bei die regionale Wertschöpfung zu stärken. Hierfür müssen jedoch entsprechende Strukturen geschaffen, ausgebaut oder weiterentwickelt werden. Es bedarf einer nachhaltigen Verknüpfung von Landwirtschaft, weiterverarbeitenden Betrieben und der Gemeinschafts- bzw. Außer-Haus-Verpflegung. Denn vielerorts sind regionale Logistikketten weggebrochen, u. a. als kleinere Schlachthöfe dem Preisdruck im Wettbewerb nicht mehr standhalten konnten. Somit gilt es noch bestehende Unternehmen zu fördern und alternative Strukturen aufzubauen. Erreicht werden kann dies u. a. durch eine landeseinheitliche Fleischbeschaugebühr oder die Vereinfachung bürokratischer Anforderungen. Auf Landesebene setzen wir uns zudem für den flächendeckenden Ausbau der Ökomodellregionen ein. Als weitere Instrumente können sogenannte regionale Wertschöpfungszentren oder Food Hubs in den Blick genommen werden. Diese bündeln unterschiedliche Produktionsprozesse, z. B. die Weiterverarbeitung von Lebensmitteln und Logistikstrukturen, aber auch Beratungsangebote und Räumlichkeiten für zivilgesellschaftliche Initiativen an einem Ort und fördern somit Synergieeffekte. All dies sollte durch gut ausgestattete Beratungsstellen des Landes begleitet werden.

4. Kommunale Ernährungspolitik und Zivilgesellschaft stärken

Die Ernährungswende wird vor Ort gemacht. Viele der bislang dargestellten Maßnahmen können nur von oder in Kooperation mit den Kreisen und Kommunen in Nordrhein-Westfalen umgesetzt werden. Bislang mangelt es jedoch häufig noch am Bewusstsein für die Relevanz einer nachhaltigen kommunalen Ernährungspolitik. Diese Lücke werden wir durch die Förderung kommunaler Koordinator*innen für Ernährung und Landwirtschaft („Ernährungsscouts“) schließen. Je nach Bedarf vor Ort können diese den Aufbau und die Weiterentwicklung regionaler Strukturen koordinieren und Netzwerke stärken. Darüber hinaus übernehmen die Koordinator*innen beratende Funktionen. Als flankierende Maßnahme werden wir einen Leitfaden zur Umsetzung des Mailänder Abkommens über städtische Ernährungspolitik für Kreise und Kommunen in NRW erstellen. Dieses Abkommen erkennt u. a. die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements im Bereich Landwirtschaft und Ernährung an. So bestehen NRW-weit bereits hunderte Initiativen, die es bei der Ausgestaltung einer nachhaltigen Ernährungspolitik einzubinden gilt. Damit wollen wir die Wertschätzung gegenüber dem zivilgesellschaftlichen Engagement erhöhen – von Ernährungsräten über Solidarische Landwirtschaften bis hin zu Urban-Gardening-Projekten. Für solche Initiativen werden wir lokale Beratungsstellen – so z. B. angegliedert an regionale Kompetenzzentren – sowie eine unkomplizierte Projektförderung auf Landesebene einrichten.

5. Lebensmittelverschwendung reduzieren

Ein zentrales Defizit entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Lebensmitteln ist der Verlust oder die Verschwendung genusstauglicher Produkte. Leider fällt ein Großteil der Verluste in privaten Haushalten, also bei uns allen an. Hier ist eine neue Wertschätzung für Lebensmittel gefragt, die sowohl theoretisches als auch praktisches Wissen umfasst. Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass sich viele Menschen (wieder) dafür interessieren wie gezielter eigenkauft, Lebensmittel richtig gelagert, eingemacht oder auch, wie kreativ mit Resten umgegangen werden kann. Denn vor allem viele Gemüsesorten lassen sich vom Blatt bis zur Wurzel nutzen. Darüber hinaus muss auch geprüft werden an welchen weiteren Stellen viele Lebensmittel verschwendet werden. Dabei stehen insbesondere die weiterverarbeitende Industrie, der Einzelhandel, aber auch die Gastronomie im Fokus.11 Hier werden weiterhin viel zu viele genusstaugliche Produkte weggeworfen, zumeist, da das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten wurde, oder Lebensmittel optische Mängel aufweisen. Hier gilt zu prüfen, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen so angepasst werden können, dass Lebensmittelspenden einfach und rechtssicher für alle Beteiligten vorgenommen werden können. Als Best-Practice-Beispiel können in dieser Hinsicht die viele lokalen Initiativen des „Food Sharing“ dienen. Unabhängig davon werden wir den „Runden Tisch Lebensmittelverschwendung NRW“ reaktivieren und als dauerhaftes Format einrichten, um mit Akteuren der gesamten Wertschöpfungskette Konzepte (weiter-) zu entwickeln und Lösungsansätze zu entwickeln.

1 https://www.wissenschaft.de/erde-umwelt/gedankenloses-futtern/

2 https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/ernaehrungsreport2021.html

3 https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/gesunde-ernaehrung/degs-jod-studie.html

4 https://pressemitteilungen.pr.uni-halle.de/index.php?modus=pmanzeige&pm_id=2452

5 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/wbae-gutachten-nachhaltige- ernaehrung.pdf?__blob=publicationFile&v=3, S. 114 f. 

6 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-3079.pdf; https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-3071.pdf

7 https://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu/publikationen/hauptgutachten/hg2020/pdf/WBGU_HG2020.pdf

8 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/GutachtenNutztierhaltung.pdf ?__blob=publicationFile&v=2

9 https://ourworldindata.org/environmental-impacts-of-food

10 Eigene Schätzung nach: https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/nachhaltige- ernaehrung/gemeinschaftsverpflegung/

11 https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/studie-lebensmittelabfaelle- deutschland.html

Alle Seiten abgerufen am 20.04.2022.

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