Wie geht es weiter mit der Kohle in NRW?

Am 04.10.2022 haben Mona Neubaur, Robert Habeck und Markus Krebber (CEO von RWE) die Eckpunkte der Verhandlungsergebnisse zum Kohleausstieg der Bundespressekonferenz vorgestellt. Hier geben wir einen Überblick in Kurzform.

Was wurde beschlossen?

  • In NRW ziehen wir den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vor. Damit bleiben rund 280 Millionen Tonnen CO2 in der Erde.
  • Alle fünf bestehenden Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts (Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath) bleiben rechtssicher erhalten. Das bedeutet für über 500 Menschen (Stand 2021) die Möglichkeit des Verbleibs in ihrer Heimat.
  • Die Höfe Eggeratherhof, Roitzerhof und Weyerhof bleiben erhalten, sowie wertvoller Boden für die regionale Landwirtschaft.
  • Wir überführen den Hambacher Wald in den öffentlichen Besitz und schützen ihn per Deklaration als Biotop.
  • Aufgrund der aktuellen Energiekrise bleiben zwei Kraftwerksblöcke des RWE-Kraftwerks Neurath 15 Monate länger als bisher geplant am Netz. Diese werden statt Ende 2022 erst im Frühjahr 2024 abgeschaltet.
  • Die mittlerweile vollständig umgesiedelte Siedlung Lützerath kann sowohl nach Ergebnis des von der Landesregierung beauftragten unabhängigen Gutachtens aus Gründen des Kohlebedarfs, einer dauerhaft sicheren Rekultivierung und unkalkulierbaren wasserwirtschaftlichen Risiken, entsprechend der geltenden Rechtslage nicht erhalten bleiben.

Wie bewertet ihr Grüne dieses Ergebnis?

Den vorzeitigen Ausstieg aus der Kohleverstromung um acht Jahre betrachten wir als großen Erfolg. Wir erfüllen damit bereits in den ersten 100 Tagen unser Ziel des Koalitionsvertrags und tragen einen immensen Teil dazu bei unsere Klimaschutzziele 2030 zu erreichen. Dass wir über 500 Menschen Sicherheit geben, in ihrer Heimat bleiben zu können, ist ebenso ein großer Erfolg. Dass jedoch die – mittlerweile vollständig umgesiedelte – Siedlung Lützerath nicht erhalten bleiben kann, hätten auch wir uns anders gewünscht, ist aber das eindeutige geostatische Ergebnis des unabhängigen Gutachtens und der geltenden Rechtslage. Das letzte Kapitel der Kohle in NRW endet damit mit einem faden Beigeschmack, der die endgültige und fixierte Notwendigkeit zum Ausstieg aus diesem fossilen Energieträger nochmals deutlich macht. Am Ende entscheidet sich die CO2-Bilanz aber nicht durch die Frage, wo die Kohle abgebaggert wird, sondern wann wir endlich aufhören, sie zu verfeuern. Das ist jetzt klar geregelt: Die Kohleverstromung endet in NRW im Jahr 2030.

Was bedeutet diese Vereinbarung für die Dörfer im Rheinischen Revier?

Durch diese Vereinbarung wird im Rheinischen Revier niemand gegen seinen Willen mehr umgesiedelt. Die fünf Dörfer Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath bleiben erhalten. Erfreulich ist auch der Erhalt der Höfe Eggeratherhof, Roitzerhof und Weyherhof. Jetzt geht es darum, die verblieben Dörfer wieder zu stärken und zu entwickeln. Das kann nur gemeinsam gelingen. Wir sind daher zufrieden, dass RWE mit der Landesregierung über die „Revitalisierung” der nicht mehr bergbaulich in Anspruch genommenen Kommune Morschenich und den nicht mehr benötigten Flächen des 3. Umsiedlungsabschnittes Gespräche aufnehmen und diese zu angemessenen Konditionen zur Verfügung stellen wird. Dabei geht es unter anderem auch um den möglichen Rückkauf für ehemalige Eigentümer*innen.

Welche Auswirkungen hat das Ergebnis der Verhandlungen auf Lützerath?

Die ehemalige Siedlung Lützerath ist seit Oktober vollständig umgesiedelt. Lützerath befindet sich derzeit auf einer Art Halbinsellage im Tagebau. Geostatische Gutachten haben diese spezifische Hanglage untersucht und sind zum Ergebnis gekommen, dass Lützerath innerhalb eines voranschreitenden Tagebaus nicht dauerhaft standsicher ist. Damit ist der Erhalt nicht möglich. Das ernüchternde Ergebnis des Gutachtens ist, dass Lützerath vor Jahren tatsächlich hätte gerettet werden können. Dieser Zeitraum ist aber verzogen. Nur durch frühzeitige Anpassungen in der Planung des Tagebaus und einen konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien in NRW durch die vorherige Landesregierung hätte die heutige Situation verhindert werden können. Diese Realität ist ohne Frage bitter.

Auch sind wir auf die Inanspruchnahme von Lützerath versorgungstechnisch angewiesen, da nur so die gutachterlich berechneten notwendigen Kohlemengen erreicht werden, um in der aktuellen Energie-Lage abgesichert zu sein. Das schmerzt auch uns als Grüne. Es zeigt die Dramatik, die mit dem fatalen Energiepolitischen Fokus auf Kohleenergie mit sich kommt. Daher ist es richtig, dass wir den Ausstieg acht Jahre vorziehen.

Wieso wird überhaupt weiter Kohle abgebaut?

Um es vorweg zu sagen: Wir Grüne haben seit jeher gegen Kohleenergie gekämpft. An dieser Haltung ändert sich nichts. Kohleenergie ist dreckig, ineffizient und untrennbar mit Schäden für Mensch und Umwelt verbunden. Die Energiepolitik der letzten Jahrzehnte setzte leider dennoch auf die Verstromung von fossilen Brennstoffen, also Kohle, Öl und Gas. Dieser Fokus hat uns in eine fatale energiewirtschaftliche Situation gebracht, vor der wir Grüne immer gewarnt haben und mit der wir jetzt umgehen müssen. Natürlich setzen wir konsequent auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien und haben dazu große Gesetzesentwürfe durch die Parlamente und deren Umsetzung auf die Schiene gebracht. Dennoch ist die Situation so, dass wir noch wenige Jahre auf fossile Energie angewiesen sind, um die Versorgungssicherheit jetzt zu gewährleisten. Wie viele Jahre und wie viele Kohle wir dafür noch in Energie und dadurch auch mit Freisetzung von CO2umwandeln müssen, haben Landesregierung und Bundesregierung durch Gutachten und Stresstests untersucht. Laut diesen Untersuchungen müssen noch rund 240 Mio. Tonnen Braunkohle aus dem Tagebau Garzweiler II gefördert werden.

Mit welchem rechtlichen Hintergrund kann RWE darauf dringen, dass Menschen oder Orte überhaupt der Kohle weichen müssen?

Entscheidend ist das sogenannte Bundesbergrecht. Dieses ist die Grundlage, wann und in welchem Bereich Umsiedlungen notwendig sind. Mit diesem Recht sind sogar Enteignungen möglich. Das Gesetz von 1980 ist in vielen Teilen sehr restriktiv geschrieben und wurde immer wieder vor Gerichten in der verfassungsrechtlichen Abwägung zwischen Eigentumsrecht, Klimaschutz und energiewirtschaftlicher Notwendigkeit verhandelt. Darüber hinaus hat der Bundesgesetzgeber im Kohleverstromungsgesetz eine „energiewirtschaftliche und energiepolitische Notwendigkeit“ für Garzweiler II ausgesprochen. Dies jetzt nachträglich anzupassen, ist ebenfalls ein Teil der Vereinbarung. Der Fall Lützerath wurde mehrfach vor Gerichten ausgetragen und höchstrichterlich entschieden. Das Ergebnis muss einem nicht gefallen, aber es muss akzeptiert werden. RWE hat das Recht, die Flächen für den Abbau von Braunkohle „in Anspruch“ zu nehmen.

Können wir nicht auch andere Gesetzte einfach ändern?

Natürlich kann der Gesetzgeber, also das Parlament, Gesetze ändern. Die Landesregierung ist aber in ihrem Handeln (z. B. bei Genehmigungen) verpflichtet, sich an bereits bestehendes Recht und Gesetz zu halten. Das verfassungsrechtliche garantierte Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gebietet es darüber hinaus, die Entscheidung des OVG Münster zu akzeptieren und zu respektieren. Das OVG Münster hat im März 2022 entschieden, dass RWE Power AG die Grundstücke in Lützerath zur Gewinnung von Braunkohle im Tagebau Garzweiler abbaggern und die dafür erforderlichen Vorbereitungsmaßnahmen treffen darf.

Gibt es keine anderen Orte, an denen Kohle gefördert werden kann?

Das Rheinische Revier verfügt für die Kohleförderung über drei Tagebaue: Garzweiler II, Hambach und Inden. Die Tagebaue Garzweiler II und Hambach sind mit einer Kohlebahn verbunden, wodurch die hier abgebaute Kohle in mehreren Kraftwerkstandorten genutzt werden kann. Der Tagebau Inden versorgt nur das Kraftwerk Weisweiler, welches 2029 abgeschaltet wird. Dementsprechend ist dieser Tagebau als Ersatz für Kohle aus dem Tagebau Garzweiler II nicht geeignet. Die gewinnbare Kohle im Tagebau am Hambacher Wald ist wegen des Erfolgs zum dauerhaften Erhalt des Waldes ebenfalls begrenzt. Der Großteil der notwendigen Braunkohle muss daher im Tagebau Garzweiler II gefördert werden.

Erhält RWE wegen dem vorgezogenen Ausstieg von 2038 auf 2030 weitere Entschädigungen?

Nein.

Fallen mit Lützerath die Klimaziele?

Mit der heute vorgestellten Eckpunktevereinbarung werden mindestens 280 Millionen Tonnen CO2 gegenüber den bisherigen Planungen eingespart. Ein riesiger Erfolg für den Klimaschutz. Dass aufgrund der aktuellen Energiekrise kurzfristig mehr Kohle benötigt wird, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, bedeutet, dass das Tempo der Emissionsrückgangs auch in den anderen Sektoren weiter beschleunigt werden muss. Der Kohleausstieg allein reicht bei weitem nicht, um unsere Klimaziele zu erreichen. Am Ende ist aber nicht entscheidend, wo die Kohle abgebaut wird, sondern dass möglichst wenig verbraucht wird.

Wird durch das Vorgehen das Pariser Abkommen geschwächt?

Deutschland hat erst 2021 sein Klimaschutzgesetz verschärft und festgelegt, dass der Treibhausgas-Ausstoß stärker als 2019 vorgesehen, sinken muss. Der vorzeitige Kohleausstieg in NRW ist entscheidend dafür, dass wir unsere Klimaziele, mithin die Emissionsminderung um 65 % gegenüber 1990 im Jahr 2030 tatsächlich erreichen. Deshalb sprechen wir auch von einem Meilenstein für den Klimaschutz. Die Vereinbarung zum vorzeitigen Kohleausstieg in NRW schafft hierfür mehr Planungssicherheit. Das ist gerade für die Emissionsminderung im Energie-Sektor wichtig, da wir bei Klimaschutzmaßnahmen nicht immer vollständig sicher sein können, welche Emissionsminderung am Ende genau zu Buche schlägt. Mit dem vorzeitigen Kohleausstieg können wir das.  Ähnliches gilt mit Blick auf den EU-Emissionshandel. Auch hier wird das Ziel für 2030 im Zuge der fit-for-55-Verhandlungen absehbar deutlich verschärft werden, so dass ein Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 zur Einhaltung der Vorgaben der Emissionsbegrenzung im ETS beiträgt. Das heißt wir handeln hier vorausschauend, im Sinne einer stetigen Absenkung der Emissionsmengen. Genau das ist im Sinne des Pariser Abkommens, das alle Staaten dazu anhält, die eigenen Klimaschutzmaßnahmen regelmäßig zu überprüfen und möglichst zu verschärfen bzw. sie ehrgeiziger umzusetzen. Zudem lässt sich das Pariser Abkommen nur kollektiv, von der gesamten internationalen Gemeinschaft umsetzen, es setzt auf ein solidarisches, multilaterales Miteinander zur deutlichen Abschwächung des globalen Treibhausgaseffektes und mithin des Klimawandels.