Der Versuchsreaktor AVR: In jeder Hinsicht ein Desaster
Eine von der rot-grünen Landesregierung geforderte und vom Forschungszentrum Jülich 2011 eingesetzte, unabhängige Expertenkommission hat inzwischen das technische und wissenschaftliche Desaster rund um den Betrieb des AVR in den wesentlichen Punkten bestätigt. Dazu gehört auch, dass der Versuchsreaktor mit Wissen der Verantwortlichen im Forschungszentrum und den Aufsichtsbehörden über Jahre hinweg mit zu hohen Temperaturen und außerhalb sicherheitstechnischer Grenzen gefahren wurde.
Dramatisch wurde die Situation im Jahr 1978: Damals kam es zu einem Einbruch von 30 Tonnen Wasser in den Reaktorbehälter. Die Verantwortlichen ignorierten den Störfall, manipulierten die Sicherheitseinrichtungen und betrieben den Reaktor weiter. Das Ausmaß des Störfalls wurde im Nachhinein vertuscht. Wie wir heute wissen, stand Jülich 1978 am Rande eines GAU.
Es bleiben: Strahlende Hinterlassenschaften und immense Kosten
Geblieben sind die strahlenden Hinterlassenschaften dieses Atomabenteuers mit all ihren Folgen und Kosten: In Jülich lagern rund 300.000 mit Brennstoff gefüllte Reaktorkugeln in 152 Castoren. Hinzu kommt der Reaktorbehälter selbst, in dem sich noch heute 198 hochradioaktive Reaktorkugeln und erhebliche Mengen an Kugelabrieb befinden. Es handelt sich um eine der am stärksten strahlenden Nuklearruinen weltweit, die derart stark radioaktiv kontaminiert ist, dass sie nicht auf herkömmlichem Wege zurückgebaut werden kann. Erst nach der aufwendigen Verlagerung des kompletten Reaktorkerns wird man zudem wissen, wie sehr der Boden darunter verstrahlt ist. Das frühere Versprechen eines Rückbaus des AVR bis zur „grünen Wiese“ entpuppt sich als ein weiteres Märchen der Atomlobby.
Auch finanziell ist der Rückbau, bei dem immer wieder neue Schwierigkeiten auftreten, ein Desaster: Bis heute beläuft sich der aktuelle Stand der Gesamtkosten auf mindestens 700 Mio. Euro – In den 1990er Jahren ging man noch von 34 Mio. DM (!) aus. Es ist nicht auszuschließen, dass der Rückbau am Ende mehr als eine Milliarde Euro kosten wird. Diese Rechnung bezahlen die Bürgerinnen und Bürger. Die Energiekonzerne hingegen haben sich bei dem Projekt schon sehr früh aus dem Staub gemacht.
Verantwortungslos: Die Forschung ging weiter
Trotz des AVR-Desasters finden im Forschungszentrum Jülich unter dem Deckmantel der „Sicherheitsforschung“ noch immer Arbeiten zur Entwicklung neuer Hochtemperaturreaktorlinien statt. Mit Steuermitteln wurde das atomare „Hochtemperatur-Abenteuer“ fortgesetzt und Know-How über die hochriskante Technik ins Ausland exportiert.
Das Forschungszentrum Jülich gehört zu 90% dem Bund, die restlichen 10 % trägt das Land NRW. Die 2010 abgewählte schwarz-gelbe Landesregierung und das Bundeswirtschaftsministerium unter dem damaligen Minister Philipp Rösler förderten die Forschungsaktivitäten mit erheblichen Mitteln. Noch 2010 wollte die Regierung Rüttgers in NRW über den Landesentwicklungsplan neue Forschungsreaktoren ermöglichen. Durch die politische Unterstützung ermutigt, versuchten die Jülicher Atomforscher*innen zudem, ihr HTR-Know-How ins Ausland zu exportieren. Ziel war vor allem Südafrika. Doch auch dort wurden inzwischen alle Forschungen an der Technologie eingestellt.
Durch eine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion wurde zudem vor wenigen Wochen bekannt, dass die Forscher*innen in Jülich bis heute auch an der Entwicklung von HTR-Reaktoren in China beteiligt sind.
GRÜNE fordern: Transparenz, Verantwortungsübernahme und klare Regel
Sowohl die schwierigen Fragen des Rückbaus des AVR und der Zwischenlagerung seines Atommülls, als auch das Thema der zukünftigen Forschung in Jülich bedürfen Transparenz und öffentlicher Debatte. Die GRÜNEN fordern deshalb:
1. Nach der wissenschaftlichen Aufarbeitung des AVR-Desasters muss auch die Beteiligung der damaligen Atomaufsicht aufgearbeitet werden.
2. Die Entscheidung des Forschungszentrums Jülich, die HTR-Forschung jetzt endgültig zu beenden, ist folgerichtig aber nicht ausreichend. Es muss auch alle sogenannte „Sicherheitsforschung“ in Jülich eingestellt werden. Unter diesem Deckmantel wurde viel zu lange Wissenserhalt und –Transfer für neue Reaktorlinien betrieben.
3. Aus GRÜNER Sicht bleiben folgende Aufgaben für das Forschungszentrum Jülich: Allenfalls die notwendige Forschung zum Rückbau von Atomanlagen und zur Endlagerung von Atommüll.
Dazu schlagen wir die Einrichtung einer „Gesellschaftlichen Begleitgruppe“ vor, wie sie beispielsweise beim Forschungszentrum Geesthacht bereits existiert. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die notwendigen Konsequenzen aus dem AVR-Desaster gezogen und die Fehler der Vergangenheit in Zukunft vermieden werden.
Zudem trägt das Forschungszentrum Jülich auch eine Verantwortung für seine Hinterlassenschaften. Wir halten weiter an dem im Koalitionsvertrag verankerten Ziel fest, Atomtransporte zu vermeiden. Wir setzen uns daher dafür ein, dass die in Jülich lagernden Castoren unter Beachtung der sicherheitstechnischen Vorgaben nur noch einmal transportiert werden – nämlich zu einem Endlager in Deutschland, wenn hierfür ein Standort gefunden ist.
Neuste Artikel
Stopp des Familiennachzugs “verhindert Integration”
Der Bundestag hat heute den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre ausgesetzt. Yazgülü Zeybek, Landesvorsitzende der Grünen NRW kritisiert: „Eine Bundesregierung, die vorgibt, die sogenannte illegale Migration stoppen zu wollen, schließt ausgerechnet einen der letzten legalen und sicheren Fluchtwege. Das ist einfach nur dumm. Familien werden auseinandergerissen. Kinder wachsen ohne ihre Eltern auf. Diese…
“Bundesumweltminister entwickelt sich zum Castor-Carsten”
Tim Achtermeyer sagt zu der heutigen Mitteilung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), dass Castor-Transporte aus dem Lager in Jülich und vom Forschungsreaktor in Garching ins Zwischenlager nach Ahaus offenbar kurz bevorstünden: „Die Castor-Transporte durch halb NRW sind politisch falsch und gefährlich. Der Bundesumweltminister entwickelt sich zum Castor-Carsten. Er darf den Transporten…
Bundeshaushalt: “Das hier riecht nach Tesafilm-Politik”
Zu den Haushaltsbeschlüssen der Bundesregierung sagt Tim Achtermeyer, Landesvorsitzender der Grünen NRW: „Haushalt, heißt es ja oft, sei in Zahlen gegossene Politik. Aber bei diesem ersten großen Haushalt der neuen Bundesregierung fragt man sich: Welche Politik eigentlich? Das ganze Werk von Lars Klingbeil wirkt wie ein ziemliches Gefrickel. Probleme werden nicht gelöst, sondern mit geliehenem…
Ähnliche Artikel
LDK-Beschluss
Green Hospital Strategie – Der ökonomische Weg zum nachhaltigen Krankenhaus
Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz am 24. Mai 2025. Einleitung Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten. Mit knapp 6 % hat der Gesundheitssektor einen hohen Anteil am deutschen bzw. globalen CO₂-Ausstoß. Dies ist unter anderem bedingt durch den hohen Energieverbrauch von Gesundheitseinrichtungen, hohe Abfallmengen, ineffiziente Lieferketten und umständliche Prozesse. In Deutschland tragen teilstationäre und…
LDK-Beschluss
Demokratie stärken durch Wissenschaftsfreiheit
Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz am 25. Mai 2025. Die Freiheit der Wissenschaft gerät in verschiedenen Regionen der Welt zunehmend unter Druck. So blicken wir mit großer Sorge auf die aktuellen Entwicklungen in den USA: Die Trump-Administration greift die Wissenschaft zum Zwecke eines rechten Kulturkampfes in den USA, bisher eine der forschungsstärksten Staaten der Welt, gerade frontal…
LDK-Beschluss
Für Artenvielfalt, Klima und Umwelt: Ökolandbau in Nordrhein-Westfalen voranbringen!
Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz am 25. Mai 2025. Auch wenn die Krise der Artenvielfalt und die Klimakrise aktuell aufgrund diverser geopolitischer Konflikte weniger im Fokus stehen, so sind sie doch weiter existent und noch lange nicht gelöst. Seit langem gilt die intensive Landwirtschaft als ein wesentlicher Treiber insbesondere des Artensterbens. Hier führt die intensive Nutzung dazu,…