LDK-Beschluss

Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen verbessern

In Deutschland haben Flüchtlinge nach derzeitigem Recht nur eine eingeschränkte gesundheitlichen Versorgung. Zum einen ist der Zugang zum Gesundheitssystem durch die Beantragung der medizinischen Leistungen beim Sozialamt erschwert, zum anderen ist der Leistungsumfang nach §§ 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erheblich eingeschränkt. So haben die Menschen, die bei uns Asyl suchen nur Anspruch auf Leistungen, wenn eine Krankheit entweder „akut“ oder „schmerzhaft“ ist, oder die Behandlung zur Sicherstellung ihrer Gesundheit unerlässlich ist. Dies führt in der Praxis häufig zu schwerwiegenden Problemen und menschenunwürdigen Situationen. Deshalb wird von vielen Seiten schon seit langen die Forderung nach einem Zugang der Flüchtlinge in die gesundheitliche Regelversorgung erhoben.

Bisher konnten Asylsuchende, die länger als 48 Monate in Deutschland und im Leistungsbezug waren, mit der Chip-Karte einer gesetzlichen Krankenkasse einen Arzt oder eine Ärztin ihrer Wahl aufsuchen, die Kosten werden den Krankenkassen durch die für die Leistungen des AsylbLG zuständigen Kommunen erstattet. Mit den Beschlüssen zum „Flüchtlingsgipfel“ im November letzten Jahres ist diese Wartezeit deutlich verkürzt worden, so dass diese Möglichkeit bereits nach 15 Monaten eröffnet wird. Sie erhalten eine Gesundheitskarte und Leistungen einer gesetzlichen Krankenversicherung ihrer Wahl. Trotz dieser Verbesserung bleibt die Situation für viele Flüchtlinge sehr problematisch.

Hilfsorganisationen berichten von erschütternden Einzelfällen auch in gesundheitlich krisenhaften Situationen, zudem haben Flüchtlinge außerhalb der Schwangerenvorsorge kaum Zugang zu den Leistungen zur Prävention, Psychotherapie und Rehabilitation. Gerade Menschen, die durch Folter und Gewalt schwer traumatisiert sind, bleiben zumeist ohne angemessene Hilfe. Grundlage für diese menschenunwürdige Praxis ist das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Es schränkt den Leistungsumfang nach §§ 4 und 6 AsylbLG erheblich ein. In den ersten 15 Monaten des Aufenthaltes in Deutschland erschwert es zugleich den Zugang zum Gesundheitssystem durch die vorherige Beantragung der medizinischen Leistungen beim Sozialamt. Damit ist dieses Recht schlecht für die Patientinnen und Patienten und zugleich eine erhebliche Belastung für die örtlichen Sozialämter.

Deshalb setzen wir GRÜNEN uns auf Bundesebene seit langem dafür ein, die Gesundheitsversorgung nicht länger nach dem AsylbLG (Asylbewerberleistungsgesetz) zu regeln, sondern dieses Gesetz ersatzlos zu streichen und die Flüchtlinge in unser Sozialrecht einzubeziehen.

Darüber hinaus fordern wir Verbesserungen in der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung besonders schutzbedürftiger Asylsuchenden, Flüchtlingen und Abschiebungshäftlingen. Bundesweit fehlt es an niedrigschwelligen und spezialisierten psychotherapeutischen und psychosozialen Angeboten.

Um Sprachbarrieren abzubauen, sollten außerdem Kosten für Dolmetscherinnen und Dolmetscher von den Krankenkassen übernommen werden.

Zugang zur medizinischen Regelversorgung schaffen

In einer Reihe von Kommunen sind insbesondere von Grünen Ratsfraktionen Initiativen für eine örtliche Gesundheitsversorgung nach dem sogenannten „Bremer Modell“ ergriffen worden. Diese Initiativen haben das Ziel, dass Flüchtlinge nicht erst nach 15 Monaten sondern von Anfang an eine Gesundheitskarte erhalten.

Derzeit ermöglicht § 264 Abs. 1 SGB V, dass die Krankenkassen für bestimmte Personenkreise die Krankenbehandlung übernehmen können, sofern ihnen Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall sowie eines angemessenen Teils ihrer Verwaltungskosten gewährleistet wird. Die gesetzlichen Krankenkassen sind in ihrer Entscheidung frei, ob sie und zu welchen Konditionen sie einen solchen Vertrag abschließen. Bundesweit gibt es bisher nur wenige Verträge auf dieser Basis.

Auf dieser Rechtsgrundlage wurde das sogenannte „Bremer Modell“ entwickelt und erfolgreich umgesetzt. Kern ist dabei, dass Flüchtlinge eine Gesundheitskarte erhalten und damit im Krankheitsfall direkt zum Arzt gehen können. So wird in Bremen und Bremerhaven bereits seit 2005 die Möglichkeit genutzt, die der § 264 Abs.1 SGB V eröffnet, die Krankenbehandlung für Flüchtlinge, Asylbewerber*innen und Geduldete auf die Krankenkassen zu übertragen und Asylsuchenden eine Gesundheitskarte auszustellen. Der Krankenkasse werden ihre Aufwendungen durch die zuständige Kommune erstattet.

Bereits seit 1993 wird in diesen Städten mit dem „Bremer Modell“ das Ziel verfolgt, eine umfassende Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge aufzubauen und die Zugangschancen zum Gesundheitssystem und die Wohn- und Lebensbedingungen zu verbessern. Dabei wird auf gute Vernetzung der an der Versorgung von Flüchtlingen beteiligten Organisationen gesetzt. Diese auf die Bedarfslage von Flüchtlingen ausgerichtete Versorgung und die Einbeziehung dieser Menschen durch die Gesundheitskarte in das Regelangebot der Gesundheitsversorgung werden als „Bremer Modell“ umschrieben. Seit 2012 hat auch Hamburg das Modell übernommen und entsprechende Vereinbarungen getroffen. Hier hat, wie schon zuvor in Bremen die AOK Bremen/Bremerhaven einen entsprechenden Vertrag mit der Stadt Hamburg abgeschlossen.

Die Erfahrungen aus Bremen und zuletzt auch aus Hamburg zeigen, dass sich durch das Projekt auch in erheblichem Umfang Verwaltungskosten der Kommunen einsparen lassen (z.B. bei der Abrechnungsstelle, der Administration der Krankenhilfe nach AsylbLG, oder entsprechende Amtsarztkosten). Wie bei allen Kassenpatient*innen müssen bestimmte Leistungen genehmigt werden.

Die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge führt dazu, dass:

  • die stigmatisierende Praxis mit Beantragung beim Sozialamt und Erhalt eines einzelnen Behandlungsscheins beendet wird;
  • medizinunkundige Verwaltungsangestellte nicht mehr über die Notwendigkeit einer Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden entscheiden müssen;
  • ein Großteil der Verwaltungsausgaben im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung für Asylsuchende in den Kommunen wegfallen würden.

Wenn es gelingt, wie im Bremer Modell, allen Flüchtlingen mit der Gesundheitskarte einen direkten Zugang zum Arzt zu verschaffen, wäre ein wichtiger Schritt hin zu einer menschenwürdigen Gesundheitsversorgung getan. Allerdings ergibt die Einführung der Gesundheitskarte auf der Basis des § 264 SGB V nicht automatisch eine Ausweitung des medizinischen Leistungskatalogs für Asylsuchende. Denn der eingeschränkte Leistungsumfang nach AsylbLG bleibt bestehen, kann aber in den Vereinbarungen mit den Krankenkassen im Sinne der Patientinnen und Patienten großzügig ausgelegt werden. Dies trägt zur Gesundheit der Patientinnen und Patienten bei und vermeidet teure Folgekosten von nicht oder zu spät behandelter Erkrankungen.

Wir fordern die Gesundheitskarte für Flüchtlinge auch in NRW-Kommunen

Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Einführung einer Gesundheitskarte ein wichtiger erster Schritt, den es zu beschreiten gilt. Da in NRW die Kommunen Träger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind, haben diese auch die Zuständigkeit für die Einführung der Gesundheitskarte für Asylsuchende auf der Basis des § 264 SGB V.

In den vergangenen Monaten haben bereits eine Reihe von Kommunen Interesse an der Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge gezeigt. In Zahlreichen Kommunen und Kreisen wurden hierzu insbesondere durch die GRÜNEN Ratsvertretungen vor Ort entsprechende Initiativen auf den Weg gebracht. Eine Umsetzung setzt allerdings voraus, dass Krankenkassen zu einem entsprechenden Vertragsabschluss nach § 264 Abs. 1 SGB V bereit sind. Dem Vernehmen nach standen die Krankenkassen in NRW lange Zeit einer freiwilligen Vereinbarung ablehnend gegenüber. Die Stadt Münster und weitere Städte hatten sich daraufhin direkt an die AOK Bremen/Bremerhaven gewandt, die bereits einen entsprechenden Vertragsabschluss mit den beiden Stadtstaaten getroffen hat. Inzwischen haben die beiden großen Regionalkassen aus NRW Gespräche aufgenommen.

Die GRÜNEN in NRW begrüßen es daher, dass das MGEPA NRW die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge befördert und mit den Regionalkassen in Verhandlungen über eine Rahmenvereinbarung für NRW eingetreten ist, um Kommunen in NRW die Einführung einer Gesundheitskarte für Asylsuchende und Flüchtlinge zu ermöglichen.

Bei der Verständigung zwischen Bund und Ländern über ein Gesamtkonzept zum Asylbewerberleistungsrecht hat der Bund Ende des letzten Jahres zugesagt, gemeinsam mit den Ländern zu prüfen, wie es interessierten Flächenländern ermöglicht werden kann, die Gesundheitskarte für die ihnen zugewiesenen Asylbewerberinnen und -bewerber einzuführen, mit dem Ziel einer entsprechenden bundesgesetzlichen Regelung.

Wir GRÜNEN werden uns auf Bundesebene mit Nachdruck dafür einsetzen, dass es zu einer entsprechenden Regelung kommt. Die Bundesregierung ist aufgefordert, ihre Verzögerungstaktik aufzugeben und Verantwortung auch für Flüchtlinge zu übernehmen.

Klar muss sein, dass wir GRÜNEN es grundsätzlich für notwendig halten, die Gesundheitsversorgung der Asylbewerberinnen und Asylbewerber deutlich zu verbessern und ihnen den vollen Krankenversicherungsschutz zu ermöglichen. Zugleich soll der Bund die vollen Kosten der Gesundheitsversorgung des betroffenen Personenkreises wirksam und dauerhaft übernehmen.

Wir GRÜNEN werden uns weiterhin für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) einsetzen!

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