Beschluss der LDK am 14.-15.06.2019 in Neuss
Jedes Kind hat das Recht auf Teilhabe, auf Dazugehören, auf Bildung, soziale Sicherheit und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. In der Bundesrepublik Deutschland wächst aber fast jedes vierte Kind in Armut auf oder ist davon bedroht. In Nordrhein-Westfalen ist das Ausmaß der Kinderarmut sogar noch höher. Das ist katastrophal und mehr als beschämend für eine reiche Volkswirtschaft. Dabei misst sich Armut nicht bloß an Zahlen. Armut ist in sämtlichen Lebensbereichen spürbar und beeinträchtigt den Alltag der betroffenen Kinder auf allen Ebenen.
Es kann nicht sein, dass Kinder ihren Hobbies nicht nachgehen können, weil die Sportausrüstung zu teuer ist. Es kann nicht sein, dass Kinder die Geburtstagsfeier von Freund*innen meiden, weil das Geld für ein Geschenk nicht reicht. Armut ist nicht nur das „sich nicht leisten können“, sondern leider auch viel zu oft das „nicht mitmachen können“. Das ist für Kinder, die dauerhaft von Armut betroffen sind, umso gravierender. Wir GRÜNE in NRW wollen das nicht akzeptieren, sondern auf allen Ebenen dagegen steuern.
Das aktuelle System der Familienförderung — ungerecht und bürokratisch
Jedes Kind sollte am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, unabhängig von der Einkommenssituation der Eltern. Die Fahrt mit Bus und Bahn, ein warmes und gesundes Mittagessen, der Kinobesuch oder das Eis am Nachmittag dürfen keine Privilegien sein. Vielmehr ist ein Mindestmaß an Teilhabe ein verfassungsrechtlich verbriefter Rechtsanspruch, der allen Kindern garantiert ist. Jedoch führen bürokratische Hürden und oftmals auch Unkenntnis dazu, dass bei einem großen Teil der anspruchsberechtigten Kinder Leistungen wie das Bildungs- und Teilhabepaket oder der Kinderzuschlag nicht ankommen. Sie kommen nicht zu ihrem Recht und leben mit ihren Familien in verdeckter Armut.
Das jetzige System der Familienförderung ist enorm zersplittert und verfehlt das Ziel, Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, bei weitem. Familien mit keinem oder geringem Haushaltseinkommen müssen sich mit vielen verschiedenen Behörden und Anträgen auseinandersetzen, um das Nötigste zu erhalten. Für einkommensstarke Familien erledigt das Finanzamt über Steuererklärung und Günstigerprüfung den Aufwand, um von der besten Lösung für ihr Kind zu profitieren. Während sie auch automatisch von Kindergeld- und Kinderfreibetragserhöhungen profitieren, gehen einkommensarme Familien leer aus, weil jeder Euro mehr Kindergeld auf Hartz IV angerechnet wird. Das ist ungerecht. Maßnahmen wie Kindergelderhöhungen gehen an denjenigen vorbei, die eigentlich davon profitieren sollten. Von einer gezielten Strategie zur Bekämpfung von Kinderarmut sind sowohl die aktuelle Bundesregierung als auch die schwarz-gelbe Landesregierung Lichtjahre entfernt.
Insbesondere das Bildung- und Teilhabepaket (BuT) ist in seiner Bilanz ernüchternd und oftmals ein bürokratisches Hemmnis. Gerade einmal jedes dritte der leistungsberechtigten Kinder nimmt die Leistungen des BuT in Anspruch. Gründe hierfür sind sowohl der hohe Bürokratieaufwand als auch die Unkenntnis über die Existenz der Leistungen. Hierbei gibt es erhebliche regionale Unterschiede, die häufig in Zusammenhang zu den sehr unterschiedlichen Angeboten vor Ort stehen. Gutes Aufwachsen und Teilhabe darf aber nicht von Wohnort und dem Wissen über entsprechende Leistungen abhängen. Es ist akut notwendig, dass Bund, Land und Kommunen die Inanspruchnahme von Kinderzuschlag und BuT deutlich erhöhen, damit alle Kinder zu ihrem Recht kommen – durch bessere Informationen für die Anspruchsberechtigten und Entbürokratisierung der Anträge. Das Land muss die Kommunen dabei unterstützen und Handlungsempfehlungen auf der Basis von Best-Practice-Beispielen heraus geben.
Anspruch des Gesetzgebers muss es sein, die Leistungen so einfach auszugestalten, dass sie möglichst alle Kinder automatisch erreichen. Hierzu braucht es eine nachhaltige Gesamtstrategie, die aufeinander abgestimmt eine bedarfsdeckende Geldleistung sowie unterstützende, kostenfreie Infrastruktur vor Ort kombiniert, die allen Kindern ein Aufwachsen ohne Armut ermöglicht. Es ist endlich Zeit das durchzusetzen, was Bundes- und Landesregierung versäumen.
Mut zum Systemwechsel: Kindergrundsicherung einführen
Wir GRÜNE wollen allen Kindern ein gutes Aufwachsen ermöglichen. Notwendig ist eine Leistung, die dort ankommt, wo sie gebraucht wird und die einfach sowie unbürokratisch zugänglich ist. Nur so kann auch verdeckte Armut bei Kindern überwunden werden. Deswegen fordern wir GRÜNE die Einführung einer Kindergrundsicherung als eine Leistung aus einer Hand. Die Grüne Kindergrundsicherung macht Schluss mit dem Anrechnungswirrwarr und dem Antragsdschungel unterschiedlicher Leistungen. Statt bedürftigkeitsgeprüfter Sozialleistungen wie Kinderregelsätze, Bildungs- und Teilhabepaket oder Kinderzuschlag wollen wir eine Kindergrundsicherung als eigenständigen Anspruch des Kindes einführen, die automatisch ohne aufwendiges Antragsverfahren ausgezahlt wird. Denn Kinder- und Jugendliche sind keine kleinen Erwerbslosen und gehören deshalb auch nicht in das System des Förderns und Forderns. Sie sind eigenständige Persönlichkeiten und haben ein Recht darauf, dass ihre Rechte und Interessen in den Mittelpunkt gestellt werden.
Die Kindergrundsicherung garantiert allen Kindern Unterstützung und Teilhabe, unabhängig davon, wie hoch das Einkommen der Eltern ist. Dabei gilt, je niedriger das Einkommen der Eltern desto höher ist die Kindergrundsicherung. So wird sichergestellt, dass alle Kinder bekommen, was sie zum Leben brauchen und das Geld auch ankommt, wo es am meisten gebraucht wird.
Gute und kostenfreie Angebote vor Ort für alle Kinder
Neben der materiellen Unterstützung von Kindern und Familien brauchen wir auch einen weiteren Schub von guten Angeboten vor Ort. Wir setzen auf eine sozialraumorientierte Familienpolitik, die Kinder und Familien dort unterstützt, wo sie leben. Familienzentren wollen wir zu Orten weiterentwickeln, die die unterschiedlichen Akteur*innen im Sozialraum zusammenbringen. Und wir setzen auf einen qualitativen Ausbau des Ganztags.
Kein Kind sollte hungrig in der Kita oder Schule sitzen müssen — ein warmes und gesundes Mittagessen darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Darum fordern wir flächendeckend ein kostenfreies und gesundes Mittagessen in Schulen und Kitas, und zwar für alle Kinder. Ein warmes Essen muss zu guten Bildungseinrichtungen selbstverständlich dazu gehören.
Darüber hinaus muss es jedem Kind möglich gemacht werden, die Angebote des öffentlichen Nahverkehrs frei nutzen zu können. Wenn ein Kind die Geburtstage von Freund*innen verpasst, weil die Familie sich das Busticket dahin nicht leisten kann, dann ist das ein Armutszeugnis nicht der Familien, sondern der Gesellschaft. Die Möglichkeit kostenlos mit Bus und Bahn reisen zu können muss jedem Kind gewährt werden. Nur so können wir die bedingungslose Teilhabe aller garantieren und der Stigmatisierung ein Ende setzen.
Auch die frei zugänglichen Sport-, Kultur- und Freizeitangebote müssen massiv ausgebaut werden. Sport-, Musik- und Freizeitvereine sind wichtige gesellschaftliche Anlaufpunkte und helfen dabei, der sozialen Isolation von Kindern aus einkommensschwachen Familien vorzubeugen. Wir möchten, dass jedes Kind diese Angebote nutzen kann, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, ob sich die eigene Familie das leisten kann oder nicht.
Kindergrundsicherung + gute Infrastruktur = Teilhabe
Wir brauchen ein grundsätzliches Umdenken darüber, was der Staat allen Kindern kostenfrei und einfach zugängig insbesondere in den Institutionen wie Kita und Schule und auch in der Jugendhilfe zur Verfügung stellen soll. Hierzu gehört auf jeden Fall ein warmes Mittagessen. Aber auch Fahrten mit Bahn und Bus sollen für Kinder und Jugendliche kostenfrei sein. Um Kinderarmut zielgenau zu bekämpfen und gutes Aufwachsen für alle Kinder zu garantieren, braucht es einfach zugängliche und bedarfsdeckende Lösungen im Sinne der Kinder. Eine gute materielle Absicherung und kostenlose Infrastrukturangebote vor Ort sind kein „entweder oder“, sondern gehen Hand in Hand.
Wir GRÜNE in NRW fordern deshalb die zügige Einführung einer Kindergrundsicherung, die automatisch ausgezahlt wird und die allen Kindern das garantiert, was sie zum Leben brauchen. Dieses Ziel vor Augen werden wir auf allen Ebenen die nötigen Entscheidungen vorantreiben, damit alle Kinder endlich zu ihren sozialen Rechten kommen!
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