LDK-Beschluss

Dem Rassismus keine Chance

Durch einschneidende Vorfälle in den letzten Jahren wurde das trügerische Selbstbild einer weitgehend diskriminierungs- und rassismusfreien Gesellschaft ins Wanken gebracht. Der rassistische und islamfeindliche Mord an Marwa El-Sherbini, die schrecklichen Anschläge von Oslo und Utoya sowie die Aufdeckung der rechtsterroristischen Mordserie des NSU sind die furchtbaren Spitzen des Eisbergs, durch deren öffentliche Aufmerksamkeit eine überfällige Debatte über Rassismus und andere menschenfeindliche Einstellungen in unserer Gesellschaft angestoßen wurde.

Die Gefahr durch rechtsextremistische Gruppierungen und Einzelpersonen ist real. Das zeigt uns nicht nur die Aufdeckung des NSU. Die Amadeu Antonio Stiftung zählt 182 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 und auch die offiziellen Statistiken zur politisch motivierten Kriminalität zeichnen ein eindeutiges Bild: Für das Jahr 2011 wurden insgesamt 190 politisch rechts motivierte Gewaltdelikte in NRW verzeichnet. Ein neuer Höchststand rechter Gewalt in NRW. Damit steht NRW – wie auch schon in den Jahren zuvor – an erster Stelle im Bundesvergleich politisch motivierter Gewalttaten bei Betrachtung der absoluten Zahlen. Bei den relativen Zahlen befindet sich NRW im Vergleich zu den anderen Bundesländern immer noch im Mittelfeld. In NRW haben wir vor allem in den Städten Dortmund, Aachen und Wuppertal und dem jeweiligen Umland Probleme mit rechtsextremen Kameradschaften und Autonomen Nationalisten, die immer offener und aggressiver im öffentlichen Raum auftreten. Dabei ist zu beobachten, dass sich auch immer mehr Mädchen und Frauen an den Aktivitäten in der rechtextremen Szene beteiligen.

Die hohe Gewaltbereitschaft und der Zulauf zur rechten Szene sind besorgniserregend. Doch das ist nur ein Teil des Problems. Denn wir wissen, dass Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit in weiten Teilen der Gesellschaft verankert sind. Diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit äußert sich nicht immer in Form von physischer Gewalt, auch Worte und ausgrenzende Strukturen können verletzen. Gesellschaftliche Debatten über Minderheiten sind oft geprägt von rassistischen Diskursen, die vornehmlich die Abwertung des Anderen und hierüber die Aufwertung des Selbst zum Ziel haben. Seit einigen Jahren hat insbesondere der antimuslimische Rassismus einen starken Auftrieb, bei dem die Erklärungsmuster des biologistischen Rassismus auf kulturelle Konstrukte übertragen werden. So werden im antimuslimischen Rassismus die MuslimInnen als homogene, kulturell/zivilisatorisch unterlegene und gefährliche Gruppe gezeichnet und hierüber als das genaue Gegenteil zur Mehrheitsgesellschaft verstanden. Die Pluralität innerhalb muslimischer Communities wird hier ebenso ausgeblendet wie die sozioökonomischen Faktoren, die die Lebenswelt von Musliminnen und Muslimen prägen. Gleiches gilt für die rassistische Abwertung und Ausgrenzung vieler anderer marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen.

Neben der zielgerichteten Gewalt und dem erschreckenden Hass des Rechtsterrorismus dokumentiert die Aufdeckung des NSU auch wie schnell vorurteilsbelastete Ermittlungen Opfer zu TäterInnen macht bzw. als solche erscheinen lassen will. Über elf Jahre hinweg wurde seitens der Sicherheitsbehörden ein rechtsextremer Hintergrund der Morde an neun Menschen mit Migrationsgeschichte und einer Polizistin praktisch ausgeschlossen. Die TäterInnen wurden in der migrantischen Community vermutet, die angeblich durch Drogen- und Schutzgeldmilieus geprägt sei. Die Angehörigen der Mordopfer und die Betroffenen der Sprengstoffanschläge wurden teilweise massiv über Jahre hinweg von der Polizei mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie selbst etwas mit den Taten zu tun hätten. Der Titel für die Ermittlung zuständige Sonderkommission „Bosporus“ ist hier ebenso bezeichnend, wie der unsägliche Begriff der „Döner-Morde“, der von der Presse verbreitet wurde. Die Ermittlungen in die falsche Richtung und die tendenziöse Berichterstattung zeigen, wie stark gesellschaftliche Vorurteile unsere Denkmuster prägen und sich so ganz konkret auf Menschen auswirken.

Gegen diese eindeutigen und für alle sichtbaren Ausgrenzungsprozesse müssen wir ebenso vorgehen, wie gegen die strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Migrationsgeschichte. Auch nach fast 60 Jahren Einwanderung sind die gesellschaftlichen Strukturen immer noch nicht in dem Maße interkulturell geöffnet, wie es in einer Gesellschaft mit einer so großen kulturellen, ethnischen und religiös-weltanschaulichen Vielfalt notwendig wäre. Noch immer sind Menschen mit Migrationsgeschichte zu wenig in Politik, Medien, Wirtschaft und im Bildungssystem repräsentiert. Grund hierfür sind Strukturen, die gerade für Menschen mit Migrationsgeschichte den Zugang zu gesellschaftlichen Schlüsselpositionen verhindern. So müssen sich Menschen, die nicht-deutsche Namen haben, bis zu 8-mal so häufig bewerben, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Studien haben ergeben, dass Menschen mit Migrationsgeschichte mit einem hohen Bildungsabschluss häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind, als die die keinen Abschluss haben. Das zeigt deutlich, dass rassistische Vorurteile gesellschaftliche Strukturen so weit prägen, dass eine Gleichstellung aller Menschen, die hier leben, verhindert wird. Das ist ein Zustand, den wir als Grüne nicht hinnehmen können und auch nicht hinnehmen werden!16

Als Grüne haben wir uns immer deutlich gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit positioniert: Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Homophobie, Abwertung von Obdachlosen, Langzeitarbeitslosen, Menschen mit Behinderungen wie auch gegen Sexismus und antimuslimischen Rassismus. Eine Hierarchisierung von Opfergruppen lehnen wir dabei ab. Wir haben gemeinsam mit anderen demokratischen Kräften zu Demonstrationen und Kampagnen aufgerufen und uns in den Parlamenten für die Rechte von Minderheiten stark gemacht. In der letzten Legislaturperiode hat die Grüne Landtagsfraktion NRW für die Einrichtung von zwei spezialisierten Beratungsstellen für Opfer rechter und rassistischer Gewalt gesorgt. Im rot-grünen Koalitionsvertrag 2012 haben wir die Erstellung eines Landesprogramms gegen Rechtsextremismus und Rassismus sowie die Prüfung rechtlicher und struktureller Diskriminierung von Menschen mit Migrationsgeschichte verankert. Unser Anspruch als Partei muss aber auch darüber hinausgehen. Gesamtgesellschaftliche Diskurse gehen nicht an Grünen Mitgliedern vorbei. Auch in unserer Partei fehlt es stellenweise an Sensibilität für kulturelle Vielfalt und deren Anerkennung. Deshalb muss unser nachhaltiges Engagement gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus und für eine kulturell, ethnisch und religiös-weltanschaulich vielfältige Gesellschaft weiter gehen und dabei sowohl gesamtgesellschaftliche Diskurse als auch innerparteiliche Strukturen im Blick haben. Wir geben dem Rassismus keine Chance. Nicht bei uns, nicht in NRW, nirgendwo!

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