Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch mit seiner Würde und Freiheit. Dieser erste Satz unseres GRÜNEN Grundsatzprogramms ist Grundlage unserer Politik, insbesondere unseres Einsatzes für Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen oder bedroht sind. Wir GRÜNE stehen damit auch für das Recht auf Wohnen als international verbrieftes Menschenrecht ein. Als Teil des Rechts auf einen angemessen Lebensstandard ist es fest verankert in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und in dem 1976 in Kraft gesetzten, von Deutschland ratifizierten UN-Sozialpakt. Das Menschenrecht auf Wohnen bedeutet das Recht auf Verfügbarkeit und Schutz angemessenen Wohnraums sowie einen offenen, diskriminierungsfreien und bezahlbaren Zugang zu Wohnraum. Eine sichere, angemessene und dauerhaft finanzierbare Wohnung ist eine unabdingbare Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben.
Dieses Recht auf Wohnen erodiert zusehends. Die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt betrifft längst nicht mehr allein die Großstädte. Eine über Jahrzehnte verfehlte Wohnungs- und Baupolitik in Bund und Ländern, sozialpolitische Fehlentscheidungen und die demografische Entwicklung haben die Wohnungsnot massiv verschärft. Der Neubau von öffentlich gefördertem Wohnraum reicht bei weitem nicht aus, um die aus der Preisbindung fallenden Wohnungen zu kompensieren. Die Marktspannung nimmt erheblich zu und die Nachfrage, insbesondere nach kleinen, altersgerechten bzw. barrierefreien und preisgünstigen Mietwohnungen kann nicht befriedigt werden. Wohnen ist heute eine der zentralen sozialen Fragen unserer Zeit. Der extreme Mietpreisanstieg gerade in Ballungsgebieten sowie das unzureichende Angebot an preiswertem Wohnraum hat sich seit Jahren abgezeichnet, doch Gegenmaßnahmen wurden zu wenig ergriffen. Gleichzeitig ist die Zahl der Haushalte mit niedrigem Einkommen gestiegen. Bereits 2013 hat der Deutsche Mieterbund vor steigenden Mieten, unbezahlbaren Modernisierungen und bis 2017 vor einem Fehlbestand von 825.000 Mietwohnungen vor allem in Ballungszentren, Groß- und Universitätsstätten, gewarnt.
Seit 1990 ist der Bestand an Sozialwohnungen um etwa 60 % gesunken. 2016 gab es noch ca. 1,2 Millionen Sozialwohnungen, bis 2020 werden weitere 170.000 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Zusätzlich haben eine Reihe von Kommunen, Bundesländer und der Bund eigene Wohnungsbestände an private Investoren verkauft. Damit haben sie diese Reserve an bezahlbarem Wohnraums aus der Hand gegeben. In NRW fehlen mehr als 200.000 Sozialwohnungen. Zudem fallen jährlich etwa 10.000 Wohnungen aus der Sozialbindung heraus. Deshalb ist es notwendig, dass das Land weiterhin mit attraktiven Förderkonditionen neue Sozialwohnungen umfänglich fördert.
Doch passiert ist viel zu wenig, und die sinnvolle und sachgerechte Fokussierung auf bezahlbaren Wohnraum und sozialen Wohnungsbau von Rot-Grün in NRW ist von Schwarz-Gelb verantwortungslos zu Gunsten von Eigenheimförderung aufgegeben worden.
Wohnungslosigkeit reicht in die Mitte der Gesellschaft
Akute oder drohende Wohnungslosigkeit reicht bis in die Mitte der Gesellschaft und erreicht Jahr für Jahr neue Höchststände. Nach Berechnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hat die Zahl der Wohnungslosen im Jahr 2016 bundesweit bereits bei über 800.000 gelegen und könnte in diesem Jahr bei über einer Million Menschen ankommen. Ein großer Teil sind Geflüchtete, die in Sammelunterkünften leben. Doch auch, wenn man diese herausrechnet, gehen Schätzungen von über 400.000 Wohnungslosen aus. Etwa 52.000 Menschen lebten ohne jede Unterkunft auf der Straße – auch hier ist die Tendenz seit Jahren steigend. Bis heute gibt es bundesweit keine verlässlichen, offiziellen Zahlen, denn die wurden von keiner Bundesregierung der letzten Jahrzehnte erhoben. Allein diese Weigerung von CDU/CSU, SPD und FDP, die Problemlagen überhaupt erst einmal in Zahlen zu erfassen und das Thema auf die politische Agenda zu heben, ist ein Skandal. Deshalb fordern wir nachdrücklich, dass zukünftig entsprechend aussagekräftige Zahlen offiziell verbindlich erhoben werden. Die Bundesregierung muss dies organisatorisch und finanziell unterstützen.
Nordrhein-Westfalen erhebt seit 2011 jährlich eine Wohnungslosenstatistik, in der die offiziell bei den Kommunen oder freien Trägern der Wohnungslosenhilfe angemeldeten Klientinnen und Klienten erfasst sind. Diese unter Rot-Grün neu konzipierte integrierte Wohnungsnotfall-Berichterstattung erlaubt eine Einschätzung zum Ausmaß, vor allem aber der Entwicklung der Handlungsnöte. Zum Stichtag 30. Juni 2016 waren insgesamt 25.045 Personen in NRW als wohnungslos gemeldet worden –60 % mehr als noch im Jahr 2011. Die Berechnungen der BAG Wohnungslosenhilfe zeigen, von einer deutlich darüber hinaus gehenden Dunkelziffer ausgegangen werden kann. Diese stat. Zahl konzentriert sich auf einen Ausschnitt der Wohnungsnotfälle, nämlich auf Personen bzw. Haushalte, die tatsächlich von Wohnungslosigkeit betroffen und institutionell (ordnungs- oder sozialhilferechtlich) untergebracht sind bzw. von freien Trägern der Wohnungslosenhilfe betreut werden. Nicht berücksichtigt werden Personen, die in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben, etwa in beengtem Wohnraum, oder denen der Verlust der derzeitigen Wohnung unmittelbar bevorsteht sowie wohnungslose Personen, die weder ordnungsrechtlich untergebracht sind noch bei den freien Trägern der Wohnungslosenhilfe in Erscheinung treten.
Zunehmend besteht auch ein Wohnungsnotstand für die Menschen, die selbstständig leben wollen, für die aber es aber überhaupt kein Wohnungsangebot gibt und sie deshalb gezwungen sind in Sondereinrichtungen zu leben. Nach Schätzungen der Freien Wohlfahrtspflege fehlen allein in NRW für mindestens 20.000 Menschen Wohnungen für Betreutes Wohnen oder dem „selbständigen Wohnen mit Assistenz“. Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention gibt uns vor, dass kein Mensch, der es nicht will in einer Sondereinrichtung leben muss. Auch für die Umsetzung dieses Menschenrechts brauchen wir vielerorts entsprechenden Wohnraum.
Besonders die Zunahme von wohnungs- und obdachlosen Jugendlichen ist schockierend. Die Wohnungslosenstatistik des Landes NRW aus dem Jahr 2015 spricht von 1642 Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren, die in NRW keinen festen Wohnsitz haben. 3256 junge Menschen unter 25 Jahren sind wohnungslos. Sozialarbeiter*innen berichten von einem sich verschärfenden Problem, denn in den letzten Jahren ist die Anzahl junger Wohnungs- und Obdachloser weiter angestiegen. Die Gründe für die Wohnungslosigkeit sind auch bei Jugendlichen differenziert. Knackpunkte sind häufig die Umbruchphase mit der ersten Beziehung, zwischen Schule und Ausbildung, dem Auszug aus der Familie oder eine Jugendhilfeeinrichtung. Problematisch ist, dass viele Jugendliche mit dem 18. Lebensjahr aus Einrichtungen der Jugendhilfe gezwungen sind auszuziehen, obwohl sie laut Jugendhilfegesetz auch nach der Volljährigkeit betreut werden müssen, wenn ihre individuelle Situation dies erfordert. Junge Menschen, die sich nach dem 18. Geburtstag an die Jugendämter wenden, werden in der Regel erst gar nicht in Einrichtungen der Jugendhilfe aufgenommen. Diese Praxis der Jugendämter gilt es mit Blick auf die besonders schwierige Lebenssituation obdachloser Jugendlicher dringend zu ändern.
In den letzten Jahren ist auch der Anteil der wohnungslosen Frauen weiter angestiegen. Mittlerweile sind Dank des Landesprogramms eine Reihe von frauengerechten, bedarfsorientierten Angeboten aufgebaut worden. Darunter auch früh ansetzende und sozialräumlich ausgerichtete, präventive Hilfen. Notwendig ist allerdings, diese erfolgreichen Beispiele in die Regelpraxis umzusetzen.
Auch alte und vorzeitig gealterte obdachlose Frauen und Männer haben einen spezifischen Bedarf. Sie benötigen zumindest partiell oft pflegerische und sozialpädagogische Unterstützungsleistungen. Wohn- und Unterstützungsangebote für pflegebedürftige und suchtabhängige Wohnungslose sind bisher noch kaum vorhanden. Bestehende Wohnprojekte wie „Wohnen60plus“-Dreifaltigkeitskirche Münster können hier Vorbild sein.
Zunehmend benötigen auch Menschen eine Unterstützung durch die Wohnungslosenhilfe, die nicht nur einen Bedarf an Wohnraum haben, sondern auch Integrationsbedarfe in den Bereichen Sprache, Beschäftigung, Kultur und Gesellschaft. In den letzten Jahren hat auch die Zuwanderung von Menschen aus den EU-Mitgliedstaaten erheblich zugenommen. Die Regelungen, die seit Ende des Jahres 2016 mehr EU-Bürger*innen von Sozialleistungen ausschließen, haben zur Folge, dass immer mehr von ihnen in äußerst prekären Lebensverhältnissen leben und von verschiedenen Formen der Ausbeutung, etwa am Wohnungs- und Arbeitsmarkt, betroffen sind. Viele nutzen deshalb auch die Infrastruktur und Angebote der Wohnungslosenhilfe.
Über die massive Zunahme der Wohnungs- und Obdachlosenzahlen verlieren die Koalitionen in Land und Bund nicht ein einziges Wort. Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition im Bund ist eine armutspolitische Bankrotterklärung. So tauchen die Wörter Wohnungs- und Obdachlosigkeit im Vertragswerk nicht einmal auf. Auf den 117 Seiten des schwarz-gelben Vertrags in NRW herrscht die gleiche Sprachlosigkeit. Konkrete Maßnahmen zur Vermeidung oder Behebung von Wohnungslosigkeit: In beiden Fällen Fehlanzeige! Diese Ignoranz ist realitätsfremd und empörend. Und sie setzt sich in verantwortungslosem Unterlassen von Maßnahmen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit fort. Wir GRÜNE akzeptieren nicht, dass immer mehr Menschen in vielfacher Hinsicht vom gesellschaftlichen Leben und den Leistungen des Sozialstaats ausgeschlossen sind. Nicht wenige Obdachlose müssen gar ihr Leben lassen. Aber Obdachlose ist einer zu viel. Der Entsolidarisierung mit Menschen am Rande unserer Gesellschaft stellen wir uns mit einem Bündel an Maßnahmen entgegen.
Wir GRÜNE meinen: Es braucht dringend einen politischen Kraftakt zur Vermeidung und Bekämpfung von Wohnungslosigkeit!
Dies setzt ein ambitioniertes und abgestimmtes Handeln von Bund, Land, Kommunen und freien wie privaten Trägern voraus, erfordert aber auch Kreativität in der Entwicklung neuer Lösungen. Der Dreh- und Angelpunkt ist die ausreichende Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum. Unser Ziel ist, 250.000 neue Wohnungen bis 2022 zu erreichen. Das Land muss deshalb eine dauerhafte Verwendung der zusätzlichen Bundesmittel, die im Rahmen des Koalitionsvertrages vereinbart wurden, für den sozialen Wohnungsbau gewährleisten und hierfür zeitnah ein Programm zur Verteilung der Mittel auflegen. Darüber hinaus müssen zukünftig zusätzliche entstehende Finanzspielräume des Landes, die zum Beispiel durch die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs ab 2020 entstehen (rund 1,4 Milliarden Euro Entlastung) vorrangig für den Wohnungsbau genutzt werden. Wir wollen, dass der soziale Wohnungsbau deutlichen Vorrang in der Wohnungspolitik des Landes hat. Hier ist vor allem das Land NRW gefordert.
Die Große Koalition im Bund darf sich aber nicht aus der Verantwortung stehlen, indem sie stets und ständig auf die Zuständigkeit der Länder verweist. Denn es sind auch die rigiden Mechanismen der Sozialgesetzgebung, die Wohnungsverlust befördern. Wenn Menschen die Hilfen der Kommunen oder freie Träger neu beanspruchen, waren nach Angaben der BAG Wohnungslosenhilfe 41 Prozent von ihnen zu diesem Zeitpunkt im Bezug von Arbeitslosengeld II (ALG II), bei allein 18 Prozent waren akute Miet- oder Energieschulden Auslöser des letzten Wohnungsverlustes. Nach Angabe des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes erhielten ALG-II-Beziehende im vergangenen Jahr durchschnittlich 407 Euro pro Monat für die Kosten der Unterkunft, hatten aber im Schnitt einen Bedarf von 451 Euro und mussten die Differenz aus den Regelleistungen selbst erbringen. Noch gravierender ist, dass Sanktionen und damit Kürzungen auch bei den Kosten der Unterkunft verhängt werden können. Dies verletzt nicht nur die Würde der Betroffenen, sondern auch ihr Recht auf Wohnraum.
Die von den Kommunen gezahlten Kosten der Unterkunft reichen in vielen Fällen an sich bereits häufig nicht aus, um die Mieten auf dem Wohnungsmarkt zu bezahlen, da viele Vermieter einen Aufschlag für ein vorgebliches Risiko in solchen Fällen auf die Mieten erheben. Oftmals reicht das Geld nicht einmal für die Miete in sozial gefördertem Wohnraum. Als GRÜNE NRW setzen wir uns dafür ein, dass die Kosten der Unterkunft vollständig vom Bund übernommen werden und sich sich an der realen Mietentwicklung orientieren müssen. Nachträglich erhobene „Risikozuschläge“ müssen für rechtswidrig erklärt werden.
Besonders betroffen von den Sanktionen im SGB II sind Personen unter 25 Jahren, deren Leistungen bis zu 100 Prozent gekürzt werden können. Zudem wird ihnen nur in Ausnahmefällen eine eigene Wohnung durch das Jobcenter finanziert. Dieses faktische Auszugsverbot aus der Wohnung der Eltern bzw. die mangelnde Alternative ist daher auch ein Grund für die Wohnungslosigkeit junger Menschen, die nicht länger bei ihrer Familie leben können. Damit werden junge Erwerbslose aus zerrütteten Familien geradezu in Kriminalität und Obdachlosigkeit getrieben, statt sie zu qualifizieren und in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ohne einen Paradigmenwechsel in unseren sozialen Sicherungssystemen ist eine Trendwende nicht möglich. Wir GRÜNE fordern deshalb seit langem ein Ende aller Sanktionen im Arbeitslosengeld II und eine Neuberechnung der Regelleistungen sowie der Unterkunftskosten, die den tatsächlichen Bedarfen gerecht werden. Mit Nachdruck werden wir uns für die Überwindung von „Hartz IV“ und die Entwicklung einer neuen, armutsfesten, sanktionsfreien, Teilhabe sichernden und bürokratiearmen sozialen Sicherung stark machen.
Hilfe in Wohnungsnotfällen ausbauen
Ein weiterer Baustein ist der Ausbau der Unterstützungs- und Präventionsleistungen in den Hilfen vor Ort. Beratung und Vermittlung und Hilfe bei Suchterkrankungen und anderen psycho-sozialen Problemstellungen sind für von Wohnungslosigkeit betroffene oder bedrohte Menschen von enormer Bedeutung. Für die haupt- und zunehmend auch ehrenamtlichen Strukturen stellt die Entwicklung eine immer größere Herausforderung dar, der politisch begegnet werden muss. Die rot-grüne Landesregierung in NRW hat 2011 nicht nur eine neue Wohnungslosenstatistik entwickelt, sondern mit dem Aktionsprogramm „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ die Förderung und Stärkung von Maßnahmen zur konsequenten Prävention drohender Wohnungslosigkeit, zur Reduzierung bereits bestehender Wohnungslosigkeit durch schnelle Reintegration von Wohnungslosen in reguläre Mietverhältnisse und zum weiteren Ausbau bedarfsgerechter wohnbegleitender Hilfen vorangetrieben.
Bereits 1996 wurde das Landesprogramm „Wohnungslosigkeit vermeiden – dauerhaftes Wohnen sichern“ von der ersten rot-grünen Landesregierung aufgelegt, das mit einigen konzeptionellen Änderungen bis heute besteht. Dabei hatte 2009 die damalige schwarz-gelbe Landesregierung schon einmal versucht, die Fördermittel für die Wohnungslosenhilfe komplett zu streichen. Aufgrund der großen öffentlichen wie auch parlamentarischen Proteste musste die damalige Landesregierung diese Streichungen allerdings wieder zurücknehmen. Bis heute konnten in rund 170 Projekten innovativen Projektansätzen und Konzepten von Kommunen und insbesondere von freien gemeinnützigen Trägern Projekte zur Weiterentwicklung der Wohnungsnotfallhilfe aufgebaut werden. Hierzu gehört die Einrichtung der örtlichen Zentralen Fachstellen für Wohnungsnotfälle in vielen Kommunen, die bereits frühzeitig einem drohenden Verlust der eigenen Wohnung entgegenwirken sollen. Ebenso gehört dazu die Förderung sozialer Wohnprojekte und Wohnraumerschließung für Wohnungsnotfälle, der Ausbau der aufsuchenden Beratung und Hilfeangebote bis hin zur Begleitung von Straßenzeitungsprojekten. Angestoßen durch das Förderprogramm konnte auch die medizinischen Versorgung von wohnungslosen Menschen durch die mobilen medizinischen Dienste bereits an vielen Orten stabilisiert und mit dem „Umsetzungskonzept“ seit 2011 auch in vielen Kommunen zu einem Teil der Regelversorgung werden.
Bis heute ist NRW das einzige Bundesland, das ein entsprechendes Förderprogramm hat. Allerding zeigen die steigende Zahlen an obdachlosen- und wohnungslose Menschen, dass in vielen Bereichen die Angebote weiter ausgebaut und auch neue Angebote eingerichtet werden müssen. Zudem haben bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass sich nicht alle vorrangig für den großstädtischen Bereich entwickelte Angebote auch auf ländliche Strukturen übertragen lassen. Es bedarf deshalb weiterhin des Ausbaus einer erfolgreichen Wohnungslosenhilfe vor Ort und eine Überführung von erfolgreichen Projekten in die kommunale Praxis.
Daher ist für uns klar: Dieses wegweisende Aktionsprogramm muss fortgeführt und weiterentwickelt werden, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden. Das Finanzvolumen des Programms muss deutlich aufgestockt, die Hürden für eine erfolgreiche Antragstellung zugunsten unbürokratischer, schneller Hilfe gesenkt werden.
Zielgenaue Unterstützung ausbauen – Verdrängung marginalisierter Gruppen stoppen
In vielen Bereichen der Wohnungsnotfallhilfe müssen Angebote für eine erfolgreiche Wohnungslosenhilfe vor Ort weiterentwickelt und ausgebaut werden. Hierzu gehören der Ausbau frauengerechter Wohnungsnotfallhilfen zu einem flächendeckenden Angebot; zeitgemäße Unterstützungsformen für junge Erwachsene (geschlechtsspezifisch ausgerichtet), Wohn- und Unterstützungsangebot für alte und pflegebedürftige wohnungslose Menschen; Hilfeangebote für Menschen mit Migrationshintergrund sowie die Stärkung der Beratung und Unterstützung für von Wohnungsverlust bedrohte Familien. Schließlich brauchen wir Konzepte für eine präventive Wohnungslosenhilfe, die besonders geeignet sind für ländliche Regionen.
Beratungsangebote für wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Jugendliche müssen dringend ausgebaut werden. In vielen Kommunen in NRW gibt es schon heute sehr gute Anlaufstellen für junge Menschen, denen es gelingt, diese wieder von der Straße zu holen. Die Kapazitäten sind aber vielerorts zu gering, die Anzahl von Notschlafstellen reicht vielerorts bei weitem nicht aus und insbesondere Angebote für Mädchen und junge Frauen sind Mangelware. Hier sind vor allem die Kommunen in der Pflicht, aber auch das Land ist aufgefordert, über den Jugendhilfeplan und die Finanzierung von Projekten mit dem Schwerpunkt Obdachlosigkeit die Unterstützung für junge wohnungslose Menschen auszubauen.
Ein weiterer Grund für die Zunahme von Wohnungslosigkeit ist die Verdrängung marginalisierter Gruppen. Für uns als GRÜNE ist es nicht hinnehmbar, dass bei der Räumung von Schrottimmobilien beispielsweise Roma und Sinti vermehrt ohne Vorwarnung von Kommunen auf die Straße gesetzt oder monatelang in Notunterkünften untergebracht werden, nachdem sie zuvor von skrupellosen Vermieter*innen in überbelegten Schrottimmobilien abgezockt wurden. Diesen Menschen muss adäquater Wohnraum im gleichen Umfeld vermittelt werden.
21 aus dem Europäischen Sozialfonds (EHAP) finanzierte Projekte leisten in NRW eine wichtige Unterstützung für neuzugewanderte EU- Bürger und Bürgerinnen, die sich in prekären Lebenslagen befinden. Diese Projekte gilt es auch nach Ablauf der Förderphase weiter zu unterstützen.
„Housing First“-Ansatz fördern!
Neue Herausforderungen machen neues Denken nötig. Seit einigen Jahren hat mit dem „Housing First“-Ansatz die Diskussion über einen Paradigmenwechsel in der Wohnungslosenhilfe an Fahrt gewonnen. „Housing First“ steht für ein Hilfeangebot, bei dem Wohnungslose mit komplexen Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen ohne Vorbedingungen an Therapieteilnahme oder Abstinenz normaler Wohnraum und intensive persönliche und gesundheitliche Hilfen vermittelt wird. Sonderwohnformen (Notunterkünfte, betreute Wohngruppen, Übergangswohnen/Trainingswohnen und so weiter) mit unterschiedlichen Graden von Autonomie und Kontrolle, werden dabei vermieden. Die bisherigen empirischen Befunde zu entsprechenden Projekten in Kanada und Europa, so z. B. In Portugal und Finnland, deuten auf deutlich höhere Erfolgsquoten in Bezug auf den langfristigen Wohnungserhalt hin. Ob sich diese Erfolge auch auf Deutschland übertragen lassen, muss evaluiert werden. „Housing First“ heißt dabei nicht „Housing Only“. Die Wohnraumvermittlung muss flankiert werden durch ergänzende Angebote persönlicher Hilfen für ehemals Wohnungslose, um ihre Wohnung auf Dauer erhalten zu können. Aufsuchende und qualifizierte persönliche Hilfen ergänzen damit auf reiwilliger Basis das rechtlich gesicherte Wohnverhältnis.
In einzelnen Städten wie Düsseldorf haben sich bereits private „Housing First“-Initiativen gegründet, die sich überwiegend über Spenden finanzieren. Wir GRÜNE wollen diesen Ansatz stärker als bisher fördern und aus der Nische herausholen. Seitens freier Träger ist mittlerweile eine Initiative zum Aufbau eines „Housing-First-Fonds“ entstanden. Mit Hilfe dieses Fonds, der sich aus den Verkaufserlösen aus Werken des Malers Gerhard Richter speist, soll der Ankauf von bis zu 100 Wohneinheiten durch Träger der Freien Wohlfahrtspflege erfolgen. Begrüßenswert ist es daher, dass die Landesregierung im Rahmen des Landesprogramms „Wohnungslosigkeit vermeiden – dauerhaftes Wohnen sichern“ nun dieses Pilotprojekt unterstützen und über drei Jahre eine Koordinierungsstelle zum Aufbau von „Housing-First“-Projekten fördern will. Wir setzen und dafür ein, dass über dieses Projekt hinaus das Housing-First Projekt weiter ausgebaut wird.
Wir wollen prüfen, ob ein eigenes, gut ausgestattetes Landesprogramm „Housing First“, das Projektträger finanziell und infrastrukturell unterstützt und Mittel für die Evaluation der Maßnahmen bereitstellt, aufgestellt werden sollte, auch um Konkurrenzen zu Angeboten der klassischen Träger der Wohnungslosenhilfe zu vermeiden.
Klar ist: Statt eines Pilotprojektes, das zudem in hohem Maße von privaten Spenden abhängig ist, braucht es hier einer dauerhaften Förderung.
Solidarische Wohnungslosenpolitik
Auch in unserer kommunalen Arbeit in den Städten und Gemeinden setzen wir GRÜNE uns für eine solidarische Wohnungslosenpolitik ein. Vielerorts werden öffentliche Plätze so umgestaltet, dass Übernachten im Freien massiv erschwert wird. Mit Platzverweisen und Knöllchen werden Menschen, die sowieso kaum Mittel haben, zusätzlich drangsaliert. Unser Fokus liegt auf der Bekämpfung der Armut, nicht der Armen. Wir GRÜNE setzen dagegen auf eine Stadtentwicklungspolitik, die der Entsolidarisierung entgegen tritt. Der öffentliche Raum muss allen Menschen, auch jenen am Rande der Gesellschaft zur Verfügung stehen.
Maßnahmen wie Alkoholkonsumverbote, die vor allem der Verdrängung von Obdachlosen und Suchterkrankten aus den Stadtzentren dienen, lehnen wir ab. Initiativen, die sich in der Wohnungslosenhilfe engagieren und akutes Not lindern, finden unsere Unterstützung, auch in finanzieller Hinsicht. Wir setzen uns dafür ein, dass Angebote der Kälftehilfe ausgebaut und warme Räume wie U-Bahn-Schächte in den Wintermonaten auch nachts geöffnet werden.
Beschlossen auf der LDK vom 15./16.06.18
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