LPR-Beschluss

Stahlstandort Nordrhein-Westfalen stärken

Beschluss des Landesparteirats am 27.10.2019 in Essen

Nordrhein-Westfalen ist der wichtigste Standort der Stahlindustrie in Deutschland und Europa. In der nordrhein-westfälischen Stahlindustrie sind rund 46.000 Menschen beschäftigt. Hinzu kommen tausende Beschäftigte bei Zulieferern und Dienstleistern. Stahl ist nicht nur ein unverzichtbarer Werkstoff, sondern auch Basis für industrielle Wertschöpfungsketten. Klimafreundliche, innovative und wettbewerbsfähige Stahlproduzenten sind unverzichtbar für die ökologische Modernisierung der Industrie.

Trotz erheblicher Fortschritte durch mehr Effizienz und bessere Verfahren in den letzten Jahrzehnten ist die Stahlindustrie aber einer der größten CO2-Emittenten in NRW und auch weltweit. Zur Erreichung der Klimaziele muss die hiesige Stahlindustrie im Entwicklungsstadium befindliche Verfahren endlich zur Marktreife bringen, die eine CO2-freie Stahlproduktion ermöglichen. Nur so sind die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens im Hinblick auf CO2-Neutralität zu erfüllen, kann sich der Stahlstandort NRW zukunftsfähig aufstellen und klimafreundlicher Stahl für die Märkte der Zukunft – von Energiewende bis IT-Wirtschaft – hergestellt werden.

Aktuell steht der Stahlstandort NRW zusätzlich vor anderen, großen Herausforderungen, denn die europäische Stahlindustrie leidet schon seit Jahren an Überkapazitäten im Markt. Die Lage hat sich für die Branche aber insbesondere dadurch weiter verschärft, dass in Russland und China massive Überkapazitäten aufgebaut wurden und beide Länder subventionierten Stahl zu einem Preis auf den Weltmarkt drücken, der weit unter den Herstellungskosten liegt.

Die EU hat im Stahlbereich derzeit eine ganze Reihe an Anti-Dumping und Anti-Subventionsmaßnahmen in Kraft, die dabei helfen gedumpte und subventionierte Produkte vom europäischen Markt zu halten. Nach Angaben der EU-Kommission führen diese Maßnahmen im Stahlbereich zu einer Reduktion gedumpter oder subventionierter Importe in Höhe von 70%. Die in den letzten Jahren erlassenen Maßnahmen sogar zu einer Reduktion von fast 90% der unfairen Importe.

Auch gegen die von Präsident Trump verhängten Sonderzölle auf Stahl hat sich die EU effektiv zur Wehr setzen können. Die Befürchtung war groß, dass es durch den abgeschotteten US-Markt zu Handelsumlenkungen auf den europäischen Markt kommt und dieser überflutet wird. Tatsächlich haben die US-Zölle anfangs kurzfristig für steigende Importe gesorgt. So stiegen die Einfuhren aus der Türkei und Russland zunächst sprunghaft um 75 beziehungsweise 140 Prozent an – bis die EU ein sogenanntes Safeguard-Verfahren einleitete, das den heimischen Markt durch Ausgleichszölle bis 2021 vor solchen Umlenkungseffekten schützt.

Trotzdem hat der hohe Druck dem die Stahlindustrie seit Jahren ausgesetzt ist, auch in NRW zu Konsequenzen geführt. Im vergangenen Jahr kündigte Thyssen Krupp an, 6000 Stellen streichen zu wollen, davon 4000 in Deutschland. Die Probleme des Konzerns sind jedoch nicht allein auf eine schwierige Marktsituation und Weltkonjunktur zurück zu führen. Mit dem Bau und Kauf von Stahlwerken in Brasilien und den USA hatte das Unternehmen rund acht Milliarden Euro verloren. Die Strategie des Klima- und Umweltdumpings früherer Thyssen-Krupp-Vorstände mit Produktionskapazitäten in anderen Ländern ist krachend gescheitert. Die so verbrannte Liquidität fehlt dem Unternehmen heute für eine Neuausrichtung. Nach häufigen Wechseln an der Spitze des Konzerns und einem gescheiterten Versuch der Fusion der Stahlsparte mit dem Konkurrenten Tata plant nun die Interims-Konzernchefin Merz die Holdingstruktur des Konzerns drastisch zu verändern. Damit ist die Zukunft des Konzerns nach mehr als 200 Jahren in NRW und mit mehr als 160.000 Beschäftigten weltweit ungewiss. Ein Konzern, der wie kaum ein anderer für Industriegeschichte in NRW, steht am Scheideweg.

NRW und Europa müssen Innovationsstandort einer nachhaltigen Stahlproduktion sein!

Wir Grünen in NRW setzen uns für den Erhalt einer nachhaltigen, innovativen und wettbewerbsfähigen Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen ein. Für uns ist klar: Ohne eine ambitionierte Klimaschutzpolitik in Nordrhein-Westfalen, Deutschland und Europa gibt es allerdings keine dauerhafte Lösung für die Probleme der nordrhein-westfälischen und der europäischen Stahlindustrie.

Den Weg in die emissionsfreie Zukunft weisen Verfahren, die auf den Einsatz von klimaschädlichem Koks und Kohle verzichten und stattdessen auf aus Erneuerbarem Strom erzeugten Wasserstoff, aber auch Biogas oder die direkte Elektrolyse von Eisenerzen in Metall setzen. Klimaschutz ist dabei kein ein Gegensatz zur Stahlproduktion, sondern er wird zu seiner Voraussetzung.

Angesichts der weltweiten Überkapazitäten ist völlig klar, dass in NRW, Deutschland und Europa kein neuer Hochofen auf der klassischen, klimaschädlichen Kokskohlenbasis mehr gebaut werden wird. Damit ist klar: Der fortschreitende Alterungsprozess der heute vorhandenen Hochöfen und die dadurch absehbare, schrittweise Stilllegung der Anlagen wird dazu führen, dass die bisherige Art der Stahlproduktion in den nächsten 20 Jahren aus NRW, Deutschland und Europa verschwindet.

Nur der nächste große Innovationsschritt in der Stahlerzeugung – nämlich vor allem die Umstellung auf den klimaneutralen Hochofenprozess mit erneuerbar erzeugtem Wasserstoff – bietet die Chance, die Stahlindustrie hierzulande zu erhalten. Es muss gelingen, damit in NRW und Deutschland den neuen weltweiten Standard für die Stahlherstellung zu setzen.

Damit Unternehmen wie Thyssen-Krupp die dafür notwendigen Investitionen tätigen können, und klimaneutrale Produkte auch wettbewerbsfähig sind, muss die Industriepolitik den entsprechenden Rahmen und Planungssicherheit schaffen.

Die Landesregierung NRW und die Bundesregierung sind offensichtlich nicht bereit, die Stahlindustrie bei der notwendigen Transformation mit gezielten politischen Maßnahmen zu unterstützen. Die angekündigten Maßnahmen von NRW Wirtschaftsminister Pinkwart sind viel zu vage, ordnungsrechtliche Vorschläge fehlen völlig.

Wir Grünen in NRW fordern die Landesregierung und insbesondere Ministerpräsidenten Laschet deshalb auf, sich für eine nationale und europäische Stahl-Strategie als Kern einer Industriestrategie einzusetzen. Diese Strategie muss das Ziel haben, Europas Stahlindustrie zum Technologieführer in Sachen Emissionsminderung, Energie- und Materialeinsparung, Recycling und Sektor übergreifende Kooperationen, zum Beispiel mit der Chemieindustrie, zu machen. Kernelement dieser Stahlstrategie sollte ein ordnungsrechtlicher Rahmen sein, der neben einem CO2-Mindestpreis über eine umlagefinanzierte Differenzkostenerstattung („Industrie-EEG“) oder eine Quote für klimaneutralem Stahl langfristige Absatzmärkte schafft und mögliche Wettbewerbsnachteile durch höhere Produktionskosten kompensiert.

In einem ersten Schritt muss es aber nun darum gehen, die konkrete Investitionsentscheidung für einen CO2-freien Hochofen zu ermöglichen. Hierfür gilt es, u. a. Mittel aus dem Innovationsfonds des Europäischen Emissionsrechtehandels (ETS) in NRW zu nutzen.

Im Wettbewerb möglicher Standorte ist die Verfügbarkeit großer Mengen Erneuerbaren Stroms u.a. zur Herstellung von grünem Wasserstoff ein entscheidender Faktor. Damit die Verfügbarkeit von Erneuerbarem Strom gegenüber anderen Stahlstandorten nicht noch stärker zum Standortnachteil für NRW und Thyssen-Krupp wird, muss die Landesregierung ihren ideologischen Kreuzzug gegen die Erneuerbaren Energien endlich beenden und sich endlich für einen ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren Energien in NRW einsetzen. Ohne eine solche Kehrtwende würde es zur Deindustrialisierung und dem endgültigen Niedergang der Stahlbranche in NRW kommen.

Notwendig ist auch eine effektive Anwendung handelspolitischer Instrumente. Wir fordern die Landesregierung NRW auf, sich auf europäischer Ebene für die Einführung von Grenzausgleichsmaßnahmen („Klimazöllen“) einzusetzen, mit denen die EU in der Lage ist, Stahlimporte aus Ländern außerhalb der EU, die unter Klimaschutzgesichtspunkten zu schlechteren Bedingungen produziert wurden, mit einem entsprechenden Zoll zu adressieren. Und auch die Weiterentwicklung von Handelsschutzinstrumente sollte Bestandteil einer europäischen Industriestrategie sein. Wir fordern die Landesregierung NRW deshalb auf, sich dafür einzusetzen, dass im Rahmen einer europäischen Industriestrategie die Weiterentwicklung von Anti-Dumping- und Anti-Subventionsinstrumenten und des europäischen Beihilferechts vorangetrieben werden, die wettbewerbsverzerrende staatliche Unterstützung bei ausländischen Konzernen effektiv adressiert.

Zukunftsfähige Industrieunternehmen brauchen am langfristigen Erfolg der Unternehmen interessierte Eigentümer. Die Beteiligung von Finanzinvestoren darf nicht zu einer Zerschlagungspolitik führen, für die Cevian Capital bei ThyssenKrupp steht. Es ist unverantwortlich, für Veräußerungsgewinne eine schnelle Sonderdividende zu verlangen, statt in die Zukunft des Unternehmens, seiner Beschäftigten und seiner Standorte zu investieren.

Schon lange verlangen wir Grünen, dass Finanzinvestoren strenger reguliert werden. Auf europäischer Ebene ist die Regulierung der Finanzinvestoren mit der AIFM-Richtlinie gescheitert. Die Mitgliedsländer inklusive der deutschen Bundesregierung hatten die vom Europaparlament beschlossenen grünen Vorschläge zur stärkeren Regulierung von Finanzinvestoren abgelehnt.

Christdemokraten und Sozialdemokraten haben damals die schlechten Regeln der AIFMD trotzdem im Europaparlament durchgewunken. Heute haben wir mehr aggressive Fonds als Eigentümer in unseren Industrieunternehmen, die sich an die Spielregeln der sozialen Marktwirtschaft nicht gebunden fühlen. Das gleiche gilt für die großen Vermögensverwalter wie BlackRock, State Street und Vanguard, die immer stärkere Kontrolle über europäische Aktiengesellschaften ausüben. Daher verlangen wir, dass die deutsche Bundesregierung und die NRW-Landesregierung Konsequenzen aus den Erfahrungen mit aggressiven Finanzinvestoren bei ThyssenKrupp, Siemens, Osram und Co. Konsequenzen ziehen. Die Unternehmenspolitik von Finanzinvestoren darf nicht mehr in der Dunkelkammer bleiben, sondern Investorengespräche müssen transparent werden.

Finanzinvestoren müssen verpflichtet werden im Rahmen der Mitbestimmung direkt mit den betroffenen Betriebsräten und Kommunen zu sprechen. Die anstehende Revision der AIFMD muss die Finanzinvestoren endlich konsequent regulieren. Wir fordern die Bundesregierung und die NRW-Landesregierung dazu auf, in der EU eine entsprechende Initiative zu ergreifen. Auch die grünen Europaabgeordneten werden im gleichen Sinne aktiv werden. Denn nur mit ruhigem, am langfristigen Erfolg von Unternehmen interessierten Kapitalgebern und Eigentümern kann eine nachhaltige Industriepolitik gelingen. Gleichzeitig muss Deutschland über einen Bürgerfonds zur Altersabsicherung eigenes ruhiges Kapital aufbauen, das innovative und zukunftsfähige Unternehmen beim Wachstum unterstützt.

Die erste CO2-freie Bramme muss aus NRW kommen. In NRW haben wir mit den ansässigen Stahlkonzernen, den Montanmaschinenbau-Unternehmen und dem großen Netz an ingenieurtechnischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen das große Potential, eine nächste industrielle Revolution in der Montanindustrie einzuleiten. 

Eine CO2-neutrale Herstellung, neugedachte und recyclingoptimierte Produkte sowie eine vertiefte Prozessautomatisierung und Digitalisierung sind die Schlüssel für eine nachhaltige, umweltfreundliche und wirtschaftlich erfolgreiche Stahlindustrie in NRW.

Die Landesregierung NRW muss sich endlich für den Industrie- und Stahlstandort NRW der Zukunft stark machen. Denn nur so kann die Möglichkeit geschaffen werden, am Standort NRW eine klimafreundliche, effiziente und wettbewerbsfähige Stahlproduktion zu schaffen und die Stahlindustrie bei diesem Wandel zielgerichtet zu unterstützen.

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