LPR-Beschluss

Bauernhöfe statt Tierfabriken – Tiergerechtigkeit auch für Nutztiere umsetzen

Als vor mittlerweile 10 Jahren unter einer Grünen Verbraucherschutzministerin der Schutz der Tiere als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen wurde, ist dies von engagierten Tierschützerinnen und Tierschützern zu Recht als Meilenstein gefeiert worden. Ein Jahrzehnt später hat sich Ernüchterung breit gemacht, denn die CSU-Landwirtschaftsminister haben alles getan, um die Erfolge zurück zu drehen.

Zwar sind auch in den letzten Jahren noch einige kleine Fortschritte erzielt worden, von einer umfassenden Umsetzung des Verfassungsgebots in die Gesetzgebung kann allerdings keine Rede sein. Insbesondere eine Neufassung des Tierschutzgesetzes gemäß dem grundgesetzlichen Auftrag ist seit Jahren überfällig. Der Grüne Gesetzentwurf hat hier Maßstäbe vorgegeben, während die CSU-Ministerin noch mit ihren kleinsten Verbesserungsansätzen an der schwarz-gelben Agrarindustrie-Koalition gescheitert ist.

In der Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere ist es in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer derartigen Intensivierung und Industrialisierung gekommen, dass die Bemühungen um artgerechte Tierhaltung und die gesetzlichen Anforderungen an Tierschutz immer weiter ins Hintertreffen geraten sind. Im krassen Gegensatz zu den oft idyllisch anmutenden Werbebotschaften von Landwirtschaftsverbänden und Agrarindustrie gibt es für Millionen von Tieren in der Landwirtschaft im Laufe ihres kurzen Lebens keinen Tag, an dem sie ihrer tristen Stallhaltung entrinnen können. Neben gelegentlichen Schafhaltungen sieht man auf den Weiden immer seltener Milchkühe. Im Flachland wurden Weiden umgepflügt und in ertragreichere Maisäcker verwandelt. Schweine und Geflügel sind in der Fläche vollkommen aus dem Landschaftsbild verschwunden, so dass heute die meisten Dorfkinder nicht mehr Kontakt zu Bauernhoftieren haben als ihre Freundinnen und Freunde aus der Stadt.

Und auch die Situation in den Ställen selbst hat sich in den letzten Jahren immer mehr verschärft. In den intensiven Tierhaltungsanlagen werden die Tiere – dem Diktat der Marktwirtschaft folgend – dicht zusammengepfercht und haben kaum Bewegungsmöglichkeiten. Teilweise gelangt in die Ställe nicht einmal Tageslicht. Stroh als Einstreu- und Beschäftigungsmaterial ist fast vollkommen verschwunden. Stattdessen leben Schweine und Mastrinder auf Vollspaltenböden und Mastgeflügel auf einem Streu-Exkremente-Gemisch, dessen Verhältnis sich mit zunehmender Mastdauer immer mehr in Richtung Exkremente verschiebt. Gleichzeitig sorgt ein erbarmungsloser Zuchtfortschritt dafür, dass die Tiere Leistungen erbringen müssen, denen sie immer weniger gewachsen sind. Da die Tiere diese Bedingungen weder körperlich noch psychisch unbeschadet ertragen können, werden sie durch sogenannte zootechnische Eingriffe an Schwänzen, Schnäbeln, Hörnern und Zähnen den industriellen Haltungsformen passend zurechtgestutzt. Diese und andere Belastungen überleben sie bis ans Ende der Mastzeit nur mit einem horrenden Medikamenteneinsatz – neben Schmerzmitteln auch 1734 Tonnen Antibiotika in 2011.

Diese Missstände sind in den letzten Jahren in das Bewusstsein einer immer breiteren Öffentlich-keit gelangt. Im Januar 2013 haben in Berlin 25.000 Menschen für eine andere Agrarpolitik, für mehr Tierschutz und das Recht auf eine gute Ernährung bei uns wie in den Ländern des Südens demonstriert. Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden sich für Produkte aus artgerechter Tierhaltung, schränken ihren Fleischkonsum stark ein oder verzichten ganz auf Fleisch oder sogar auf tierische Produkte insgesamt. Der Deutsche Bauernverband und die Agrarindustrie haben bisher noch nicht gemerkt, dass sie durch ihr Beharren an diesen Haltungsformen selber an dem Ast sägen, auf dem sie es sich bisher auf Kosten des Tierwohls so profitabel eingerichtet haben. Die Bestrebungen von Teilen der Agrar- und Fleischwirtschaft in Verbindung mit Tierschutzverbänden neue Programme mit verbesserten Tierschutzstandards zu entwickeln begrüßen wir. Sie dürfen jedoch nicht zu einem Deckmantel und zur Verfestigung der aktuellen konventionellen Standards oder einer nur graduellen Verbesserungen führen.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzt den Fehlentwicklungen ein Leitbild entgegen, das die im Tierschutzgesetz verankerte Mitgeschöpflichkeit in den Mittelpunkt stellt. Gerade den Tieren, die zur Gewinnung von Nahrungsmitteln für Menschen gehalten werden, gilt unsere besondere Verpflichtung für einen artgerechten und verantwortungsbewussten Umgang. Die Würde des Tieres wird nicht an der Stalltür abgegeben. Die Bedürfnisse der Tiere nach Ruhe und Bewegung sowie nach Beschäftigung und sozialen Kontakten sind zu respektieren und weitestgehend – das heißt immer weitergehender! – umzusetzen. Das steht auch nicht im Widerspruch zu den berechtigten ökonomischen Interessen einer nachhaltig wirtschaftenden bäuerlichen Landwirt-schaft, sondern schafft eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz und unterstützt somit die Bäuerinnen und Bauern, die letztlich die Nahrungsmittel für uns alle erzeugen.

Diese Unterstützung und Akzeptanz darf sich in der Gesellschaft aber nicht nur auf das Reden beschränken, sondern muss an der Ladentheke in konkretem Handeln münden und zwar in der Auswahl der richtigen Produkte!

Denn die Distanz zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern und den Bäuerinnen und Bauern nimmt leider in einer modernen Dienstleistungs- und Industriegesellschaft stetig zu. Die Kenntnisse über Ernährung und Landwirtschaft sind mittlerweile so gering, dass die Gesellschaft oft sprachlos gegenüber der Landwirtschaft und Ernährungsindustrie ist. Zugleich wird mit dieser Distanz ein sehr eingeschränkter, rein quantitativer Wohlstandsbegriff befördert, der die qualitativen, ethischen und gesundheitlichen Aspekte unserer Lebensqualität immer mehr ausblendet.

Der Preiskampf um immer billigere Nahrungsmittel ist die wesentliche Triebfeder dieser Fehlentwicklungen. Daher wollen wir uns vermehrt für einen bewussteren Konsum von Nahrungsmitteln einsetzen und gleichzeitig dazu beitragen, dass für die Verbraucherinnen und Verbraucher eine Rückgewinnung von Knowhow im Bereich Ernährung und Landwirtschaft einhergeht. Die Wertschätzung beim Einkauf des Tieres als Nahrungsmittel bedeutet letztendlich mehr Genuss sowie einen ethischen Gewinn und muss nicht zu einem völligen Verzicht führen.

Das steht auch nicht per se im Widerspruch zur sozialen Frage, ob sich Menschen mit niedrigen Einkommen dieses teurere Fleisch leisten können, denn Fleisch aus artgerechter Haltung braucht zwar angemessenere Preise, aber auch das tägliche Billigschnitzel hat seinen Preis. Wer also weniger Fertigprodukte, mehr Gemüse und dafür weniger Fleisch konsumiert, kann auch mit einem schmalen Budget nachhaltig konsumieren.

Das Tier ist das Maß – Haltung den Tieren anpassen und nicht umgekehrt

Bis heute werden Tierhaltungssysteme in der Landwirtschaft vorwiegend unter wirtschaftlichen oder Arbeitseffizienz-Gesichtspunkten konstruiert und gebaut. Die Tiere haben sich damit zurechtzufinden. Doch das können sie in einer reizarmen und eintönigen Umgebung nicht, und bevor sich ihr Erkundungs- und Beschäftigungstrieb Bahn bricht und Verletzungen zur Folge hat, werden sie passend auf das ungeeignete Maß der Stalleinrichtungen zurechtgestutzt.

Obwohl Amputationen nach der Tierschutzgesetzgebung nur in Ausnahmefällen erlaubt sind, werden sie alltäglich praktiziert  und  von den Behörden toleriert. Standardmäßig werden in der konventionellen Tierhaltung Ferkeln die Ringelschwänze gekürzt und Eckzähne abgeschliffen, Küken die Schnäbel kupiert, Kälbern die Hornansätze ausgebrannt – ohne Betäubung. Damit soll verhindert werden, dass die Tiere sich aufgrund von Stress gegenseitig verletzen. Immer weiter werden Tiere so an Haltungssysteme angepasst. Damit muss endlich Schluss sein! Wir wollen eine konsequente Durchsetzung des Amputations-Verbots sowie eine Verbesserung der Haltungsbedingungen, zum Beispiel durch Rauhfutterraufen und täglich neu in die Ställe einzubringende Aktivitätsangebote. Maßstab müssen die Bedürfnisse der Tiere sein.

Die derzeitigen gesetzlichen Vorgaben erlauben eine qualvolle Enge in Ställen und Käfigen. Auf einem Quadratmeter drängen sich Masthähnchen mit einem Gesamtgewicht von bis zu 39 kg oder ein über 100 kg schweres Mastschwein. Durch diese rein gewichtsbezogenen Angaben wird das Tier als Lebewesen aus dem Blick verloren. Wir brauchen – auch zur Vermeidung zu schnellen, schmerzhaften Wachstums – Mindestmastdauern und definierte maximale Tageszunahmen sowie ausreichend Platz pro Tier in den Ställen. Dazu gehören auch getrennte Ruhe- und Fressbereiche sowie ausreichende Bewegungsmöglichkeiten.

Haltungsformen, die die elementaren Bedürfnisse der Tiere missachten, müssen explizit verboten werden. Dies gilt z.B. für die Käfighaltung von Legehennen und die kommerzielle Kaninchenhaltung, die dauerhafte Anbinde- oder Stallhaltung von Milchkühen und Rindern, die Haltung von Tieren auf Vollspalten¬böden oder die Haltung von Mastgeflügel auf ihrem eigenen Kot. Dazu gehört aber genauso ein Handelsverbot für Importprodukte aus tierquälerischer Haltung, wie zum Beispiel von Gänseleberpastete aus Stopfmast.

Für Legehennen sind, nach dem von der Grünen NRW-Landwirtschaftsministerin das Verbot der Käfighaltung vor dem Bundesverfassungsgericht erwirkt worden war, inzwischen auch die so genannten „ausgestalteten Käfige“ für nicht verfassungskonform erklärt worden. Die Bundesregierung verweigert aber eine Umsetzung dieser höchstrichterlichen Entscheidung. Nachdem der Bundesrat auf Initiative der Länder mit Grüner Regierungsbeteiligung die von Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner angestrebten Übergangsregelungen für ein Verbot der Käfighaltung erst ab 2035 als völlig inakzeptabel abgelehnt hat, setzte die Bundesregierung die vom Bundesrat im Gegenzug beschlossene Verordnung mit Übergangsfristen bis 2023 aus fadenscheinigen Gründen nicht in Kraft. Die Bundesländer halten trotzdem an ihrem Beschluss fest, keine neuen Anlagen für Kleingruppenkäfige mehr zu genehmigen. Durch die Weigerung der Bundesregierung steht die Umsetzung des Tierschutzes an dieser Stelle aber wieder unter Vorbehalt und muss der gerichtlichen Auseinandersetzung standhalten.

Nach wie vor werden in Deutschland über 20 Millionen männliche Ferkel pro Jahr betäubungslos kastriert. Mit dem Eingriff soll der unangenehme Ebergeruch des Schlachtkörpers verhindert werden. Obwohl längst mehrere praxisreife alternative Methoden wie verschiedene Narkose-verfahren, Ebermast oder Immunokastration, zur Verfügung stehen, plant die Bundesregierung eine fünfjährige Übergangsfrist und damit eine unnötige Verlängerung von Tierleid. GRÜNE und Tierschützer setzen sich für eine schnellstmögliche Beendigung dieses bereits heute tierschutzwidrigen Verfahrens ein. Zur Weiterentwicklung der Ebermast bedarf es der Freigabe von Forschungsgeldern. Geprüft werden muss: Genetik, Stallbau, Geschlechtertrennung usw., insbesondere in der biologischen Schweinehaltung mit der typischen längeren Lebensdauer und damit größeren Gefahr von stinkendem und damit zu verwerfendem Fleisch.

TierhalterInnen, die ihren Tieren Zugang zu Freiland und Weiden ermöglichen, gelten heute als „alternativ“. Für uns GRÜNE sind diese Haltungsformen zukunfts¬weisend, weil tiergerecht. Wir setzen uns dafür ein, sie stärker zu fördern und im Rahmen von Forschungsprojekten neue Möglichkeiten moderner artgerechter Nutztierhaltung zu entwickeln. Die europäischen Finanzmittel für die Agrarinvestitionsförderung sind auf nationaler Ebene konsequent zur Förderung von tiergerechten Haltungsverfahren einzusetzen. Nur besonders tiergerechte Haltungsverfahren dürfen künftig finanziell gefördert werden. Dies gilt insbesondere für Mittel aus der Zweiten Säule der EU-Agrarpolitik.

Überwucherung der Landschaft mit Mega-Mastställen verhindern

Von den überdimensionierten Mastanlagen, die gerade in Nordwestdeutschland wie Pilze aus dem Boden schießen, gehen neben der Tierschutzproblematik auch massive Umweltbeeinträch¬tigungen aus. Wir wollen deshalb die Emissionen von Ammoniak, Stäuben und Bioaerosolen deutlich verringern und bei großen Stallanlagen eine Nachrüstung mit entsprechender Filtertechnik durchsetzen. Aufgrund des massiven öffentlichen Drucks hat nun endlich auch die Bundeslandwirtschafts¬ministerin eine Initiative gegen die Missstände angekündigt. Doch statt dem seit einem Jahr vorliegenden Grünen Gesetzentwurf bzw. den von den Grünen MinisterInnen aus NRW und Rheinland-Pfalz im Januar vorgelegten Vorschlägen zuzustimmen, die die Massentierhaltung im ländlichen Raum wirksam begrenzen könnten, legt sie jetzt einen wirkungslosen Entwurf vor, der den Bau von Riesenställen und die weitere Zersiedelung der Landschaft auch in der Zukunft zementiert. Die geplante Regelung, nach der die betroffenen  Kommunen über die Aufstellung von Bebauungsplänen regulierend eingreifen können, soll erst ab Bestandsgrößen von 85.000 Stück Mastgeflügel oder 3.000 Schweinen greifen – die heute gängige Größe von 40.000 Hähnchen bliebe davon also völlig unberührt!

Wir GRÜNE fordern, dass die Privilegierung im Baurecht den landwirtschaftlichen Betrieben vorbehalten bleibt, die das zur Versorgung ihrer Tiere notwendige Futter überwiegend auf den zum Betrieb gehörenden Flächen erzeugen. Einzige Ausnahme darf hier gemäß unserem Leitbild der bäuerlichen Familienbertriebe eine Kleinbetriebsregelung sein, da diese unter der Flächenkonkurrenz gegenüber den Großbetrieben am meisten leiden müssen. Um weiträumigen Gülletourismus zu vermeiden und einen lokalen Nährstoff¬kreislauf sicher zu stellen, ist auch der anfallende Wirtschaftsdünger im eigenen oder in nahe gelegenen landwirtschaftlichen Betrieben auszubringen und zu verwerten. Dabei ist so zu verfahren, dass Grundwasser oder Oberflächen-gewässer nicht belastet werden.

Der Genehmigungsautomatismus für Großanlagen muss ebenso beendet werden wie der Zubau von Stallplätzen in den Regionen, in denen der Tierbesatz mit über 2 Großvieheinheiten (GV) pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche das ökologisch verträgliche Maß überschritten hat. Hier müssen die Gemeinden in die Lage versetzt werden, den Ausbau von Plätzen gänzlich zu stoppen.

Tier bleibt Tier – Gegen die Qual der Hochleistungszucht

Seit Jahrzehnten werden landwirtschaftliche Nutztiere immer stärker auf Leistung gezüchtet. Gesundheit und Widerstandsfähigkeit bleiben dabei auf der Strecke. Bei vielen Rassen und Zuchtlinien sind die Leistungsgrenzen mittlerweile erreicht – und überschritten! Bei Schweinen häufen sich aufgrund des raschen Fleischwachstums Herz-Kreislauferkrankungen. Kühe, die heute täglich bis zu 50 Liter Milch und mehr produzieren, leiden verstärkt an Stoffwechselstörungen, Euterentzündungen und Unfruchtbarkeit. Die Elterntiere von übermäßig wachsenden Mastgeflügel-linien müssen, um nicht selbst zu verfetten und damit unfruchtbar zu werden, in einem Zustand permanenten Hungerns gehalten werden. Bei Puten der heute überwiegend genutzten Zuchtlinie „BIG6“ wurde der Anteil des Brustmuskels auf bis zu mehr als einem Drittel des Körpergewichts hochgezüchtet. In der Folge entstehen massive Bewegungsstörungen und krankhafte Beinstellungen, die wiederum den Einsatz von Schmerzmitteln und Antibiotika bedingen – ein Teufelskreis, im brutalsten Sinne des Wortes, auf den Knochen der Tiere.

Dass diesen Missständen mit den gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen nicht zu begegnen ist, zeigt auf fatale Weise ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2009. Selbst bei einer nachgewiesenen Quote von 36% züchterisch bedingten Schädeldeformationen durch Ausprägung einer „Federhaube“ bei einer Hausentenrasse, sah sich das Gericht nicht imstande, durch Anwendung des Qualzuchtparagrafen 11b des Tierschutzgesetzes, das von der hessischen Landestierschutzbehörde ausgesprochene Verbot der Züchtung dieser Entenlinie zu bestätigen.

Wir GRÜNE fordern eine Konkretisierung der Definition von Qualzuchten, um extreme Leistungszuchten verbieten zu können. Bereits heute wird in der ökologischen Landwirtschaft vorgemacht, dass zum Beispiel durch Einführung einer Mindestmastdauer beim Geflügel die täglichen Wachstumsraten deutlich gesenkt werden können. Von besonderer Bedeutung ist auch der Erhalt des genetischen Potentials, das in alten, gesundheitlich robusten Haustierrassen steckt, und das bei den auf Hochleistung getrimmten Hybridzüchtungen immer mehr verloren geht.

Auch lehnen wir die Tötung von männlichen Eintagsküken aus Legehennen¬linien, als unethisch ab. Hier muss die Geflügelwirtschaft in die Pflicht genommen werden. Die bereits erreichten  züchterischen Erfolge hin zu einem Zweinutzungshuhn, das sowohl mastfähig ist als auch für die Eierproduktion eingesetzt werden kann, sind weiter voran zu treiben. Politische Rahmenvorgaben können diesen Prozess befördern. Aber auch der Handel kann dazu beitragen indem über etwas höhere Verkaufspreise die Aufzucht und landwirtschaftliche Nutzung der männlichen Küken  möglich und leistbar wird. Die Bio-Landwirtschaft geht hier mit Projekten wie  „Ei Care“  oder der Bruderhahn-Initiative voran. Wir wissen, dass das Fleisch von Zweinutzungshähnchen in den Küchen anders gekocht werden muss. Damit die VerbraucherInnen wieder an diese ursprüngliche Lebensmittelqualität und Verarbeitungsanforderung (längere Garzeiten etc.) herangeführt werden, muss die Ernährungsberatung in den Schulen intensiviert werden.

Tiertransporte begrenzen – höhere Wertschöpfung vor Ort sichern

Zucht, Mast und Schlachtung finden durch die immer spezialisiertere Tierproduktion an verschiedenen Orten statt. Nutztiere werden mehrfach in ihrem Leben und oft über weite Strecken transportiert. Dabei gibt es keine absolute Transportzeitbegrenzung. Hinzu kommen oft unzureichende Transportbedingungen, wie nicht ausreichende Standhöhe, Mangel an Wasser oder Luft sowie extreme Temperaturen. Deutschland als eines der Hauptempfängerländer von Mast- und Schlachttieren in der EU hat hier große Verantwortung. Wir wollen eine Begrenzung der Transportzeiten auf maximal 8 Stunden für internationale bzw. 4 Stunden für innerstaatliche Transporte und zwar ohne Ausnahmen. Wir benötigen dringend strengere und verbindliche Regelungen für Transportbedingungen. Kontrollen und Bußgelder müssen vereinheitlicht und so ausgestaltet werden, dass sie abschreckend wirken.

Wir wollen, anknüpfend an erfolgreiche Programme der früheren rot-grünen Landesregierung, den Aufbau und die Modernisierung regionaler Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen fördern und dadurch die ökologische und regionale Lebensmittelerzeugung stärken. Durch die Förderung regionaler Schlachthöfe können auch Transportwege mittelfristig wieder verkürzt werden. Schließlich gilt es, die Exportorientierung der deutschen Agrarpolitik zu stoppen, damit die Massenproduktion mit ihren negativen Folgen für Mensch und Tier nicht zusätzlich angeheizt wird.

Gravierende Tierschutzmängel an Schlachthöfen sofort beenden

Die wenigsten Verbraucherinnen und Verbraucher haben heute noch eine Vorstellung davon, wo das Schnitzel und die Chicken-Nuggets auf ihren Tellern herkommen. Der Schlachtvorgang findet hinter hohen Mauern, fernab jeder Öffentlichkeit statt. Wir wollen, dass die Verbraucher¬infor-mationsrechte und die Transparenz auch bei der Erzeugung von Lebensmitteln aus tierischer Herkunft deutlich verbessert werden. Im Sinne eines  „gläsernen Schlachthofs“ müssen VerbraucherInnen und TierschützerInnen – wenn sie das wollen – zu einem realistischen Bild mit nachprüfbaren Informationen über die Vorgänge in den Schlachthöfen gelangen können.

Die immer stärkere Konzentrierung auf dem Schlachthofsektor und die ungebremste Tendenz zu Megaschlachtstätten sind unweigerlich mit einer Potenzierung der Tierschutzprobleme verbunden. Schätzungen zu Folge werden ein Prozent aller Schweine vor dem Schlachtvorgang nicht ausreichend betäubt – deutschlandweit werden also rund eine halbe Million Tiere ohne ausreichende Betäubung geschlachtet. Bei Rinderschlachtungen liegt der Prozentsatz wegen der störungsanfälligen Einzeltierbetäubung sogar noch höher, sodass nach offiziellen Angaben mit 700.000 Tieren gerechnet werden muss, die den Schlachtvorgang mehr oder weniger bei Bewusstsein erleben.

Die Arbeit im Akkord führt an Schlachthöfen nachweislich zu mehr Arbeitsunfällen als in anderen Branchen. 2009 traten in der Fleischwirtschaft 63 meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1000 Vollarbeiter auf, bei den Unfallversicherungsträgern der gewerblichen Wirtschaft und öffentlichen Hand waren es nur 24,3 Fälle. Gleichzeitig führt der extreme Preiswettbewerb innerhalb der Fleischindustrie zu schlechten Arbeitsbedingungen, Dumpinglöhnen und einem wachsenden Anteil ungelernter Arbeitnehmer.

Aus Sicht des Tierschutzes müssen die staatlichen Überwachungen insbesondere im Lebend-tierbereich intensiviert und verbessert werden. Die Betriebsbesuche haben in der Regel unangemeldet stattzufinden. Um zu verhindern, dass Tiere den Schlachtvorgang bei Bewusstsein erleben, braucht es für die Kontrollen bei Betäubung und Entblutung eigens dafür geschultes und abgestelltes Personal. Gleichzeitig müssen die Kontrollgebühren zwischen Groß- und Kleinbe¬trieben so reguliert werden, dass kleinere Schlachtstätten nicht noch weiter über die Kostenseite benachteiligt werden.

Wer mit lebenden Tieren umgeht, soll seine Arbeit in Ruhe und besonnen erledigen können. Daher fordern wir GRÜNE gesetzliche Mindestlöhne auch in Schlachthöfen und Zerlegebetrieben. Um bei hohem Zeitdruck sich zwangsläufig einstellende Fehler zu vermeiden, ist das Treiben, Betäuben und Töten der Tiere verpflichtend aus der Akkordarbeit zu nehmen und eine maximal zulässige Tierzahl pro Stunde festzulegen.

Das heute bei Schweinen übliche Verfahren der CO2-Betäubung bedarf einer dringenden Überprüfung, da es für die Tiere zu Atemnot, Erstickungsangst und Verätzungen der Atemwege führen kann. Alternative Methoden, wie eine vorgeschaltete Betäubung mit dem verträglicheren Argongas sind zu prüfen. Bei Geflügelschlachtanlagen mit Elektrobetäubung ist die maximale „Hängezeit“ vor Eintritt in das Betäubebad zu reduzieren.

Verbraucherwünsche nach mehr Tierschutz umsetzen

Für uns GRÜNE sind die Verbraucherinnen und Verbraucher wichtige Partner bei der Umsetzung des Pakts für eine tiergerechte Landwirtschaft. Umfragen haben gezeigt, dass 80% der Verbraucherinnen sich tiergerecht erzeugte Produkte wünschen. 20% der VerbraucherInnen wären auch bereit, hierfür mehr Geld zu bezahlen.

Wir wollen zukünftig zwei Schwerpunkte im Bereich der Ernährungsbildung und der Lebensmittelkennzeichnung setzen. Nur wer weiß, wie richtige Ernährung funktioniert, und die Möglichkeit hat, anhand klarer Symbole und Kenn¬zeichnungen seine Lebensmittel auszuwählen, kann sich als KonsumentIn für eine Landwirtschaft einsetzen, die auch bäuerlich, ökologisch, klimafreundlich und global fair ist.

Die Eierkennzeichnung „„Kein Ei mit der Drei!“, die eine außerordentliche Erfolgsgeschichte darstellt, muss auf Verarbeitungsprodukte ausgeweitet werden, damit sich Verbraucherinnen und Verbraucher auch hier mit dem Einkaufskorb für eine Verbesserung der Haltungsbedingungen von Legehennen einsetzen können.

Darüber hinaus fordern wir für alle anderen tierischen Produkte ein Kennzeichnungssystem, durch das die Konsumenten mit einem Blick erkennen können, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden. Weil Ministerin Aigner die Einführung eines staatlich kontrollierten Labels stets blockiert hat, ist der Deutsche Tierschutzbund jetzt mit einem freiwilligen Label in Kooperation mit der Fleischwirtschaft vorangegangen. Dies ist ein Anfang, kann jedoch staatliches Handeln nicht ersetzen. Andere europäische Staaten wie die Niederlande, Großbritannien, Frankreich oder die Schweiz sind uns hier weit voraus. Perspektivisch muss ein solches Tierschutzlabel in ein umfassendes Nachhaltigkeitssiegel integriert werden.

Dort, wo öffentliche Einrichtungen die unmittelbaren Auftraggeber sind, wollen wir eine moderne tiergerechte Landwirtschaft zum Beispiel durch entsprechende Ausschreibungsbedingungen für die Gemeinschaftsverpflegung fördern. In Kitas, Schulen und Mensen müssen neben gesunden auch klimafreundlich und tierschonend produzierte Lebensmittel verpflichtend berücksichtigt werden. Gleichzeitig unterstützen wir hier die Einführung fleischfreier Tage, sogenannter „Veggie Days“, die dazu beitragen können, Verbraucherinnen und Verbraucher über die negativen ökologischen und sozialen Folgen der Fleischerzeugung zu informieren und damit einen der wichtigsten Faktoren der Massentierhaltung, zu reduzieren.

Zu einer ehrlichen Verbraucherinformation gehört allerdings auch, dass bestimmte Produkte unter artgerechten Haltungsbedingungen kaum zu produzieren sind. Tiere aus Freilandhaltungen haben zwangsläufig einen höheren Körperfettanteil als solche aus voll klimatisierten Intensivhaltungen. Der Griff zum Magerfleisch begünstigt somit tierquälerische Haltungsformen. Dagegen ist der Genuss von tierischem Fett als wichtigem Geschmacksträger in Maßen konsumiert, gesundheitlich nicht bedenklich. Auch liegt in der einseitigen Vermarktung bestimmter Schlachtkörperteile, wie der Brust beim Mastgeflügel, eine Ursache für die Fleischexporte in südliche Länder mit all ihren verheerenden Auswirkungen für die Ernährungssicherheit und die Entwicklung lokaler Märkte.

Tiere brauchen eine Stimme – Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände einführen

Der Tierschutz ist einer der letzten Bereiche in unserem Staat, in dem behördliche Entscheidungen zu Lasten der Tiere keiner Überprüfung durch Gerichte unterzogen werden kann, ebenso wie das nicht Einschreiten gegen tierschutzwidrige Zustände. Das kann so nicht bleiben!

Tiere können selbst nicht klagen – deshalb begrüßen wir GRÜNE den vom NRW-Landwirtschafts-minister vorgelegten Entwurf eines Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzorganisationen. Mit diesem Gesetz werden die Rechte der Tierschutzverbände deutlich gestärkt und ihnen endlich die notwendigen Instrumente an die Hand gegeben, um das bestehende Tierschutzrecht dort, wo es bislang noch missachtet wird, in der Praxis wirksam werden zu lassen. Wir sind sicher, dass dieses Gesetz ähnlich wie das Verbandsklagerecht im Umweltbereich nicht zuletzt präventiv auf das Verhalten der Behörden wirken wird.

Raus aus der agroindustriellen Sackgasse

Der Prozess der Agrarindustrialisierung seit den 1960er Jahren ging einseitig auf Kosten der Ökologie, der landwirtschaftlichen Nutztiere und der bäuerlichen Familien. Aktuell zeigt sich ein Scherbenhaufen dieser Entwicklung und wir erleben eine Landwirtschaft, die ein Akzeptanzproblem hat  und sich in einer Sackgasse befindet.  An die Stelle bäuerlicher Betriebe, die Tiere im Stall als lebendige Mitgeschöpfe begreifen, ist die kurzsichtige, rein betriebswirtschaftliche Blickweise des Agrobusiness getreten, für den Kuh, Schwein, und Huhn nur Produktionsfaktoren sind. Bäuerliche Landwirtschaft bedeutet, die Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen und dabei die vielfältigen ökonomischen, sozialen, ökologischen und globalen Zusammenhänge zu berücksichtigen. Um diese Verantwortung nicht in Selbstausbeutung und wirtschaftlichem Ruin der Bauernhöfe enden zu lassen, müssen wir die ökonomischen Rahmenbedingungen so ändern, dass sich soziale, ökologische also gesamtgesellschaftliche Leistungen der Bäuerinnen und Bauern wieder mehr lohnen. Auch dies heißt für uns GRÜNE Verantwortung zu übernehmen.

Wir wissen, dass vielfältige Landwirtschaft Alternativen benötigt und der Produktionsfaktor Boden von hoher Bedeutung ist.  Es gilt hier Konzepte zu entwickeln, die interne Konkurrenzen besser identifizieren und Lösungswege aufzeigen beispielsweise zwischen Futterpflanzenanbau, Grün- und Weidelandnutzung,  Energiepflanzenanbau, Windenergienutzung, Milchviehwirtschaft, Eiweißpflanzenanbau und Naturschutz- und Wasserschutzgebieten.

Aus den wiederholten Skandalen in der landwirtschaftlichen Tierhaltung ziehen wir den Schluss, dass einerseits die Einhaltung der bestehenden Gesetze besser kontrolliert und umgesetzt werden muss, aber in vielen Bereichen auch neue Regelungen getroffen werden müssen, um die Fehlentwicklungen zu stoppen. Den Bäuerinnen und Bauern müssen aber auch über die Förderpolitik Entwicklungspfade jenseits der agroindustriellen Irrwege eröffnet werden. Neben dem verbindlichen Greening in der ersten Säule müssen im Rahmen der gerade laufenden Verhandlungen über die Neuordnung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ausreichend hohe Mittel in der 2. Säule erhalten bleiben, damit die Länder die dringend notwendigen Umwelt- und Tierschutzprogramme, aber auch Programme zur ländlichen Entwicklung überhaupt anbieten können.  Die Weigerung der Bundesregierung, den Wunsch der Öffentlichkeit nach der Verankerung des Prinzips „Öffentliches Geld nur für öffentliche Leistungen“ Rechnung zu tragen, wird dazu führen, dass die Akzeptanz für die Zahlungen schwindet und die Mittel in andere Politikbereiche abfließen werden.

Die Antibiotikastudien aus NRW und Niedersachsen haben gezeigt: Tierarzneimittel sind zum unverzichtbaren Betriebsmittel der Massentierhaltung geworden. Das ist nicht nur aus Tierschutzgründen höchst bedenklich. Der massive Antibiotikaeinsatz gefährdet durch Resistenzbildung und die Verbreitung gefährlicher Keime die menschliche Gesundheit. Auf Grund der Erfahrung, dass gesetzliche Normen immer bis auf das Äußerste ausgeschöpft werden, wollen wir eine klare Verschärfung der Tierhaltungsvorschriften sowie eine umfassende Kontrolle des Tierarzneimitteleinsatzes. Dafür wird es auch nötig sein, die AmtstierärztInnen als wichtige Verbündete bei der Durchsetzung der geltenden Tierschutz¬bestimmungen rechtlich in ihrer schwierigen Situation zu stärken und die Veterinärämter personell wie materiell besser auszustatten.

Einer erfolgreichen Grünen Tierschutzpolitik muss es gelingen, Tierschützer und Tiernutzer, VerbraucherInnen wie Bäuerinnen und Bauern an einen Tisch zu bekommen. Nur in diesem Dialog werden wir letzten Endes auch vor uns selbst moralisch rechtfertigen zu können, dass wir – Tiere essen.

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