Der Besuch des US-Präsidenten Barack Obama auf der Industriemesse in Hannover im April wird allgemein als Versuch angesehen, wieder Schwung in die Verhandlungen um das Handelsabkommen TTIP zu bringen. Das Treffen soll auch dazu dienen, den schwer beschädigten Ruf des Abkommens aufzupolieren und für einen baldigen Abschluss von TTIP zu werben, das seit Sommer 2013 verhandelt wird.
Dieser Termin wird vermutlich von lauten Protesten eines breiten Bündnisses verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen begleitet werden. Im Zentrum des Protestes stehen fehlende Transparenz der TTIP Verhandlungen und eine Verhandlungsagenda, die einseitig auf Deregulierung und Investoren-Schiedsgerichte setzt, zu Lasten von Demokratie, Umwelt, und Verbraucher*innen. Gegen diese Pläne sind schon im Herbst 2015 in Berlin etwa 250.000 Menschen auf die Straße gegangen. Bündnis 90/Die Grünen NRW halten die Proteste und die Kritik an den Verhandlungen für begründet und notwendig und unterstützen sie ausdrücklich.
Wir stellen auch fest, dass die öffentliche Kritik langsam Wirkung zeigt. Sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung mussten Fehler eingestehen. Als ersten Schritt eines Entgegenkommens wurden Anfang 2016 Leseräume eingerichtet, in denen Bundestagsabgeordnete und die Mitglieder des Bundesrates Einsicht in die konsolidierten Verhandlungstexte nehmen konnten und auch alle Europaabgeordnete haben nun Zugang zu den Leseräumen in Brüssel. Doch die Bedingungen der Einsichtnahme sind mangelhaft und zentrale Dokumente, zu vielen Abkommen, sind weiter unter Verschluss. Und durch die hohe Geheimhaltungsverpflichtung können die Abgeordneten nicht über ihre gewonnenen Erkenntnisse sprechen. Damit ist ein zentraler Teil ihrer politischen Arbeit behindert. Die angekündigte Transparenzoffensive droht zur Farce zu verkommen.
Bündnis 90/Die Grünen in NRW erwarten von der Bundesregierung, dass sie die Kritik der Bürgerinnen und Bürger endlich ernst nimmt. Der Besuch des amerikanischen Präsidenten in Deutschland darf nicht als TTIP-Werbeveranstaltung genutzt werden, sondern er muss als Chance genutzt werden für die Proteste zum Stopp der Verhandlungen, zu einer ernsthaften Kurskorrektur beim Verhandlungsmandat und für einen offenen Dialog über die Kritikpunkte.
Keine Klageprivilegien für Konzerne
Hierzu gehört an erster Stelle, dass es in Handels- und Investitionsabkommen der EU, wie zum Beispiel TTIP, keine Sonder-Klagerechte für Großkonzerne geben darf. Die so genannten „Investor-Staat-Schiedsgerichte“ werden immer häufiger von internationalen Konzernen dazu genutzt, Staaten auf milliardenschwere Entschädigungszahlungen zu verklagen. Oft zielen diese Klagen dabei auf Regulierungen zum Umwelt- oder Verbraucher*innenschutz oder auf Regulierungen zum sozialen Ausgleich. Jüngstes Beispiel für diese Gefahr ist die Klage des kanadischen Energiekonzerns TransCanada gegen die USA. Weil die USA aus Umweltschutzgründen den Ausbau der Keystone-Ölpipeline untersagt hatten, legte TransCanada kürzlich eine Klage vor einem Investor-Staat-Schiedsgericht ein und verlangt Schadensersatz in Höhe von 15 Milliarden US Dollar.
Bündnis 90/Die Grünen in NRW halten solche Investor-Staat-Schiedsgerichte für den falschen Weg. Der Deutsche Richterbund wie auch sein Europäischer Dachverband haben jüngst Zweifel an der Rechtmäßigkeit geäußert. Die Praxis der Vergangenheit hat gezeigt, wie missbrauchsanfällig dieses System ist. Hierzu gehören weit interpretierbare und einseitig auslegbare Rechtsbegriffe, hohe Verfahrenskosten, die sich oftmals nur Großkonzerne leisten können, mangelnde Transparenz der Verfahren, keine Berufungsinstanz und mangelnde Unabhängigkeit der Richter.
Zudem ist dieses Instrument nicht nur gefährlich, sondern auch völlig unnötig. Jedem Unternehmen, das sich unfair behandelt fühlt, steht die Möglichkeit offen, gegen eine staatliche Entscheidung vor den nationalen Gerichten Klage einzureichen. Es ist außerdem auch grundsätzlich nicht nachvollziehbar, warum es ein System braucht, das ausländischen Investoren ein exklusives, zusätzliches Klageprivileg einräumt, das nur dem ausländischen Investor, aber nicht inländischen Investoren oder anderen gesellschaftlichen Gruppen oder dem Staat selbst zur Verfügung steht. Investor-Staat-Schiedsverfahren schaffen zudem eine Parallelstruktur zum nationalen Recht, indem es weder einen Vorrang des nationalen Rechtsweges gibt, noch jemals ein nationales Gericht mit dem Rechtsstreit befasst gewesen sein muss.
Gleichzeitig erhalten Investoren die Möglichkeit, parallel sowohl nationale Gerichte, als auch internationale Schiedsgerichte mit ein und derselben Klage anzurufen. Das führt in einigen Fällen zu widersprüchlichen Urteilen. Zudem sind die zugrunde liegenden Investitionsschutzverträge einseitig auf den Schutz von Investitionen ausgerichtet, zu Lasten von anderen Rechtsgütern, wie etwa Umweltschutz oder Sozialstandards.
Angesichts der massiven Kritik hat die EU-Kommission vor kurzem mit dem „Investment Court System“ (ICS) einen neuen Vorschlag gemacht, um das öffentlich stark kritisierte ISDS-System zu reformieren. In diesem Vorschlag greift die Kommission zwar einige Verbesserungen auf, etwa die Einführung einer Berufungsinstanz, Vorschläge zur Verbesserung der Transparenz bei Schiedsverfahren und zur transparenteren Besetzung der Schiedsrichter*innen. Gleichzeitig handelt es sich bei „ICS“ im Kern weiterhin um die alten Schiedsgerichte im neuen Gewand. Denn der Vorschlag enthält die gleichen Klageprivilegien, die Konzernen auch unter ISDS eingeräumt werden. Auch die Klagegründe, die als Basis für Schiedsgerichtsverfahren dienen und oft missbräuchlich interpretiert werden, wie etwa „faire und gerechte Behandlung“ oder „legitime Erwartungen“, stecken genauso im ICS-Vorschlag. Es bleibt bei einer verzerrten Anreizstruktur für Richter, im Zweifel zu Gunsten der Konzerne zu entscheiden, es bleibt bei einer zu breiten Definition des Investitionsbegriffs und es bleibt dabei, dass die Regulierungshoheit der Staaten nicht uneingeschränkt gewährleistet wird, sondern nur für „legitime Politikziele“ gewahrt sein soll. Die ordnende Rolle des Staates in unserer Wirtschaftsordnung wird unter Schadensersatzvorbehalt gestellt.
Damit ist das „Investment Court System“ der EU-Kommission bei allen Fortschritten im Kern ISDS im alten Stil und nur alter Wein in neuen Schläuchen.
Aus diesem Grunde hilft es auch wenig, dass die EU-Kommission nun angekündigt hat, ihre Reformvorschläge im Rahmen der TTIP Verhandlungen einbringen zu wollen. Und es ist auch nicht ausreichend, dass diese Vorstellungen nun durch Nachverhandlungen Eingang in das bereits ausgehandelte Abkommen CETA (Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada) gefunden haben.
Aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen in NRW kann dies kein ausreichender Vorschlag zur Lösung der elementaren Probleme sein, die durch das System der Schiedsgerichte entstehen. Denn im Grundsatz bleibt es trotz einiger Verbesserungen bei den alten Schiedsgerichten mit all den damit verknüpften Problemen. Da die Schiedsgerichte in den Verträgen weder notwendig noch sinnvoll sind, und die vielen damit verbundenen Probleme durch Detailreparaturen nicht verbessert werden können, müssen sie konsequenterweise vollkommen aus den Verhandlungen bzw. Verträgen gestrichen werden.
Neben diesen Ablehnungsgründen stellt sich auch die generelle Frage der Notwendigkeit solcher Schiedsinstanzen – selbst mit Verfahrens-Reformen, wie etwa dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Investment Court System. Bereits jetzt enthalten rund ein Drittel der bestehenden Investitionsschutzverträge, die Deutschland abgeschlossen hat, keinen Investor-Staat-Schiedsmechanismus. Investitionen in diese Länder sind trotzdem durch den Vertrag besonders geschützt und können beispielsweise durch eine öffentliche Investitionsgarantie abgesichert werden. Wir fordern, die bisher abgeschlossenen Investitionsschutzverträge nachzuverhandeln, mit dem Ziel die Vereinbarungen zu den Investor-Staat-Schiedsgerichten aus den Verträgen zu entfernen.
Das internationale Investitionsschutzregime muss grundsätzlich reformiert werden. Wir fordern einen multilateralen ständigen Gerichtshof unter dem Dach der Vereinten Nationen statt privater Schiedsgerichte nur für ausländische Investoren. Grundlage des Gerichtshofes müssen auch international vereinbarte soziale, menschenrechtliche, Umwelt- und Klimarelevante völkerrechtliche Verpflichtungen sein.
Starke Schutzstandards: Ziel statt Zielscheibe moderner Handelspolitik
Ein weiterer, hoch umstrittener Punkt im Rahmen der Diskussion um TTIP und CETA ist die Frage, wie diese Abkommen die Angleichung unterschiedlicher Standards auf beiden Seiten des Atlantiks regeln wollen. Mit der gegenseitigen Anerkennung und Harmonisierung von Produktstandards und Regulierungsvorschriften soll der Marktzugang für Produkte und Dienstleistungen erleichtert werden, die unter anderen gesetzlichen Rahmenbedingungen produziert wurden.
Kritisch ist dieses Vorhaben deshalb, weil die Abkommen sehr sensible Bereiche betreffen – europäische und nationale Regelungen im Bereich Verbraucher-, Umwelt-, und Datenschutz, im Lebensmittelrecht und in der Gentechnikgesetzgebung sowie Gesundheit, Soziales, Kultur und Finanzmarktregulierung. Die EU-Kommission verspricht zwar, die Abkommen würden europäische Standards in sensiblen Bereichen wie Lebensmittelsicherheit oder Verbraucherschutz nicht in Frage stellen, der vorliegende CETA-Vertragstext sowie die bislang bekannten Dokumente aus den TTIP Verhandlungen sprechen jedoch eine andere Sprache. Zudem ist zu befürchten, dass die Abkommen einen zunehmenden Wettbewerbsdruck schaffen, der zu einer Verdrängung von Produkten und Dienstleistungen mit hohen Standards durch Produkte, die unter schlechteren Standards hergestellten wurden, und damit billiger sind, führen könnte. Verschärfter Wettbewerb zu Lasten der Beschäftigten bzw. der Standards in den genannten Bereichen wäre absolut inakzeptabel. Zudem schafft die in TTIP und CETA geplante regulatorische Kooperation ein Einfallstor für die Interessen gut organisierter Interessensgruppen, bevor die demokratisch gewählten Parlamente sich überhaupt mit neuen Vorschlägen zur Gestaltung der Märkte befassen können.
Auch kommunale Dienstleistungen drohen mit TTIP, CETA und TiSA unter Privatisierungsdruck zu kommen. Die in CETA enthaltenen Negativlisten halten wir für einen falschen und gefährlichen Weg. Grundsätzlich darf die kommunale Daseinsvorsorge nicht durch Handelsabkommen geschwächt oder gefährdet werden.
Wir Grüne in NRW kritisieren die grundsätzliche Ausrichtung der Abkommen: In der Logik von TTIP und CETA werden Standards und Regulierungen als Handelshemmnisse betrachtet. Anstatt einen wirksamen Umwelt- und Verbraucherschutz als Ziel der Verhandlungen zu begreifen, machen TTIP und CETA ihn zur Zielscheibe. Eine regulatorische Kooperation in dieser Form und eine Marktöffnung für kommunale Dienstleistungen lehnen wir ab.
Fehler korrigieren – fairen Welthandel ermöglichen
Der massive Protest gegen TTIP, CETA und TISA auf beiden Seiten des Atlantiks muss von der EU-Kommission und den Verhandlungspartnern ernst genommen werden. Sie müssen die Verhandlungen stoppen und die EU-Handelsabkommen nach diesen Maßstäben und unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft neu starten. Die vom Rat beschlossenen Mandate für TTIP und TISA und CETA, sowie der vorliegende Vertragstext für CETA zeigen in die falsche Richtung, deshalb lehnen wir diese Verhandlungsergebnisse ab. CETA und TTIP greifen zudem in die Kompetenzen der Mitgliedsländer und der deutschen Bundesländer ein. Die Bundesländer haben besonders gegenüber den Selbstverwaltungsrechten der Kommunen eine besondere Schutzverantwortung. Wir setzten uns daher mit Nachdruck dafür ein, dass diese Abkommen als gemischte Abkommen dem Bundestag und Bundesrat zur Entscheidung vorgelegt werden. Wir fordern zudem die Europäische Kommission auf, diese weitreichenden und gesellschaftlich hoch umstrittenen Abkommen nicht zur vorläufigen Anwendung vorzuschlagen. Zudem fordern wir die Bundesregierung auf, weitere Nachverhandlungen am Vertragstext durchzusetzen. Wir sagen klar: Ein Abkommen das Investor-Staat-Schiedsgerichte enthält, das Vorsorgeprinzip auch nur indirekt in Frage stellt oder die Handlungsfreiheit der Kommunen beschränkt ist für uns nicht zustimmungsfähig. Wir brauchen eine andere Handelspolitik der EU. Wir wollen Handelsabkommen, die transparent verhandelt und nach sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien ausgerichtet sind und die die etablierten demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen nicht in Frage stellen. Handelsabkommen müssen den genannten Maßstäben folgen, dann können sie hilfreich sein. Auch bisherige Abkommen der EU und Deutschlands, sowie weitere derzeit von der EU verhandelte Abkommen sollen diesen Kriterien genügen und entsprechend überprüft werden. Wir fordern eine Positivagenda zur Neubelebung der multilateralen Handelsprozesse, bei der aus dem Scheitern früherer Versuche im Rahmen der WTO entsprechende Schlüsse gezogen werden. Ungleichgewichte auf Kosten von Entwicklungsländern und das Fehlen ökologischer und sozialer Kriterien müssen dabei korrigiert werden.
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