Beschluss des Landesparteirats am 15.02.2020 in Dorsten
Wir GRÜNE stehen für gleichwertige Lebensbedingungen in allen Regionen unseres Landes. Doch diese Gleichwertigkeit ist bedroht. Der digitale Wandel kann diese Spaltung sogar noch verschärfen, denn in einer digitalisierten Gesellschaft werden sich das jahrzehntelange Versagen im Ausbau der digitalen Infrastruktur und fehlende digitale Teilhabemöglichkeiten besonders bemerkbar machen. Deshalb gilt für uns: niemand darf im Zeitalter der Digitalisierung abgehängt werden!
Damit die Chancen der Digitalisierung allen Menschen in NRW zugutekommen können, müssen wir diesen Prozess politisch gestalten. Ob analog oder digital: die Zukunft der Demokratie hängt auch davon ab, gleichwertige Lebensstandards im ganzen Land zu gewährleisten. Der digitale Wandel bietet dabei enorme Chancen, die wir für die Menschen in den ländlichen Regionen endlich nutzbar machen wollen.
Der ländliche Raum hat für Start-ups viel zu bieten
Der ländliche Raum hat mehr zu bieten als bloße „Landlust“-Idylle. Er ist mit seiner starken, mittelständisch geprägten Wirtschaftsstruktur das Kraftzentrum unseres Landes. Von den über 300 nordrhein-westfälischen Hidden Champions verteilt sich ein Großteil auf den ländlichen Raum Süd- und Ostwestfalens sowie das Münsterland. Die fünf größten von Ihnen haben allein einen Jahresumsatz von mindestens 1 Milliarde Euro. Die über 700.000 Mittelständler bilden das ökonomische Rückgrat Nordrhein-Westfalens. Gerade im ländlichen Raum ist der Mittelstand aus Handwerk, Industrie und Handel breit vertreten. Die Statistik zeigt, dass Gründungen im ländlichen Raum in der Regel nachhaltiger und erfolgreicher sind.
Startups spielen eine entscheidende Rolle für die Zukunftsfähigkeit des ländlichen Raums:
- Die wirtschaftliche Stärke des ländlichen Raums ergibt sich aus dem starken Mittelstand, der aber durch die Digitalisierung unter Druck gerät. Der Mittelstand ist geprägt auf Innovation – und ist grandios darin, ausgereifte Produkte und Prozesse weiter zu verbessern. Der Mittelstand ist aber nicht disruptiv. Die Kooperation mit Startups bringt den Mittelstand auf Zukunftskurs.
- Startups schaffen im ländlichen Raum Arbeitsplätze für Hochqualifizierte. Sie bieten gerade jungen Menschen eine Perspektive, nach einem Studium zurück in die ländliche Heimat zu kommen.
- Die Startup-Kultur bietet nicht nur große wirtschaftliche Potenziale, sondern liefert auch Impulse für die Orts- und Stadtentwicklung. Startups bringen Coworking und neue Arbeitsmodelle sowie die Ortsgesellschaft voran.
Wir GRÜNE sind überzeugt, dass wir unseren Planeten nur mit den Möglichkeiten der Digitalisierung, Technologie und Innovationen lebenswert halten können. Wir wollen digitale Wege aus der Klimakrise finden – und das ist eine Aufgabe, der wir uns in allen Regionen gleichermaßen stellen.
Die Lösungen für die Probleme des ländlichen Raums sind digital
Der ländliche Raum weist Herausforderungen auf, die nicht vergleichbar sind mit den Bedingungen in städtisch geprägten Regionen. Herausforderungen sind das Fundament für Innovationen. Durch die spezifischen Bedingungen auf dem Land lassen sich Konzepte und Ansätze aus urbanen Regionen nicht einfach übertragen. Wir setzen uns hierbei besonders ein für eine Start-up-Kultur, die zum ländlichen Raum passt. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat diese Chancen nicht im Blick, sondern versucht, Konzepte aus den Städten 1:1 auf das Land zu übertragen. So wird die digitale Transformation nicht gelingen!
Zu Recht erwartet der ländliche Raum politische Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit. Die Digitalisierung ist dabei ein wichtiger Schlüssel. So wird die Energiewende, die zu einem großen Teil im ländlichen Raum stattfindet, nur digital gelingen. Die Verkehrswende darf kein Großstadtprojekt sein, digitalbasierte Car- und Ridesharingmodelle und On-Demand-ÖPNV wollen wir genauso auf dem Land verankern. Wir wollen attraktive Dorf- und Ortskerne erhalten, indem wir Onlinehandel und stationären Einzelhandel zusammendenken. Wir wollen den Pflegenotstand angehen, indem wir digitale Unterstützungssysteme sowohl für die Beschäftigten als auch für die Pflegebedürftigen zu guten und würdigen Bedingungen einsetzen. Wir wollen eine vielfältig strukturierte Landwirtschaft, die Artenvielfalt und intakte Lebensräume schafft, und dabei durch digitale Lösungen Pestizid- und Stickstoffeinträge reduziert und die Ressourceneffizienz steigert.
Für ein Umdenken in der Wirtschaftsförderung
Echte Wirtschaftsförderung denkt längst nicht mehr nur an die Ausweisung zusätzlicher Gewerbeflächen zulasten von Natur und Umwelt. Sie fördert gerade im ländlichen Raum digitale, innovative Ideen und unterstützt Handwerk und Industrie bei der Digitalisierung. Im ländlichen Raum stecken Startup-Kultur und kreative Wirtschaftscluster oft noch in den Kinderschuhen. Dem wollen wir mit einer Wertschätzungs- und Ermöglichungskultur für neue, unkonventionelle Ideen entgegenwirken.
Den Kulturwandel zu forcieren ist eine knallharte politische Aufgabe. Für die Etablierung einer ländlichen Digitalwirtschaft und eines Start-up-Ökosystems im ländlichen Raum müssen die Wirtschaftsförderungen sich zum Teil völlig neu erfinden. Wir wollen sie bei dieser Entwicklung unterstützen, damit sie Orte der Inspiration und Begegnung von Kreativen und Innovativen im ländlichen Raum zu schaffen. Diese sehen wir insbesondere in Gründerzentren und digitalen Hubs, die in Kooperationen zwischen Wirtschaftsförderung, lokalen Unternehmen und Hochschulen entstehen sollten.
Wir wollen Coworking im ländlichen Raum fördern. Durch Förderpolitik, aber auch durch das Einplanen von Coworkingspaces bei der Dorf- und Stadtentwicklung können wir hier neue Räume schaffen. Coworkingspaces reduzieren Pendelverkehre, indem sie Arbeiten in der Nähe des Wohnorts ermöglichen und leisten so auch einen Beitrag zum Klimaschutz. Wir stellen uns zudem mobile Coworkingspaces vor, die – flankiert von einem Vernetzungs- und Eventprogramm – im Land für Coworking werben.
Die kluge Vernetzung von Start-ups und etabliertem Mittelstand ist für uns eine zentrale Säule der digitalen Transformation der Wirtschaft. In den ländlichen Räumen wollen wir die Wirtschaftsförderungen zum zentralen Player bei dieser Aufgabe entwickeln. Sie müssen aber auch Gründungswillige innerhalb und außerhalb der Region gezielt ansprechen.
Nicht selten sind die Beschäftigten der Wirtschaftsförderungsgesellschaften konzeptionell schon viel weiter als viele Kommunalpolitiker*innen in den Aufsichtsgremien. Wir wollen mit starken Grünen ein Umdenken in der Politik vorantreiben, um diejenigen zu unterstützen, die sich schon heute im Sinne einer innovativen und ökologischen Wirtschaftsförderung auf den Weg machen.
Mittelstand-Up: Zusammenarbeit zwischen Mittelstand und Start-ups fördern
Auch die Zusammenarbeit zwischen etablierten Mittelstand und innovativen Start-ups bietet enormes Potenzial für beide Seiten: So können Start-ups von der Erfahrung von schon länger am Markt tätigen KMU profitieren. Gleichzeitig bietet sich für ältere KMU die Chance, durch neue Sicht- und Arbeitsweisen ihr Geschäftsmodell zukunftsfähig zu halten.
Wir wollen den Mittelstand stärker bei der Entwicklung von Digitalstrategien unterstützen, auch durch geeignete Förderprogramme. Hierfür muss das Volumen der Innovations- und Digitalisierungsgutscheine ausgebaut werden, damit jedes KMU mit entsprechendem Förderbedarf auch profitieren kann. Es darf nicht länger der Fall eintreten, dass diese Mittel schon zur Jahresmitte aufgebraucht sind.
Finanzierungsmöglichkeiten für Start-up-Vorhaben verbessern und erleichtern
Laut „Deutscher Startup Monitor 2019“ wurden im Jahr 2019 rund 20,6 Prozent der deutschen Start-ups in Nordrhein-Westfalen gegründet. Die Geschäftsmodelle und Produkte der Start-ups sind innovativ und oft auch kostspielig in der Entwicklung. Da diese häufig auf Marktnischen abzielen oder gar neue Märkte schaffen, steigt mit dem Innovationsgrad auch häufig das Risiko für Investorinnen und Investoren.
Daher sind, gerade in den ersten Gründungsphasen, in denen das Risiko für Fremdkapitalgeber noch nicht überschaubar ist, eigene Ersparnisse, staatliche Förderungen oder Familien und Freunde die häufigsten Finanzierungsquellen.
Venture Capital-Geber, Crowdfunding/Crowdinvestment oder Banken halten sich gerade in diesen Gründungsphasen stark zurück, um die eigene Ausfallquote im Falle eines Scheiterns zu reduzieren. Banken müssten zum Beispiel, um das Finanzierungsrisiko für sich in Grenzen zu halten, einen sehr hohen Risikoaufschlag in die Kreditzinsen einberechnen, was einen Bankkredit für Gründerinnen und Gründer unattraktiv machen. Gerade in den ländlichen Regionen Nordrhein-Westfalens sind die Wege zur nächsten Sparkasse oder Volksbank wohl kürzer, als zum nächsten Investorennetzwerk. Daher wollen wir für die Sparkassen und Volksbanken Möglichkeiten schaffen, sich im Rahmen ihres öffentlichen Auftrags auch für diese neuen Märkte und Unternehmensphilosophien zu öffnen und die damit verbundenen Impulse für die regionale und lokale Entwicklung freizusetzen. Eine Möglichkeit ist aus unserer Sicht, dass sie sich direkt mit Eigenkapital an Start-ups beteiligen können.
Das Start-up Barometer Januar 2020 von EY zeigt, dass lediglich rund 4 Prozent der 6,2 Mrd. Euro Risikokapital in Start-ups aus Nordrhein-Westfalen geflossen sind. Das ist aus unserer Sicht zu wenig. Hier muss die Politik entsprechende Angebote bereitstellen. Wir wollen existierende Ansätze wie die von der NRW.Bank kofinanzierten regionalen Seed-Fonds landesweit und damit gerade in den ländlich geprägten Regionen aufbauen und mit mehr Kapital hinterlegen. Zudem wollen wir sie strukturell so weiterentwickeln, dass sie weg von Spitzenfinanzierung kommen und mehr Startups durch sie gefördert werden können.
Wir wollen das Gründerstipendium des Landes NRW weiterentwickeln und stärker an der Lebenswirklichkeit von Gründerinnen und Gründern orientieren. So könnten zum Beispiel Gründerinnen und Gründer mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen einen weiteren Zuschuss unterstützt werden. Deshalb wollen wir eine Anschlussfinanzierung in Form eines Darlehnsprogrammes des Landes etablieren, bei dem erst dann zurückgezahlt werden muss, sobald mit dem Geschäftsmodell Gewinn erzielt wird. Darüber hinaus wollen wir die Kapitalbasis der bestehenden Mikro-Mezzanine-Fonds stärken und das steuerliche Anreizsystem für Crowdfunding und Crowdfinanzierung stärken.
Mit Gründungsschmieden die Wissenschaft aufs Land bringen
Die ländlichen Räume haben den großen Vorteil dezentraler Standorte der Hochschulen für angewandte Wissenschaften bzw. Fachhochschulen. Durch die starke Anwendungsorientierung, die in den letzten Jahren enorm gestiegene Forschungsleistung und die Nähe zur mittelständischen Wirtschaft sind diese Hochschulen die Keimzelle für eine neue Gründungswelle in den ländlichen Räumen.
NRW verfügt bereits heute über ein dichtes Netz von FH-Standorten bzw. Studienorten im ländlichen Raum. Wir wollen gerade in ländlichen Regionen die Offenheit und Kooperation zwischen Wissenschaft, lokaler und regionaler Wirtschaft und der Zivilgesellschaft vorantreiben. Dafür wollen wir Gründungsschmieden schaffen. Darunter verstehen wir verknüpfte Gründungszentren, die gemeinsam von regionalen Akteurinnen und Akteuren getragen werden. Sie sollten angebunden sein an die regionale Wissenschaft. Unser Ziel ist, den Gründungsgedanken schon früh bei Studierenden zu verankern. Die Gründungsschmieden sollen im intensiven Austausch mit den örtlichen Unternehmen den Bedarf der örtlichen Wirtschaft identifizieren und ihre Anforderungen frühzeitig an die Hochschulen transportieren, die ihrerseits Gründungspotenziale bei ihren Studierenden wecken können mit dem Ziel, direkt aus den Hochschulen Unternehmen auszugründen.
Sowohl Hochschulen als auch Unternehmen könnten Büro- und Laborkapazitäten in diese Kooperation einbringen und so Innovationsräume und Netzwerkmöglichkeiten unter Gleichgesinnten schaffen. Die Kapitalstärke des Mittelstands wirkt dabei als zusätzlicher Anreiz für die Gründung vor Ort. Etablierte Unternehmerinnen und Unternehmer können zudem professionelle Unterstützung und Mentoring im Gründungsprozess bieten, das angepasst auf Spezifitäten des ländlichen Raums ist. Die Gründungsschmieden selbst bieten hierbei durch kreative Veranstaltungs- und Präsentationsformate Anknüpfungspunkte und Anreize für die Start-up-Szene.
Aber auch außerhalb der Hochschulen gibt es noch viele ungenutzte Potenziale. Wir wollen den Gründungsgedanken schon bei den Schüler*innen verankern, damit sie nach dem Studium zurückkommen und ihr Unternehmen in ihrer ländlichen Heimat gründen. Öffentliche Bibliotheken könnten um Maker Spaces und FabLabs ergänzt werden, um weitere Infrastrukturen für Innovation im ländlichen Raum zu bieten.
Innovation in der Wirtschaft muss auch Frauensache werden
Das Start-up-Ökosystem ist männlich dominiert. Laut dem Female Founders Monitor 2019 sind nur 15,1 Prozent der Gründer*innen weiblich. Im Bereich der Softwareentwicklung und IT lag der Prozentsatz mit 5,7 Prozent noch geringer.
Dieser Entwicklung möchten wir emanzipatorische Ansätze in der Berufswahlorientierung, gezielte Frauenförderung und eine Sensibilisierung der Akteure entgegensetzen. Die bisherige Berufswahlorientierung an Schulen ist unterschiedlich in Umfang und Qualität. Aus unserer Sicht sollten geschlechterdifferenzierte Ansätze konsequent implementiert werden. Studien zeigen, dass Frauen in der Gründungsphase Ansprechpersonen und auch positive Vorbilder fehlen. Wir brauchen daher dezentrale Unterstützungsstrukturen und Veranstaltungsformate, die die Sichtbarkeit von Frauen in der Start-up-Szene erhöhen und ihnen bei der Realisierung ihrer Ideen helfen. Wir plädieren für einen landesgeförderten Female Innovation Hub und die Unterstützung weiterer Initiativen zur Bündelung und Vernetzung von Gründerinnennetzwerken. Banken, Kammern, Wirtschaftsnetzwerke und Unternehmensvereine sollten für den Blick auf Frauen und aus Frauensicht sensibilisiert werden.
Denn gerade in Start-ups ist die Kompetenz von Frauen hilfreich. Der diverse Blick auf Algorithmen ist zwingend für deren Nutzbarkeit. Gerade in einer Situation des immer stärkeren Einsatzes von Algorithmen und künstlicher Intelligenz ist ein stärkerer Einsatz gegen Diskriminierung unabdingbar. Auch diesen Aspekt verstehen wir unter gleichwertigen Lebensverhältnissen.
E-Government und digitaler Infrastruktur endlich beherzt ausbauen
Eine flächendeckende und zukunftsfeste Versorgung mit schnellem Internet ist Grundvoraussetzung für das Gelingen der digitalen Transformation unserer Gesellschaft. Gerade die Global Player und Hidden Champions auf der „grünen Wiese“ laufen Gefahr, von der digitalen Entwicklung abgeschnitten zu werden. Deutschland ist beim Ausbau der digitalen Infrastruktur nach wie vor digitales Entwicklungsland mit einem Glasfasernetz, das bundesweit nur 2,6 Prozent der Bevölkerung erreicht und einem Mobilfunknetz auf einem völlig unzureichenden Versorgungsniveau. Während der Ausbau der digitalen Infrastruktur in den Ballungszentren Nordrhein-Westfalens vorangeht, hakt er massiv in der Fläche. Wir setzen uns für schlankere, bürokratiearme Förderverfahren ein und wollen Kommunen beim Abruf von Fördermitteln besser unterstützen. Wir stehen für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Eine wesentliche Voraussetzung dafür wird in Zukunft sein, dass Stadt und Land gleichberechtigten Zugang zu den digitalen Infrastrukturen – insbesondere der Versorgung mit Glasfaser, Mobilfunk auf 5G-Standard und eine vollständig digitalisierte Verwaltung auf allen Ebenen – bis spätestens zum Ende dieses Jahrzehnts erhalten.
Damit die Digitalisierung eine Erfolgsgeschichte für Mensch und Natur wird, brauchen wir positive Vorbilder, die begeistern. Hier spielt die Verwaltung eine zentrale Rolle. Wenn wir die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger, der Unternehmen und Verwaltungsangestellten zum Maßstab der digitalen Verwaltung machen, können wir damit Impulse setzen, die ins Land wirken.
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