Beschluss des digitalen Landesparteirats am 28.02.2021
In der Biodiversität (biologischen Vielfalt) manifestieren sich die unnachahmlichen Informationen von mehreren Milliarden Jahren natürlicher Evolution, aber auch in der sogenannten Agrobiodiversität die Vielfalt menschlicher Kulturleistungen. Ein zunehmender Teil dieses Natur- und Kulturerbes geht derzeit unwiderruflich verloren. Gleichzeitig ist kaum abschätzbar, was ein Rückgang der biologischen Vielfalt auf allen Ebenen (Artenvielfalt, genetische Vielfalt, Vielfalt an Ökosystemen) für die Natur und das langfristige Überleben der Menschheit bedeutet. Daher gehören der ungebremste Verlust der Biodiversität und der Klimawandel – die sich gegenseitig beeinflussen – zu den größten Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht. Biodiversitätsschutz leistet zugleich auch Klimaschutz und Klimaschutz ist zugleich auch ein wichtiger Teil des Biodiversitätsschutzes.
Die 1992 in Rio verabschiedete Konvention zum Erhalt der Biologischen Vielfalt (CBD) – neben der Klimarahmenkonvention und der Agenda 21 das zentrale Ergebnis dieses Erdgipfels – und die Entscheidungen der Nachfolgekonferenzen der Vertragsstaaten (Conferences of Parties, COP) 2002 in Den Haag (COP 6) und 2010 in Nagoya/Aichi (COP 10) haben den Niedergang der globalen Biodiversität bisher nicht aufhalten können. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Länder, die sich auf internationaler Ebene als Vorreiter des Biodiversitätsschutzes geben, im eigenen Land bei der konkreten Umsetzung der politischen Willensbekundungen versagen.
Auch Deutschland gehört auf internationaler Ebene zu den Verfechtern des Schutzes unserer Biodiversität – versagt aber bei dem konkreten Biodiversitätsschutz im eigenen Land. So gibt es zwar seit 12 Jahren eine Nationale Biodiversitätsstrategie, doch werden deren Ziele kaum erreicht.
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gibt dafür ein besonders schlechtes Beispiel ab:
- Es erfolgen keine Initiativen zum Schutz der Artenvielfalt – Ankündigungen von Ministerpräsident Laschet auf dem Insektenschutzgipfel im Juni 2019 blieben ohne konkrete Folgen.
- 2015 wurde die Biodiversitätsstrategie vom Landeskabinett beschlossen, doch bis heute ist sie nur eine Absichtserklärung und Sammlung von notwendigen Maßnahmen.
- Im neuen Landesentwicklungsplan wurden alle Ziele den Flächenverbrauch zu reduzieren, gestrichen und der Ausbau der Massentierhaltung erleichtert.
- Mit dem gerade im Landtag zur Abstimmung stehenden Landeswassergesetz sollen Gewässerrandstreifen weitgehend abgeschafft, Rohstoffgewinnung in Trinkwasserschutzgebieten zugelassen, Entnahmerechte für Grundwasser erleichtert und entfristet und Vorschriften zum Schutz und zur Schaffung von Retentionsräumen der Flüsse gelockert werden. Die Landesregierung hebelt durch eine gesetzliche Bevorzugung bestimmter Nutzungen das Verbesserungsgebot des Wasserhaushaltsgesetzes aus, so dass frei fließende Flüsse und die Wiedergewinnung von Auen verhindert werden.
- Bei der Diskussion um die zukünftige Agrarpolitik in Europa und in Deutschland unterstützt NRW die fatale Politik des „Weiter so“ von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner.
- Mit der Abschaffung der Stabsstelle Umweltkriminalität hat die Landesregierung die Verfolgung von Verstößen gegen Natur- und Umweltschutzgesetze entscheidend geschwächt.
- Bei der Förderpolitik im Wald werden erneut den wirtschaftlichen Aspekten Vorrang gegenüber dem Erhalt und der Förderung der heimischen Biodiversität gegeben. Hiermit werden die Fehler der Vergangenheit wiederholt, indem z. B. Wiederaufforstungen mit Nadelholz gefördert werden bzw. die Förderrichtlinie „Extremwetterfolgen“ Anreize liefert bzw. Voraussetzungen schafft, alles Holz von den Flächen zu holen.
- Durch die Verwendung von Finanzmitteln aus dem Topf für den Strukturwandel im Rheinischen Revier für Autobahnbauten und ähnlich fragwürdige Projekte wird die dringend notwendige sozial-ökologische Transformation blockiert.
Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Damit zeigt diese Landesregierung, dass sie bei der wichtigsten Aufgabe, dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen, vollständig versagt und keine Ideen hat, das Land NRW zu einem zukunftsfähigen Bundesland zu machen. Wirtschaftliche Entwicklung ist nur nachhaltig, wenn die natürlichen Lebensgrundlagen dabei nicht zerstört werden. So wurde vor wenigen Tagen vom britischen Schatzamt der Bericht “Die Ökonomie der Biodiversität” veröffentlicht. Der Top-Ökonom Sir Prof. Partha Dasgupta von der Universität Cambridge macht darin deutlich, dass unsere gesamte Wirtschaft und unser Wohlergehen von einer intakten Natur abhängen und wir deshalb unser Wirtschaftssystem dringend umsteuern müssen. Zum ersten Mal hat damit nicht nur eine Umweltbehörde, sondern das für Wirtschaft und Finanzen zuständige Ministerium eines G7-Landes die Alarmglocke geläutet! Dieser Bericht bestätigt, was BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN schon immer vertreten haben: Naturschutz ist kein Luxus, den man sich nur mit ordentlichem Wirtschaftswachstum (und Naturzerstörung) leisten kann. Die Artenvielfalt einer intakten Natur ist vielmehr die Voraussetzung, dass wir überhaupt wirtschaften können!
Den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zum zentralen Thema des Landtagswahlkampfes machen!
Die drei großen NRW-Naturschutzverbände Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt NRW (LNU) und Naturschutzbund Deutschland (NABU) haben mit Unterstützung von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN am 23. Juli 2020 die Volksinitiative Artenvielfalt NRW gestartet. Trotz großer Beschränkungen der Aktivitäten durch die Corona-Pandemie wurden schon über 72.000 Unterschriften gesammelt. Ziel ist es, die anhaltende Untätigkeit der Landesregierung in Handlungsfeldern wie dem Insektenschutz zu beenden und mehr Artenvielfalt zu ermöglichen. Bis Juni 2021 sollen weiter Unterschriften gesammelt werden und damit das Anliegen im Sommer förmlich in den NRW-Landtag eingebracht werden. Dies ist eine hervorragende Gelegenheit das Thema “Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen” und “Schutz der Biodiversität” aber auch das Thema “Wiedergewinnung von Lebensräumen für die Biodiversität”, wie z.B. frei fließende Flüsse und die Wiedergewinnung von Auen, im (Vor-) Wahlkampf aufzuzeigen und Aktionen zu starten.
Die Bürger*innen unseres Landes messen BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN die mit Abstand größte Kompetenz für eine zukunftsfähige Politik im Einklang mit dem Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen bei. Lasst uns deshalb das breite gesellschaftliche Bündnis, dass die Volksinitiative Artenvielfalt trägt, weiterentwickeln und dieses Politikfeld zu einem zentralen Thema der bevorstehenden Wahlkämpfe machen! Die LAG Ökologie wird sich – in Kooperation mit der LAG „Wald, Landwirtschaft und ländlicher Raum“ – in den kommenden Monaten im Hinblick auf die COP der CBD in Kunming/China im Herbst diesen Jahres intensiv mit dem Thema beschäftigen. Wir laden alle Interessierten ein, sich uns anzuschließen.
Wir rufen auf:
Alle Gliederungen von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN in NRW,
– die Volksinitiative Artenvielfalt bis zum Abschluss Ende Juni 2021 aktiv zu unterstützen.
– bei allen politischen Entscheidungen die potenziellen Konsequenzen für den Artenschutz zu berücksichtigen und damit deutlich zu machen, dass BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN die einzige Partei ist, die ein ganzheitliches und schlüssiges Konzept für die nachhaltige Entwicklung unseres Bundeslandes verfolgt.
– sich dafür einzusetzen, dass im Rahmen der Wald- und Offenlandentwicklung – wie beispielsweise bei der Maßnahmenentwicklung infolge der Extremwetterereignisse – Biodiversitätsschutz und Klimaplastizität immer gemeinsam gedacht und berücksichtigt werden.
Die Landtagsfraktion,
– sich dafür einzusetzen, dass Mittel aus dem Fonds für den Strukturwandel im Rheinischen Revier und dem Corona-Aufbaufonds so eingesetzt werden, dass sie gleichzeitig der Eindämmung der Klima- und Biodiversitätskrise dienen.
– auch die internationale Dimension des Biodiversitätsverlustes und der Biodiversitätspolitik in den Blick nehmen und bei der Entwicklung von Positionen zur zukünftigen Wirtschafts- und Eine-Welt-Politik des Landes NRW berücksichtigen
– die Schutzgebiete in Nordrhein-Westfalen durch Überführung in eine Stiftung „Naturerbe NRW“ gesichert und ein Nationalpark Senne ausgewiesen wird.
– bei der Landesregierung ein landesweites Managementkonzept als Maßnahmengrundlage zum Erhalt besonders von Dürre- und Hitzeereignissen betroffener Artengruppen wie Amphibien und wassergebundener Arten in NRW einzufordern.
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