Beschluss des Landesparteirats am 15.02.2020 in Dorsten
2019 war leider wieder ein verlorenes Jahr für die Energiewende und den Klimaschutz in NRW:
- Die Ausbauzahlen für die Windenergie brachen ein, die Zukunftsbrache ist in Deutschland gegen den globalen Trend mit Massenentlassungen und Insolvenzen konfrontiert.
- Das Klimapäckchen der Bundesregierung stellt bei weitem nicht die notwendigen Weichen zum Erreichen der Klimaschutzziele, auch wenn es Grünen im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat gelungen ist, substanzielle Verbesserungen vor allem beim CO2-Preis durchzusetzen.
- Und zuletzt brauchte die Bundesregierung nach dem Vorschlag der Kohlekommission ein ganzes Jahr, um einen Gesetzentwurf für einen Kohleausstieg vorzulegen.
Auch wenn die Kritik zu recht überwiegt – dass wir heute überhaupt einen CO2-Preis bekommen werden und ein Kohleausstiegsgesetz vorliegt, ist erst mal Erfolg der Klimaschutzbewegung. Erst die Massenproteste im Hambacher Wald, dann die FFF-Bewegung, die hunderttausende Menschen auch in Deutschland auf die Straße gebracht hat: die Bundesregierung wurde so unter Druck gesetzt, dass sie ihrer Blockadehaltung beim überfälligen Kohleausstieg aufgeben musste. Auch wenn das aktuelle Gesetz weit davon entfernt ist, die Klimaschutzziele zu erreichen und etliche fatale Fehlstellungen enthält, ist es dennoch der überfällige Einstieg in den Ausstieg. Den gilt es jetzt zu verbessern.
Denn das, was die Bundesregierung nun nach dem langen Warten vorgelegt hat, ist alles andere als eine 1:1 Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission. An entscheidenden Stellen weicht das Gesetz, an dem auch die NRW-Landesregierung mitarbeitete, von den Empfehlungen deutlich ab. Noch weniger ist es geeignet, den deutschen Anteil an der Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels darzustellen.
Ministerpräsident Armin Laschet feiert den NRW-Beitrag zum Kohleausstieg als besonders groß. Fakt aber ist: Er hat sich auf Bundesebene dafür eingesetzt, dass zu Beginn des Ausstiegs erst noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht und Tagebaue ohne Berücksichtigung der veränderten energiewirtschaftlichen Bedingungen für energiewirtschaftlich notwendig erklärt werden. Statt den anstehenden Kohleausstieg und Strukturwandel als Chance zu begreifen und Verantwortung beim Klimaschutz zu übernehmen, macht sich Ministerpräsident Laschet für Kohleunternehmen stark. Mit dem Kohleausstiegsgesetz verschenken Bundes- und Landesregierung die Chance, den in der Kohlekommission mühsam erarbeiteten und gefundenen Kompromiss umzusetzen. Sie brechen damit auch hier in NRW wieder den Konflikt um die Kohle auf, anstatt dazu beizutragen, ihn zu beenden. Wir unterstützen die Klimabewegung in ihrem friedlichen Protest und fordern alle Beteiligten auf, weiterhin friedlich zu agieren.
Aus unserem Bundesland stammen ein Drittel der deutschen CO2-Emissionen. Das bringt die Verantwortung mit sich, den Strukturwandel und Kohleausstieg aktiv voranzutreiben und mitzugestalten, z.B. indem das Rheinische Revier in eine klimafreundliche Region verwandelt wird. Mit der Erzählung, NRW würde für den Kohleausstieg besonders große Opfer bringen, zeigt die Landesregierung, dass sie keine Vorstellung davon hat, welches Potenzial und welche Innovationskraft in NRW steckt. Jetzt gilt es die Chance dieses Wandels zu ergreifen, den Ausbau der Erneuerbaren Energie voranzutreiben und den grünen Wandel in NRW zu gestalten. NRW, mit seiner Geschichte im Rheinischen Revier, dem Ruhrgebiet, Westfalen und den Orten der Produktionsweise der “alten Zeit”, hat die Chance die erste klimaneutrale Region Europas zu werden.
ALLE DÖRFER MÜSSEN BLEIBEN
Nicht nur für neue Kohlekraftwerke scheint sich die Landesregierung NRW in Berlin stark gemacht zu haben. Als einziger Tagebau wird Garzweiler II im Entwurf des Kohleausstiegsgesetzes der Bundesregierung explizit genannt und ihm eine energiewirtschaftliche Notwendigkeit bescheinigt – ohne, dass Gutachten unter Berücksichtigung des Kohleausstiegs das festgestellt hätten. Es fehlt der Beleg für diese Festschreibung. Ministerpräsident Laschet lässt sich damit Abriss und Umsiedlung der Dörfer am Tagebau per Bundesgesetz festschreiben, statt für die Menschen vor Ort zu kämpfen. Wir Grüne sind weiterhin davon überzeugt, dass bei einer 1:1 Umsetzung des Kohlekompromisses die Dörfer und der Hambacher Wald gerettet werden können. Die aus wirtschaftlichen Gründen vorgezogene Abschaltung des Kraftwerks Weisweiler und die Beendigung des Tagebaus Inden dürfen nicht dazu führen, dass Kraftwerksblöcke in Neurath und Niederaußem länger betrieben werden und dafür eine stärkere Auskohlung des Tagebaus Garzweiler sowie Zwangsumsiedlungen der Dörfer in Kauf genommen werden. Wir fordern den Ministerpräsidenten auf, Verantwortung zu übernehmen und den Menschen in den Dörfern an den Tagebauen eine Perspektive zu bieten. Die nun zu erarbeitende neue Leitentscheidung muss den Erhalt aller Dörfer beinhalten.
#HAMBIBLEIBT – MEHR ALS EIN INSELWALD
Ein großer Erfolg für die Klima- und Umweltbewegung ist der angekündigte Erhalt des Hambacher Waldes. Der Erhalt des Waldes muss jetzt auch rechtlich durch die neue Leitenscheidung abgesichert werden. Der Erhalt des Waldes ist aber keinesfalls ein „Geschenk“ an die Bewegung, mit welchem die Zustimmung zu einem völlig unzureichenden Kohleausstiegsgesetz erkauft werden könnte.
Der Hambacher Wald braucht jetzt eine echte Perspektive, damit er mehr wird als eine bewaldete Halbinsel in zerstörter Landschaft. Wir wollen, dass der Hambacher Wald Herzstück eines neuen Biotopverbundsystems im Rheinischen Revier wird, verbunden mit den Waldflächen im Umkreis und den rekultivierten Tagebauflächen. Dafür muss der Hambacher Wald als Eigentum einer Naturschutzstiftung dauerhaft gesichert werden.
DATTELN IV DARF NICHT ANS NETZ GEHEN
Fast abstrus ist es, dass der Kohleausstieg mit der Inbetriebnahme eines neuen Steinkohlekraftwerks in Nordrhein-Westfalen beginnen soll – das ist das völlig falsche Signal. Datteln IV wäre das letzte neue Kohlekraftwerk, das in Westeuropa noch ans Netz geht. Anstatt auf Strom aus Erneuerbaren Energien zu setzen, zementiert die Landesregierung mit ihrem Einsatz für das Kraftwerk, dass sie nur schwer von der Kohle lassen kann.
Mit ihrer Entscheidung widerspricht die Bundesregierung ausdrücklich den Empfehlungen der Kohlekommission, eine Verhandlungslösung zu finden, um noch nicht im Betrieb befindliche Kraftwerke nicht ans Netz zu nehmen. Armin Laschet hat kräftig mitgewirkt, eine solche Verhandlungslösung zu verhindern, indem er öffentlich die Höhe von immensen 1,5 Mrd. Euro Entschädigungssumme an den Betreiber Uniper nannte. Eine Summe, die in dieser Höhe gar nicht mehr im Ansatz den Wert des Kraftwerks für Uniper widerspiegelt. Datteln IV ist Symbol des Einknickens der Landesregierung gegenüber dem Gewinninteresse eines Konzerns, dessen Geschäftsmodell der Vergangenheit angehört.
Nicht nur die Emissionen von Datteln IV sind eine Belastung für Klima, Umwelt und Menschen, sondern auch der Abbau der für Datteln IV benötigten Steinkohle, die unter katastrophalen Abbaubedingungen in den Lieferländern gewonnen wird, unter anderem in Russland. Für die billige Kohle bezahlen die Menschen dort mit ihrer Gesundheit, werden Menschenrechte missachtet, wird Trinkwasser verseucht und Raubbau an der Natur betrieben. Politik, Unternehmen und Beschäftigte hier in NRW sind gemeinsam den richtigen Weg gegangen, Ende 2018 aus dem Steinkohlebergbau auszusteigen, weil er keine Zukunft mehr hatte. Jetzt noch jahrzehntelang Blutkohle aus dem Ausland zu importieren, ist genau die falsche Konsequenz aus diesem Ausstieg. Wir fordern: Datteln IV darf nicht ans Netz. Mit Investitionen in zukunftsfähige Arbeitsplätze wollen wir das Ruhrgebiet stärken.
DER AUSSTIEG DARF NICHT AUFGEBSCHOBEN WERDEN
Statt wie von der Kohlekommission empfohlen, sowohl Stein- als auch Braunkohlkraftwerke stetig abzuschalten, hat die Bundesregierung das Abschalten von Braunkohlekraftwerksblöcken auf das Ende unseres Jahrzehnts bzw. in die 2030er Jahre verschoben. Das führt zu erheblich mehr Emissionen und lässt es noch unwahrscheinlicher werden, dass Deutschland die Pariser Klimaziele erreicht. Der Klimaschutz erfordert ein schnelleres Abschalten. Denn jede Tonne CO2 die nicht mehr freigesetzt wird, ist gut für den Klimaschutz. Damit kündigt die Bundesregierung den mühsam gefundenen Kohlekompromiss auf. Wir fordern mindestens die die 1:1 Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission. Klar ist aber auch: Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, brauchen wir einen stetigen und schnellstmöglichen Ausstieg aus der Kohle.
Kohleausstieg und Klimaschutz europäisch und global denken
Der Europäische Green Deal ist das tiefgreifendste Umwelt- und Klimaschutzprogramm, das Europa je gesehen hat. Von Klimaschutz bis zur Energiewende zeigt der Green Deal in die richtige Richtung. Europa soll bis 2050 der erste CO2-neutrale Kontinent werden. Die europäische Energiewende samt einem europaweiten, sozialverträglichen Kohleausstieg befindet sich im Kern dieses Programms.Der Green Deal macht klar: Damit der Ausstieg aus der Kohle und der Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare Energien gelingen, müssen wir in Europa stärker als jemals zuvor zusammenarbeiten. Durch einen Ausbau der grenzüberschreitenden Stromtrassen können wir beispielsweise Spitzen in der Erzeugung erneuerbarer Energien dort zu unseren Nachbarn leiten, wo diese gebraucht werden. Durch ein paneuropäisches Smart-Grid rücken wir nicht nur als Europäer*innen näher zusammen, sondern machen uns auch unabhängiger von fossilen Energieträgern. Wir wollen NRW zu einer europäischen Modellregion für die Energiewende machen.In Sachen Kohleausstieg können wir uns ein Beispiel an unseren Nachbarn nehmen. Frankreich, Schweden, Italien, Österreich und Irland wollen bis 2025 aus der Kohleverstromung aussteigen. Zur Unterstützung dieser Ambitionen stellt die EU 7,5 Milliarden Euro für die vom Strukturwandel betroffenen Regionen zur Verfügung. Das ist zu wenig für den europaweiten Kohleausstieg. Während die Bundesregierung 4,35 Milliarden Euro Entschädigung an RWE und LEAG zahlt – für Kraftwerke, die zum Teil kaum vor dem geplanten Laufzeitende abgeschaltet werden sollen – blockiert sie in Brüssel ein höheres EU-Budget. Ein höheres EU-Budget ist dringend notwendig für Gemeinsame Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz und einen gerechten Strukturwandel, Digitalisierung, Erasmus und Forschung. Die NRW-Landesregierung ist gefordert, sich in Berlin gegen diese Blockade einsetzen. Wir erwarten sowohl von der Landes-, als auch von der Bundesregierung, dass sie sich für zukunftsweisende Investitionen und den Erfolg des Green Deal stark machen. Damit die europäische Energiewende gelingt, braucht es mehr, nicht weniger ambitionierte Pläne. Nur wenn das Geld dort ankommt, wo es dem Klimaschutz am meisten hilft und vor Ort Arbeitsplätze in Zukunftsbranchen sichert, kann ein sozialverträglicher, europaweiter Kohleausstieg rechtzeitig zum Erreichen der Pariser Klimaziele gelingen.
MEHR TEMPO BEI SONNE UND WIND
In den letzten Jahren haben schwarz-rote Bundesregierung und schwarz-gelbe Landesregierung dafür gesorgt, dass die Energiewende sehenden Auges vor die Wand gefahren wird. Wir erleben aktuell eine schleichende Deindustrialisierung bei den Erneuerbaren Energien – nicht zuletzt wegen der Verhinderungspolitik der schwarz-gelben Landesregierung bei der Windenergie in NRW, unnützen Diskussionen zu Mindestabständen und dem fast erreichten Deckel bei der Solarförderung. Die Landesregierung verschläft die Chance den Wandel in NRW zu gestalten und für unser Industrieland eine Energieversorgung mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien aufzubauen.
Wir brauchen jetzt eine Offensive für Erneuerbaren Energien. Gerade im Rheinischen Revier gibt es noch ein großes Potenzial. Die Strukturmittel müssen deshalb in klimafreundliche Projekte fließen. Wir brauchen einen Klimavorbehalt und Mittel, um den Ausbau Erneuerbarer Energien zu unterstützen. Wenn NRW eine Chance haben soll, von den Mitteln des europäischen Milliarden-Topfes „Just Transition Fund“ zu profitieren, dann indem es die Mittel besonders ökologisch konditioniert. Wir fordern deshalb die Rücknahme der hohen Abstandsregelungen für Windenergieanlagen in NRW, bessere Beratung und eine Entbürokratisierung für die Solarenergie in NRW sowie den Klimavorbehalt für Strukturmittel, die in NRW eingesetzt werden.
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